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Abschied von Hartz IV Was sich für Selbstständige durch das neue Bürgergeld verbessert

Es sind enorm emotionale Themen: Grundsicherung, Schutz der Altersvorsorge, faire Behandlung gegenüber Arbeitnehmern. Spätestens die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig lebensnahe Lösungen für Selbstständige und Kleinstunternehmer sind. Das neue Bürgergeld bietet Betroffenen nun mehr Schutz. Weil viele Anträge aber weiterhin sehr bürokratisch und aufwendig sind, werden viele Hilfen gar nicht erst abgefragt. 

Hartz IV ist Geschichte. Seit 1. Januar gibt es das Bürgergeld

Die SPD hat eines ihrer zentralen Wahlkampfversprechen erfüllen können: Hartz IV ist nach 18 Jahren wieder abgeschafft und seit dem 1. Januar durch das sogenannte Bürgergeld ersetzt. Doch nicht nur der Name hat sich geändert – insbesondere für Selbstständige gibt es wichtige Verbesserungen. 

Was ist das Bürgergeld?

Das Bürgergeld soll den Lebensunterhalt sicherstellen: Es ist eine staatliche Leistung für erwerbsfähige Menschen, die keine Arbeit haben oder mit ihrer Arbeit nicht genug Geld verdienen. Es soll allen Menschen in Deutschland, die in eine Notlage geraten sind, ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Wie schnell zum Teil auch Selbstständige und Kleinstunternehmen unter das Existenzminimum rutschen können, hat zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt. Ziel des Gesetzes ist zudem, dass die staatliche Grundsicherung „bürgernaher und unbürokratischer“ werden soll. 

Wer also selbstständig ist und wessen Geschäft vorübergehend – wie etwa in der Corona-Hochphase – kein Geld mehr einbringt, kann Grundsicherung beantragen. Die Selbstständigkeit muss deshalb nicht aufgegeben werden. Entscheidend ist, dass Leute, die eigentlich ein funktionierendes Geschäft aufgebaut haben, nicht kurzfristig ihre sämtlichen Ersparnisse und ihre private Altersvorsorge aufbrauchen müssen. Studien zeigen zudem, dass 40 Prozent aller Leistungsempfänger spätestens nach einem Jahr die Grundsicherung wieder verlassen. Bei den Selbstständigen ist der Anteil noch einmal deutlich höher.

Schonvermögen erhöht

Durch das neu eingeführte Bürgergeld haben Leistungsempfänger für das erste Jahr ein erhöhtes Schonvermögen in Höhe von 40.000 Euro. Lebt man mit einem Partner in einer gemeinsamen Wohnung (sogenannte Bedarfsgemeinschaft), erhöht sich das Schonvermögen um zusätzlich 15.000 Euro. Das ist eine starke Verbesserung vor allem für Selbstständige, die bisher einen großen Teil ihrer Rücklagen aufbrauchen mussten, die sie unter anderem für die Altersvorsorge aufgebaut hatten.

Auch ein selbst genutztes Hausgrundstück mit einer Wohnfläche von bis zu 140 Quadratmetern oder eine selbst genutzte Eigentumswohnung von bis zu 130 Quadratmetern werden bei der Vermögensberechnung nicht berücksichtigt. Wer zur Miete wohnt, bekommt die Kosten für Unterkunft und Nebenkosten im ersten Jahr vollständig gezahlt (sogenannte Karenzzeit). Auch das ist für Selbstständige, die häufig von zu Hause aus arbeiten, ein wichtiger Fortschritt.

Besserer Schutz für private Altersvorsorge

Grundsätzlich war die Altersvorsorge für jemanden, der in die Grundsicherung rutscht, schon immer geschützt. Bisher bezog sich der Schutz aber vor allem auf Betriebsrenten, Rürup oder Riester. Der Gesetzgeber hat nun erstmals anerkannt, dass Selbstständige oftmals andere Formen der Vorsorge nutzen. Der Antrag auf Bürgergeld ist seit dem 9. Januar auch online verfügbar.

Das neue Sozialgesetzbuch regelt in § 12 I Nr. 4 SGB II das Altersvorsorgevermögen für Selbstständige: Seit 1. Januar wird dieses an die Anzahl der Jahre der Selbstständigkeit geknüpft; die Berechnung ist im Einzelfall kompliziert. Wer aber beispielsweise 20 Jahre selbstständig war, dessen Altersvorsorge wird – unabhängig von der Anlageform – bis zu einer Summe von 160.000 Euro geschützt. Das gilt sogar für Barvermögen. Was nach viel klingt, entspricht bei 20 Jahren typischer Rentenbezugsdauer letztlich allerdings gerade einmal 667 Euro pro Monat. Dies und weitere Punkte wurden von der FDP durchgesetzt.

Großzügigere Hinzuverdienstregelungen

Ab dem 1. Januar 2023 gelten auch andere Regeln beim Zuverdienst - es bleibt aber ähnlich kompliziert wie bei Hartz IV. Wer bis zu 100 Euro monatlich hinzuverdient, darf den vollen Betrag behalten. Danach gibt es Staffelungen: Für das Bürgergeld liegt die nächste Stufe für den Zuverdienst zukünftig zwischen 100 und 520 Euro pro Monat. Hier bleiben 20 % des Verdienstes anrechnungsfrei. Oberhalb der Minijobgrenze werden Leistungsbeziehern seit Januar für jeden selbst verdienten Euro bis zur Grenze von 1000 Euro im Monat "nur" noch 70 Prozent (vorher: 80 Prozent) abgezogen. Pro selbst verdienten Euro bleiben also künftig 30 Cent und damit zehn Cent mehr. Die letzte Stufe bezieht sich auf monatliche Einkommen zwischen 1000 und 1200 Euro – davon bleiben zehn Prozent anrechnungsfrei. Für Alleinerziehende gilt eine Sonderregel: Ihr anrechnungsfreier Betrag von zehn Prozent gilt für ein monatliches Erwerbseinkommen zwischen 1000 und 1500 Euro. 

Warum viele Hilfen nicht ankommen

"Studien kommen zu dem Ergebnis, dass etwa 35 bis 40 Prozent der anspruchsberechtigten Menschen ihr Recht auf Grundsicherung nicht in Anspruch nehmen“, sagte Kerstin Bruckmeier vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vor Kurzem gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Viele Menschen seien womöglich zu schambehaftet, um Hilfe vom Staat in Anspruch zu nehmen – oder sie scheitern am Aufwand der Antragstellung, der verglichen mit den möglichen Hilfen sehr groß ist. Besonders Selbstständige müssen noch immer einen Berg von Anträgen ausfüllen, die oft schwer zu beantworten sind. Die Süddeutsche Zeitung schreibt: "Noch immer gibt es in Formularen Fragen mit doppelter Verneinung. Diese sind so schwer zu verstehen, dass selbst Experten angeben, nicht zu wissen, ob ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ die richtige Antwort ist."

Grundsicherung hat zudem noch immer einen schlechten Ruf: Sozialhilfe zu beziehen gilt für viele als Stigma. Gerade wer es gewohnt ist, im Job erfolgreich zu sein, will "nicht als Trittbrettfahrerin oder Trittbrettfahrer wahrgenommen werden, die oder der sich auf Kosten anderer finanziell besser stellt“, schreibt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in einer Studie. Um die Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu erhöhen, sollte die Beantragung und Auszahlung deshalb möglichst diskret erfolgen, raten die Experten. Es bleiben also viele Baustellen. 

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