Normalerweise schreibe ich nicht über StartUps, meine Leidenschaft gehört den ganz normalen Selbstständigen und ihrer unternehmerischen Leistung. Heute mache ich aber eine Ausnahme:
Ein deutsches StartUp, das ich von Anfang an mit Interesse verfolgt habe, ist die Linguee GmbH in Köln. Vor wenigen Tagen hat sie sich nun in DeepL umbenannt und bietet unter diesem Namen einen kostenlosen automatischen Übersetzungsdienst an. Es scheint so, als hätte hier ein deutsches Unternehmen mal die Nase vorn - vor Wettbewerbern wie Google Translate.
Die Benutzung ist ganz einfach
Die Benutzung ist ganz einfach und könnte auch für viele VGSD-Mitglieder da interessant sein, wo es nicht auf jedes einzelne Wort und sensible Zusammenhänge ankommt - etwa bei formloser Korrespondenz oder beim Recherchieren von Inhalten auf fremdsprachigen Webseiten. Bei Marketing-Dokumenten (z.B. Website-Texten) oder der Übersetzung von Angeboten, Verträgen und anderen juristisch und finanziell relevanten Texten sollte man dagegen weiterhin einen Übersetzer einschalten, denn je plausibler die automatisch erzeugte Übersetzung, desto größer das Potenzial, peinliche oder aus anderen Gründen folgenreiche Übersetzungsfehler zu übersehen.
Die DeepL-Website besteht ähnlich wie Google Translate aus zwei großen Eingabefeldern: Man kopiert (oder tippt) den zu übersetzenden Text in das linke Feld bzw. Fenster ein. Die Sprache des Textes wird erkannt (oder man wählt sie manuell aus) und im rechten Fenster erscheint nach wenigen Sekunden die Übersetzung, die man von dort wiederum nach Word oder Mail kopieren und weiter verarbeiten kann. Auch im "Output-Fenster" kann man aus sieben Sprachen (deutsch, englisch, französisch, spanisch, italienisch, niederländisch und polnisch) auswählen. Eine Übersetzung ist auch direkt z.B. von englisch nach französisch möglich. Einzelne Wörter in der Übersetzung kann man markieren und bekommt dann alternative Übersetzungen angeboten, zwischen denen man wählen kann.
Die Übersetzungen von DeepL sind nicht perfekt, im Duell "Mensch gegen Übersetzungsmaschine" (das der BDÜ veranstaltete und in einem interessanten Video dokumentierte) würden sie nach wie vor den Kürzeren ziehen. Im Blindtest gegen Google-Translate & Co. ist DeepL aber Sieger und beim testweisen Übersetzen unseres Petitionstextes hat mich die Qualität und Verständlichkeit des Ergebnisses überrascht (auch wenn ich den einen oder anderen offensichtlichen Fehler nachbessern musste und der Text im Fall einer Veröffentlichung durch einen - idealerweise muttersprachlichen - Übersetzer zu prüfen bzw. lektorieren wäre).
Anwendungsbeispiele
Heute morgen konnte ich auf diese Weise unsere Partnerverbände mit einer groben Übersetzung unseres Petitionstextes über unsere Kampagne informieren. Statt das Anschreiben direkt in Englisch zu schreiben - wie ich das sonst tue -, verfasste ich es erst mal auf Deutsch und ließ es übersetzen, bevor ich es dann überarbeitete.
Am Wochenende konnte ich mir zudem endlich einmal ein besseres Bild davon machen, was für Themen unsere Schwesterverbände in Frankreich, Spanien, Italien, den Niederlanden und Polen beschäftigen, indem ich mir Texte von deren Webseiten übersetzen ließ.
Gründe für die hohe Qualität
Die Frage nach den Gründen für die höhere Qualität der Übersetzungen - im Vergleich zu anderen kostenlosen Online-Übersetzern - beantwortet die DeepL GmbH damit, dass sie anders als Google Translate nicht auf rekurrente Netze setzt, sondern auf Convolutional Networks - und damit die Texte stärker parallel verarbeiten kann. Außerdem verfügt DeepL über einen verbesserten Aufmerksamkeits-Mechanismus und Beam-Search. Was immer das ist: Es führt offenbar in der Regel zu besseren Ergebnissen. Eine offensichtliche Stärke ist dabei, dass DeepL bei der Übersetzung auch unwahrscheinlichere Worte in Erwägung zieht, wenn diese im Gesamtzusammenhang sinnvoller erscheinen, und nicht nur das am häufigsten verwendete Wort.
Ein weiterer Erfolgsfaktor für automatisierte Übersetzungsdienste ist die Menge an Übersetzungen, mit denen die Maschine gefüttert werden kann, um zu lernen. Hier kann man offensichtlich auf der Stärke von Linguee aufbauen. Der Dienst basiert (wie bei Wikipedia beschrieben) auf einem spezialisierten Webcrawler, der - wie eine Suchmaschine - das Internet nach qualitativ hochwertigen, zweisprachigen Texten durchsucht und in parallele, einander entsprechende Satzpaare zerlegt. Die Qualität von deren Übersetzung wird in einem automatisierten Verfahren bewertet. Nutzer können Übersetzungen auf Linguee zudem auch manuell bewerten, wodurch die Maschine laufend weiter dazulernen soll.
Zusätzlich verwendet Linguee Übersetzungen von Patenttexten sowie EU-Parlamentsprotokollen und Rechtsvorschriften der Europäischen Union. Nach eigenen Angaben bietet Linguee somit den Zugriff auf etwa 100 Millionen Übersetzungen.
Sicherheitslücken: Vorsicht bei der Übersetzung vertraulicher Inhalte!
Zur Vorsicht mahnt u.a. der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) und weist auf die erheblichen Sicherheitsrisiken bei der Nutzung automatisierter Online-Übersetzungsdienste hin. Gerade in Zusammenhang mit DeepL erklärte BDÜ-Vizepräsident Ralf Lemster kürzlich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Im geschäftlichen Bereich, im rechtlichen Bereich wird es allein schon mit der Datensicherheit schwierig, denn es geht über völlig ungesicherte Verbindungen.“
Dass sich die unbedarfte Nutzung eines Dienstes unmittelbar negativ auf die Informations- und Datensicherheit von Unternehmen auswirken kann, zeigt das jüngste Beispiel des Informationslecks bei translate.com, einem weiteren Konkurrenten von Google Translate. Hier sind hochsensible Informationen von der Google-Suchmaschine indexiert worden und damit der Öffentlichkeit zugänglich geworden. Aus diesem Grund befasst sich auch das MDÜ, die Fachzeitschrift des Berufsverbands, in ihrer aktuellen Ausgabe mit dem Schwerpunktthema „Informationssicherheit“ (PDF des Beitrags).
Es gibt auch Stimmen, laut denen für andere Sprachkombinationen als solche mit der Weltsprache Englisch gar keine so große Qualitätsverbesserungen festzustellen sind. Das wird in der Fachcommunity sicher noch eingehend diskutiert werden. Sogar für Englisch finden die Profis auch bei DeepL einige Schwachpunkte, die zu Irritationen führen können, einem Laien aber möglicherweise gar nicht auffallen, da es ja „ganz gut und richtig klingt“.
Die Digitalisierung verändert das Berufsbild des Übersetzers
Die automatische Übersetzung ist ein Beispiel dafür, wie sich durch die Digitalisierung traditionsreiche Berufsbilder potenziell verändern können. Bei Übersetzern stellt sich zudem die Frage, ob der angesichts von Globalisierung und internationalem Handel stark wachsende Bedarf ohne technische Unterstützung überhaupt zu bewältigen ist. Viele Übersetzer nutzen schon lange CAT-Programme ("computer-assisted translation"). In bestimmten Zusammenhängen setzen Übersetzer auch selbst automatische Übersetzung ein und "lektorieren" dann die resultierenden Texte. Dafür hat sich die Bezeichnung "post editing" etabliert. Die erforderliche Qualifikation der Übersetzer nimmt durch die Automatisierung weiter zu, denn je plausibler die automatisierten Übersetzungen, um so leichter sind Fehler zu übersehen. Muttersprachler, die ohne Studium oder Spezialisierung auf ein Fachgebiet übersetzen, werden möglicherweise das Nachsehen haben.
Deutsche Konkurrenz zu Global Playern
Die Geschäftsidee von Linguee, die auf den Google-Mitarbeiter Gereon Frahling zurück geht, wurde 2008 mit dem Hauptpreis des Gründerwettbewerbs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie ausgezeichnet. Im April 2009 ging Linguee online.
Ich bin gespannt, wie es mit DeepL weiter geht. Man stelle sich vor, ein deutsches Start-up würde einen Suchalgorithmus entwickeln, der dem von Google so überlegen ist wie die Übersetzungsleistung von DeepL der von Google Translate... (Natürlich hat Google eine unvergleichlich viel größere Bekanntheit und Marketingpower als DeepL und wird sich das Unternehmen im Zweifelsfall einfach kaufen.)
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