Unser überaus aktives Vereinsmitglied (und nebenbei auch Datenschutzbeauftragter) Marc Dauenhauer hat zur Feder gegriffen und folgenden Offenen Brief an Olaf Scholz (SPD), Christian Lindner (FDP) sowie Annalena Baerbock und Robert Habeck (Grüne) geschrieben. Wir geben ihn im Wortlaut wieder.
Wie denkst du über den Brief? Wir freuen uns auf deinen Kommentar am Ende des Beitrags.
Liebe Koalitionäre, sehr geehrte Frau Baerbock, sehr geehrte Herren Scholz, Habeck und Lindner,
es ist fünf vor zwölf, wenn ich das so richtig sehe. Den Selbständigen in Deutschland geht es an den Kragen. Das haben vornehmlich Ihre Vorgängerregierungen verbockt, an denen aber Sie, lieber Herr Scholz, maßgeblich beteiligt waren.
Ich erinnere nur an die große Bazooka, mit der den Solo-Selbständigen geholfen werden sollte. Nicht nur, dass die Hilfe nicht ankam, sondern viele mussten die Hilfe am Ende doch zurückzahlen und nicht wenige sehen sich derzeit mit Strafverfahren konfrontiert, die unter nahezu absurden Begründungen die gebeutelten Selbständigen noch im Nachgang kriminalisieren und ihrer Existenz berauben.
Ist das der Respekt für uns?
Ich möchte daran erinnern, lieber Herr Scholz, dass es gerade Ihr Ministerium war, das bei den Hilfen gemauert hat. Aber lassen wir das, es ist alsbald Schnee von gestern - hoffentlich.
Ich möchte inständig daran glauben, dass Sie als Kanzler aller Deutschen und nicht nur der abhängig Beschäftigten regieren werden.
Jüngst hat das Bundessozialgericht auf Basis der bestehenden Gesetzgebung freiberufliche Notärzte, Vertretungsärzte u.a. pauschal zu Scheinselbständigen erklärt, ohne die Arbeitsrealitäten dieser Gruppen auch nur ansatzweise zur Kenntnis nehmen zu wollen. Die Argumente, mit denen hier selbständig Tätige zu Scheinselbständigen erklärt werden, lassen sich auf nahezu jede Berufsgruppe ausdehnen, die als externe Experten in Unternehmen auf Zeit tätig sind: Berater, Ingenieure, Juristen, Techniker, IT-Experten.
Das Bild des Selbständigen, das aus solchen Urteilen und der bisherigen staatlichen Behandlung und der Haltung der DRV spricht, ist das des industriellen Unternehmers aus dem letzten und vorletzten Jahrhundert, welches in keiner Weise mehr der heutigen hochvernetzten Arbeitswelt auch nur ansatzweise entspricht.
Wertschöpfung entsteht heute unter anderem dann, wenn selbständige Experten unterschiedlicher Bereiche Hand in Hand mit Unternehmen und für konkrete Projekte zusammenarbeiten können, ohne dass diese dafür gleich unselbständige Arbeitnehmer werden müssen. Im Gegenteil. Diese Experten füllen zeitweilige Qualifikationslücken und bringen Know-How sowie die notwendige Flexibilität in die Unternehmen, die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft dringend notwendig sind. Ihre vielfältige Erfahrung aus unterschiedlichen Projekten, ihr Blick über den Tellerrand, stellen die besonders gesuchten Eigenschaften dar.
Solo-Selbständige, Freiberufler und (Klein-)Unternehmer arbeiten in vielen Bereichen neben Festangestellten in den Unternehmen und bringen diese voran, helfen so auch Arbeitsplätze zu sichern und Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen. Die Digitalisierung ist ohne freie IT-Experten überhaupt nicht zu schaffen. Da können Sie Ihre digitalen Koalitionsziele gleich in den Reißwolf stecken, denn gerade der Staat bedient sich in diesem Bereich gut und sehr gerne der freiberuflichen Experten und Expertisen. Ein Schelm, der darin eine gewisse Doppelmoral erkennen möchte.
Wir Selbständigen sind weder alle prekär unterwegs noch ziehen wir die Schubladen voller Geld hinter uns her. Ganz im Gegenteil. Wir sind keine Hasardeure, sondern tragen Verantwortung. Nicht nur für uns sondern oft genug auch für unsere Familien und sonstigen Angehörigen. Nicht wenige von uns schaffen auch im Laufe ihrer Selbständigkeit weitere Arbeitsplätze oder gründen größere Unternehmen. Wir zahlen in diesem Land unsere Steuern und Abgaben und erleben jeden Tag, wie uns weitere Steine in den Weg gelegt werden, uns zu engagieren. Diese Wege zum Aufstieg machen Sie kaputt.
Ist das der Respekt für uns?
Die aktuelle Gesetzeslage ist derart schwammig, dass nicht einmal die Gründung einer Kapitalgesellschaft das Argument der Scheinselbständigkeit sicher entkräften kann. Gerade viele Gründer arbeiten am Anfang auf freiberuflicher Basis zusammen. Geld ist in der allerersten Phase immer knapp und die neuen Geschäftsmodelle noch nicht tragfähig genug, um feste Verpflichtungen wie Lohnzahlungen verlässlich zu erfüllen. Zudem haben diese Startups möglicherweise nur einen oder zwei erste Kunden, mit deren Hilfe sich das neue Projekt zur richtigen Firma entwickelt. All das wäre nicht mehr möglich, wenn wir das letzte Urteil des Bundessozialgerichts ernsthaft auf alle Branchen anwenden würden.
Hier entwickelt sich ein Schiefstand, der sich unmittelbar auf die Attraktivität von Berufen und Gründungen auswirkt. Gerade dort, wo Expertenwissen gefragt ist und sich Geschäftsmodelle um Wissensarbeit entwickeln, schlägt die aktuelle Entwicklung die größten Kerben. Viele der Jobs, die diese Gesellschaft dringend benötigt, werden von Selbständigen ausgefüllt - und zwar von Menschen, die Wert auf Ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit legen, die sich bewußt für dieses Arbeitsmodell entschieden haben.
Wollen Sie gut bezahlte Selbständige in unselbständige Arbeitnehmerüberlassungsverträge drängen, die nur den entsprechenden Arbeitsvermittlern dienen? Für diese ist das die Lizenz zum Gelddrucken. Verlieren tun dabei nur die Selbständigen und die Auftraggeber, die ca. das doppelte für die Expertenstunde bezahlen müssen.
So manch ein IT-Experte ist bereits ins Ausland abgewandert. Auch ich habe mir schon Exitszenarien mit einer eResidency in Estland zurechtgelegt, um meine Existenz zur Not im Ausland weiterführen zu können, wenn dies in Deutschland nicht mehr möglich oder gewünscht ist.
Die Behandlung von Selbständigen in Deutschland hat nichts, aber auch gar nichts mit dem "Respekt für Dich"-Slogan zu tun, mit dem Sie, lieber Herr Scholz, im Wahlkampf angetreten sind. Im Gegenteil, wir erfahren eine grobe und mutwillige Missachtung.
Natürlich müssen sich Selbständige auch an der Solidargemeinschaft beteiligen. Und das tun sie in weiten Teilen auch. Zum einen zahlen Selbständige Steuern in nicht geringem Umfang. Die meisten sorgen für Ihr Alter und ihre Gesundheit vor und belasten die Sozialsysteme gar nicht oder nur in geringem Umfang. Davon abgesehen, ist es eine berechtigte gesellschaftliche Diskussion, wie die Sozialsysteme unter Beteiligung aller Berufsgruppen in Deutschland weitergeführt werden können (Stichwort Bürgerversicherungen). Was aber in keinem Falle geht, ist ein faktisches Berufsverbot für eine bestimmte Gruppe von Menschen, nur um vermeintlich irgendwelche Sozialkassen auffüllen zu können.
Selbständig Tätigen wird die Aufnahme von Aufträgen erschwert, weil sich Auftraggeber in der heutigen Situation trotz des immensen Bedarfs schwer damit tun, die Risiken einer Beauftragung von Freiberuflern einzuschätzen. Denn am Ende steht immer das Strafgesetzbuch, das mit einer Strafverfolgung wegen Sozialversicherungsdelikten und Steuerhinterziehung droht. Dabei wollten doch alle nur ihren verdammten Job machen.
Das nenne ich mal Respekt für mich.
Liebe Koalitionäre, ich richte daher heute meinen Appell an Sie, die Hexenjagd auf Selbstständige - für die es noch nicht einmal eine gesetzliche Definition gibt - endlich zu beenden und für mehr Rechtssicherheit zu sorgen.
Wir Selbständige sind ein Teil dieser Gesellschaft. Machen Sie unsere Existenzen nicht weiter kaputt. Vielen Dank.
Für persönliche Gespräche, in welchem Format auch immer, stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.
Ich habe mir erlaubt, diesen öffentlichen Brief auf meiner Webseite und bei LinkedIn zu veröffentlichen und auch den einschlägigen Branchenverbänden zur Veröffentlichung anzubieten.
Mit freundlichen Grüßen
Marc Dauenhauer
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