Zur geplanten Reform des Statusfeststellungsverfahrens hat auf unsere Bitte hin Dr. Hartmut Paul Stellung genommen. Der ehemalige Rentenprüfer ist für eine der zu diesem Thema erfahrensten Kanzleien tätig, die rund 2.000 Statusfeststellungsverfahren pro Jahr begleitet.
Dr. Paul sieht die Reform kritisch und hält umfangreiche Änderungen für nötig, damit sie in der Praxis tatsächlich Verbesserungen bringt.
A. Methodisch gefährliche Abkehr von “Versicherungs- und Beitragspflichtfeststellung” vernichtet Rechtssicherheit
Wenn künftig nur noch das Tatbestandsmerkmal “Beschäftigung” Feststellungsgegenstand ist, entfällt jegliche Rechtssicherheit in Bezug auf die Umsetzung der Entscheidung. Eine Beschäftigung löst nicht in jedem Fall und nicht zu allen Zweigen Beitragspflichten aus. Ob Geringfügigkeit vorliegt, das gesetzliche Rentenalter erreicht ist, eine hauptberufliche Selbständigkeit i.S.v. § 5 Abs. 5 SGB V oder eine Überschreitung der JAEG der Kranken-/ Pflegeversicherungspflicht entgegensteht oder weitere Ausschluss-/ Sondertatbestände vorliegen, obliegt dann der alleinigen Prüfverantwortung der Auftraggeberseite. Dies führt zu erheblichen Rechtsunsicherheiten.
Eine Bindungswirkung anderer Versicherungsträger soll nach der neuen Formulierung in Abs. 2 letzter Satz nur bestehen, wenn die “Beurteilung von Versicherungspflicht” durchgeführt würde; gerade dies erfolgt aber in keinem Fall mehr: Der Rest der neuen Vorschrift sieht nur noch eine “Entscheidung”, “ob eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt”, vor. Ob und wenn ja zu welchen Versicherungszweigen aus einer “Beschäftigung” dann auch eine Beitrags- und Versicherungspflicht folgt, wird nicht festgestellt.
Beispiel 1: Auftragnehmer ist 67 Jahre alt, Entscheidung über “Beschäftigung” ergeht, Arbeitnehmer meldet zur Sozialversicherung, zahlt Beiträge, Betrieb wird insolvent, Arbeitnehmer beantragt Insolvenzgeld und Arbeitslosengeld, Arbeitsagentur kann Leistungen verweigern, denn eine “Versicherungspflicht” wurde von der Clearingstelle nach dem neuen § 7a SGB IV niemals beurteilt. Es wurde nur das Vorliegen einer “Beschäftigung” festgestellt und die selbständige Tätigkeit ausgeschlossen.
Beispiel 2: Arbeitnehmer ist berufsständisch versichert, Befreiung von Rentenversicherungspflicht nach § 6 SGB VI vorhanden. Entscheidung über “Beschäftigung” ergeht – zu welchen Zweigen soll angemeldet werden? Nach welcher Rechtsgrundlage erfährt Arbeitnehmer, ob die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wirksam und rechtsgültig für das beurteilte Rechtsverhältnis besteht? Bei Falschbeurteilung drohen horrende Nachforderungen in Betriebsprüfung.
Beispiel 3: Selbständige Cutterin/Videoeditorin ist für zahlreiche Auftraggeber tätig (ca. 30-60 Aufträge/Monat). Ein Auftraggeber lässt prüfen und erhält Ergebnis “Beschäftigung”. Muss nur RV/AV abgeführt werden (unständige Beschäftigung, kurzfristige Beschäftigung, geringfügige Beschäftigung, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, …?) oder KV/PV (wie soll aber ein Auftraggeber prüfen/ beurteilen, ob die Cutterin hauptberuflich selbständig ist i.S.d. § 5 Abs. 5 SGB V)? Nach derzeitigem Recht würde immerhin ein Bescheid ergehen, der die konkreten Zahlungspflichten bindend festlegt bzw. verbindlich von Zahlungspflichten exkulpiert.
Beispiel 4: Rückwirkende Beurteilung eines seit 2001 bestehenden Rahmenvertrages mit einem Freelancer als “Beschäftigung” – was folgt daraus auf Beitragsseite? Verjährung ganz oder teilweise? Derzeit müsste im Verfügungssatz konkret angegeben werden, für welche Zeiträume zu welchen Versicherungszweigen nachzuzahlen wäre.
Beispiel Abwandlung 5: Rückwirkende Beurteilung eines von 2001 -2015 bestandenen Rahmenvertrages mit einem Freelancer als “Beschäftigung” – was folgt daraus auf Beitragsseite? Insbesondere wenn kein aktuelles Rechtsverhältnis zwischen den Vertragsparteien mehr besteht und der Arbeitgeber wider Willen keine Erkenntnismöglichkeiten mehr hat, wie soll der Arbeitgeber dann beurteilen, zu welchen Zweigen für welche Zeiträume nachzuzahlen ist, ob der ehemalige Freelancer privat krankenversichert war, ob er die Altersgrenze bereits damals überschritten hatte etc.?
Alternativvorschlag zu A
Die Rechtsprechung des 12. Senates des BSG über das Verbot der Elementenfeststellung (Verbot der Feststellung des Vorliegens/ Nichtvorliegens von Beschäftigung) führt zu erheblichen Problemen in der Praxis. Insbesondere sind derzeit Auftraggeber rechtlos gestellt, deren Vertragspartner beispielsweise den Tatbestand der Geringfügigkeit erfüllen oder aus Altersgründen (67 oder älter und Rentenbezug) keine Arbeitnehmeranteile entrichten müssten im Fall der abhängigen Beschäftigung, weil daraus keine Beitragspflichten i.E.S. folgen würden. Es würden gleichwohl Zahlungspflichten des Auftraggebers (Minijobabgaben etwa, oder Arbeitgeberanteile zu RV und AV bei Altersrentnern) aus einer solchen Feststellung folgen. Gegen einen Verwaltungsakt der Clearingstelle mit dem Verfügungssatz “Es besteht wegen abhängiger Beschäftigung keine Versicherungspflicht zu Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie keine Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung” verweigern zahlreiche Sozialgerichte bereits die Klagebefugnis des “Arbeitgebers”. Dieser wäre zurzeit rechtlos gestellt und könnte nicht durchsetzen, die Selbständigkeit zu bestätigen. Um dieses Problem zu ändern, sollte wie bisher auch schon die Aufgabe der Clearingstelle bleiben, die versicherungs- und beitragsrechtlichen Konsequenzen zwingend tenorieren zu müssen; es sollte aber im Gesetz klargestellt werden, dass auch bei einer i.E.S. nicht bestehenden Versicherungspflicht möglicherweise aus einer abhängigen Beschäftigung resultierende Zahlungspflichten (oder beispielsweise auch: drohender Rauswurf aus der Künstlersozialversicherung, weil keine Einkünfte als “selbständiger” Künstler erzielt würden) prozessual angreifbar bleiben und dass insoweit der Feststellungsspielraum der Clearingstelle ausgeweitet wird.
B. Problematische Vermischung Arbeitnehmerüberlassung
Durch den geplanten Abs. 2 Satz 2 wird ein Endkunde in das Beurteilungsverfahren einbezogen, ohne hierzu Beteiligungsrechte oder -pflichten zu regeln und sogar unter Ausschluss von Anhörungspflichten. Im Geschäftsleben kann ein Kunde regelmäßig nicht erkennen, welchen Versicherungsstatus die tatsächlich tätigen Personen haben. Es bestehen nicht zuletzt aufgrund ausufernder datenschutzrechtlicher Bestimmungen keine Auskunftsrechte und keine Ermittlungsmöglichkeiten der Kunden hierzu. Wer etwa einen IT-Dienstleistungsbetrieb beauftragt, Programme zu entwickeln, eine Unternehmensberatung beauftragt, Prozesse zu optimieren oder ein Bauunternehmen mit der Errichtung eines Hauses betraut, weiß nicht, in welcher Beziehung die IT-Experten, Unternehmensberater oder Baubetriebe zu dem Vertragspartner stehen.
Gerichte gehen bereits dazu über, bei gewöhnlichen Betriebsprüfungen aus einer Klage gegen einen Betriebsprüfbescheid pro feststellungsbetroffener Person (“Beizuladender”) ein getrenntes Aktenzeichen zu vergeben (selbst, wenn es sich um die vier geschäftsführenden Gesellschafter des Unternehmens handelt, die gegen ihre Beurteilung als “pflichtig” vorgehen). Die Begründung lautet “Datenschutz”. Wie sollen Endkunden sauber in die Beurteilungskette einbezogen werden und welche Informationspflichten und Befugnisse sollen wo warum eingeräumt werden bzw. für den Fall der Nichteinräumung, wie sollen solche Verfahren datenschutzkonform in der Praxis abgewickelt werden
Alternativvorschlag zu B
Es gibt bereits die Betriebsprüfungsbefugnis der Hauptzollämter bei Verdacht auf Schwarzarbeit und es gibt bereits die Betriebsprüfbefugnis der Bundesagentur für Arbeit bei tatsächlicher oder vermuteter Arbeitnehmerüberlassung. Das BSG hat in der zitierten Entscheidung vom 14.März 2018, B 12 KR 12/17 R, der Grundsatzabteilung der Deutschen Rentenversicherung Bund bereits mit auf den Weg gegeben, dass die Ermittlungen von Weisungsbindung und Eingliederung sich auf alle Vertragsverhältnisse und alle gelebten Verhältnisse u erstrecken haben – dies allerdings führt gerade nicht dazu, dass eine Statusentscheidung zu Lasten Dritter ergehen kann. Vielmehr wäre eine Eingliederung des Auftragnehmers bei einem Endkunden des Auftraggebers dem Auftraggeber zuzurechnen, der zu den entsprechenden Meldungen und Beitragszahlungen verpflichtet wäre. Sollte sich darüber hinaus ergeben, dass eine verbotene Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, bietet das AÜG hinreichende Regelungen für das weitere Vorgehen sowohl zivilrechtlicher/ arbeitsrechtlicher als auch ordnungsrechtlicher Natur.
C. Wegfall Anhörungserfordernis zu weitreichend
Unsauber formuliert ist der geplante Abs. 3 Satz 3 (Wegfall Anhörungserfordernis bei “übereinstimmendem Antrag der Beteiligten”): Gemeint sind offenbar nur AG und AN, die “übereinstimmende” Anträge stellen müssten. Drittbetroffene sind zu diesem Zeitpunkt nicht beteiligt, erfahren nichts von der Antragstellung, können dem auch nicht widersprechen, wären dann aber bei einer anhörungslosen Entscheidung gebunden bzw. auf den Widerspruchs-/ Klageweg verwiesen. Gerade wenn “Dritte” gem. neuem Abs. 2 Satz 2, 3 ausdrücklich zum Gegenstand der Feststellung werden sollen, verbietet sich eine solche Regelung. Nicht zuletzt entsprechend BSG 3.7.2013, B 12 KR 8/11 R sind die Informations- und Beteiligungspflichten der Deutschen Rentenversicherung Bund gegenüber Drittbetroffenen enorm weitreichend.
Alternativvorschlag zu C
Klarstellung, dass der “übereinstimmende Antrag” sich auf alle Betroffenen beziehen muss bzw. dass niemand als Drittbetroffener ein Recht auf eine Anhörung verliert, der nicht Antragstellend war.
D. Problem Massengeschäft
In zahlreichen Branchen ist die freiberufliche bzw. selbständige Tätigkeit absolut üblich. Im Rahmen von Förderprogrammen verdingen sich Personen als z.B. Nachhilfelehrer/innen, in der Filmbranche sind zehntausende freiberufliche Cutter/Videoeditoren auf Rechnungsbasis tätig, Fitnesseinrichtungen vergüten für Yogakurse oder Spinningstunden freiberufliche Trainer etc. Die Anbieter stehen in harter Konkurrenz zu zahllosen Mitbewerbern, die Auftragnehmer sind nicht gewillt sich anstellen zu lassen, die Tätigkeiten eignen sich nicht für Festanstellungen mit den Konsequenzen von Urlaubs- und Krankheitstagen, Befristungsverboten etc., die einzelnen Auftragsverhältnisse umfassen oftmals nur einzelne kurze Aufträge pro Person, der wirtschaftliche Rahmen lässt keinen Spielraum. Es ist in diesen Bereichen weder leistbar noch bezahlbar, für ein Auftragsverhältnis der Größenordnung von 50 -1.000 Euro Gesamthonorar pro Auftragnehmer ein Statusfeststellungsverfahren durchzuführen. Dieses Problem wird durch eine in der Geltungsdauer beschränkte “gutachterliche Äußerung” (geplanter Abs. 4b/4c) nicht gelöst. Es müsste immer noch jeder Auftragnehmer für jeden Auftraggeber eine gutachterliche Äußerung beantragen, es müsste immer noch jeder Auftraggeber für jeden Auftragnehmer ein Verfahren führen.
Wie wirklichen Probleme der Praxis werden durch die geplante Änderung nicht behoben. Es hängt immer noch jeglicher Rechtsschutz des Auftraggebers vor existenzvernichtenden Nachzahlungen davon ab, ob jeder einzelne Auftragnehmer kranken-/rentenversichert ist und dem späten “Eintritt in das Beschäftigungsverhältnis” zustimmt. Diese Zustimmung ist jederzeit widerruflich. Noch dazu sind gerade die genannten Auftragnehmergruppen ohnehin versichert, entweder als selbständige Lehrer nach § 2 SGB VI oder nach dem KSVG. Hier bindet das Streitpotential darum, wer die Beiträge letztlich abzuführen hat, wertvolle Ressourcen.
Alternativvorschlag zu D
Ausdehnung der Bescheinigung über “Selbständigkeit” personenbezogen aus Auftragnehmersicht (Selbständige erhalten auf Antrag Bescheinigung über ihre sozialrechtliche Anerkennung als selbständig in dem der Bescheinigung zugrundeliegenden Tätigkeitsfeld ohne Beschränkung der Bescheinigung auf nur den jeweiligen Auftraggeber) bzw. tätigkeitsbezogen aus Auftraggebersicht (Auftraggeber erhalten auf Antrag Bescheinigung über das Nichtvorliegen von beitragspflichten in dem der Bescheinigung zugrundeliegenden Tätigkeitsfeld ohne personenbezogene Beschränkung).
E. Grundsätzlicher Verbesserungsvorschlag
Wiedereinführung des alten § 7b SGB IV, wonach die Versicherungspflicht stets erst mit Bekanntgabe der Entscheidung über die Versicherungspflicht beginnt, es sei denn, es liegt Vorsatz vor in Bezug auf die Nichtanmeldung offensichtlicher Beschäftigungsverhältnisse.
Experten-Talks mit Dr. Hartmut Paul beim VGSD:
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