Welche Formerfordernisse sind sinnvoll, welche können weg? Regionalgruppensprecher Lars Bösel durfte diese Fragen des Justizministeriums als Vertreter des VGSD erörtern – und war angetan von der konstruktiven und offenen Atmosphäre.
Allein unter Juristen: So fühlte sich Regionalgruppensprecher Lars Bösel bei der Verbändeanhörung im Bundesjustizministerium (BMJ) zu Schriftformerfordernissen am 7. September in Berlin. Dennoch erlebte Lars die Sitzung positiv: mit einer offenen Atmosphäre, genug Zeit zum Sprechen, einer konstruktiven Diskussion und ehrlichem Interesse aus dem Ministerium. Als Praktiker und Vertreter der kleinen Selbstständigen fühlte sich Lars ernstgenommen und wertgeschätzt.
Die Mehrheit der rund 15 Vertreter/innen aus den Verbänden hatte einen juristischen Hintergrund und trug entsprechend vor: mit Bezug auf einzelne Paragraphen des BGB und anderer Gesetze oder Vorschlägen zur Streichung von einzelnen Sätzen oder Wörtern in den Paragraphen. Lars hingegen sprach aus Praxissicht, auf der Basis seiner eigenen Erfahrung und der anderer Mitglieder.
Folgende Punkte, die auch auf das von uns eigens für die Anhörung durchgeführte VGSD-Voting zurückgehen, [https://www.vgsd.de/mitbestimmen/schriftformerfordernis] hatte Lars mitgebracht:
- Abschließende und eindeutige Liste der Formerfordernisse und Aufbewahrungsfristen
- Verzicht auf Schriftform im Arbeitsverhältnis
- Weniger Papierkram mit Banken und Versicherungen
- Verzicht auf Schriftformerfordernis bei Ausbildungsverträgen, Ausbildungsnachweisen und ähnlichem
- GoBD-Vereinfachung
Die Punkte 2, 3 und 4 wurden schon von Vorrednern aufgegriffen. Lars konnte diese bei seinem Vortrag aus Sicht unserer Mitglieder bestätigen, erläutern und bekräftigen. Anschließend brachte er den Wunsch nach einer GoBD-Vereinfachung und nach einer abschließenden Liste der Formerfordernisse vor.
Lars bekam die Rückmeldung, dass dies wichtige Punkte seien und Selbstständige künftig mehr berücksichtigt werden sollen. Er empfand ehrliches Interesse aus dem Ministerium, da die aufgeworfenen Punkte kommentiert und Rückfragen gestellt wurden. Da nicht alle vorgebrachten Anliegen in die Zuständigkeit des BMJ fallen, werden diese sortiert und an die entsprechenden Ministerien weitergegeben.
Lars bekam die Zusage, dass wir als VGSD wieder zu Anhörungen eingeladen und über die weitere Entwicklung informiert werden – wir freuen uns schon darauf und darüber, Teil eines solchen konstruktiven Prozesses zu sein!
Wenn das Bundesjustizministerium (BMJ) Verbände befragt, dann muss es oft ganz schnell gehen. Am Dienstag dieser Woche haben wir die Einladung zu einer Verbändeanhörung am Donnerstag nächster Woche bekommen. Der Einsatz lohnt sich aber, wie die BMJ-Befragung zum Thema Bürokratieabbau zeigt. Wir haben die Chance, zum Thema Schriftform-Erfordernisse, Antworten auf folgende Fragen zu geben:
- Welche Schriftformerfordernisse behindern in der Praxis die Digitalisierung von Prozessen?
- Wie wichtig sind Formerfordernissen aus unserer Sicht für Beweiszwecke, insbesondere im Hinblick auf gerichtliche Verfahren? Gibt es Bereiche, in denen aus Sicht der Selbstständigen digitale Verfahren ausreichen, die nur eine geringe „Beweiskraft“ vor Gericht haben?
- Welche Verbesserungen schlagen wir vor?
Mach mit beim VGSD-Voting und hilf uns, ganz konkret bürokratische Pflichten zu reduzieren
Wie schon zum Thema Bürokratieabbau wollen wir auch dazu gerne im Rahmen eines VGSD-Voting eure Vorschläge sammeln und über diese abstimmen.
Denn Schriftformerfordernis bedeutet nicht nur mehr Aufwand beim Schließen eines Vertrags und Abgeben einer Willenserklärung, weil dies nicht digital erfolgen kann. Es bedeutet auch, dass man die entsprechenden Dokumente oft sehr lange physisch aufbewahren muss, statt einfach nur einen Scan zu speichern.
Jetzt mit mitmachen und zur Entbürokratisierung beitragen: Bei welcher Art von Dokumenten fühlst du dich von der Schriftformerfordernis behindert? Welche Verbesserungsvorschläge hast du? Zum VGSD-Voting.
Was bedeutet Schriftformerfordernis eigentlich?
Von Schriftformerfordernis spricht man, wenn ein Gesetz vorschreibt, dass bestimmte Schriftstücke von den Vertragspartnern eigenhändig zu unterzeichnen sind, zum Beispiel
- im Arbeitsrecht (Abschluss, Änderung und Kündigung eines Arbeitsvertrages, vergleiche dazu unten),
- im Mietrecht (Abschluss oder Kündigung sowie Ankündigung von Mieterhöhungen),
- im Erbrecht (eigenhändiges verfassen eines Testaments als Alternative zum notariellen Testament),
- im Verwaltungsrecht (Widerspruch gegen einen Bescheid) und so weiter.
Das ist sinnvoll, wenn es um viel Geld geht und darum, im Streitfall vor Gericht nachweisen zu können, was vereinbart war. Missachtet man die Schriftformerfordernis, sind Willenserklärung bzw. Vertrag unwirksam!
In manchen Fällen kann man anstelle der Schriftform die elektronische Form wählen (eine E-Mail mit qualifizierter elektronischer Signatur), wenn beide Seite damit einverstanden sind. Oft ist die Schriftform aber unerlässlich. Wenn es um besonders wichtige Dinge geht (Immobilienkauf, Ehevertrag, Erbvertrag usw.), ist sogar eine notarielle Beurkundung vorgeschrieben: Die Unterschrift muss bei einem Notar erfolgen, nachdem dieser das Schriftstück vorher erstellt oder mindestens überprüft hat. Der Notar kann den Anwesenden auch Fragen zu Rechtsfolgen beantworten und bei Bedarf noch Änderungen vornehmen.
Was heißt "Textform"?
Ansonsten gilt im Geschäftsleben Formfreiheit, wenn die beteiligten Parteien einverstanden sind. Man kann Verträge auch mündlich schließen – oder in Textform. Bei der Textform muss die Erklärung nur schriftlich festgehalten werden und lesbar sein. Außerdem müssen die Person, die die Erklärung abgibt, genannt werden. Das Dokument muss aber nicht unterschrieben sein. Technisch geht das mit einfacher E-Mail, per Messenger/SMS oder per Fax bzw. durch den Versand eines eingescannten Dokuments. Beispiele sind Angebote, Anmeldungen und Garantieerklärungen.
Seit einem Jahr: 2.000 Euro Strafe für rein digitale Arbeitsverträge
Solo-Selbstständige bleiben von einer Menge Bürokratie verschont, denn mit dem ersten Arbeitnehmer kommen auch eine Menge bürokratischer Pflichten.
Und statt Digitalisierungshürden abzubauen, hat der deutsche Staat zuletzt neue Schriftformerfordernisse eingeführt, nämlich indem er bei der Umsetzung der "EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen" ins deutsche Recht eine elektronische Form explizit ausgeschlossen hat. Dabei hätte die Richtlinie sogar Arbeitsverträge in Textform erlaubt. Deutschland dagegen zwingt Unternehmen und private Arbeitgeber nun, Arbeitsverträge in jedem Einzelfall auszudrucken, zu unterschreiben und physisch aufzubewahren. Seit August 2022 droht für jeden Arbeitsvertrag, der nur digital vorliegt, ein Bußgeld von 2.000 Euro! Die Änderung fällt in eine Zeit, in der immer mehr Angestellte remote arbeiten.
Die Schriftformerfordernis gilt für alle neuen Arbeitsverträge und auf Antrag der Arbeitnehmer/in auch bei bestehenden Verträgen – inklusive der zahlreichen Anhänge, die aufgrund der DSGVO nötig sind. Auch für Gehaltserhöhungen, Arbeitszeitänderungen, Festlegung neuer Aufgaben und andere wesentliche Änderungen ist die Schriftform vorgeschrieben. Entsprechend viel Papier muss bedruckt und an die Mitarbeiter versendet werden. Das führt zu Verzögerungen, kostet Arbeitszeit, Porto, Lagerkapazität und schadet der Umwelt.
Genau dasselbe gilt übrigens teilweise, wenn Mitarbeiter an bzw. über den Arbeitgeber Anträge stellen oder Nachweise erbringen müssen. Wenn sie zum Beispiel Pflegezeit in Anspruch nehmen wollen, ist dafür, aber auch für die zu erbringenden Nachweise die Schriftform vorgeschrieben.
Schriftformerfordernis für Ausbildungsverträge und Ausbildungsnachweise
Ausbildungsverträge werden zwar bereits überwiegend digital ausgefüllt, müssen dann aber ausgedruckt, von Hand unterschrieben und im Anschluss als Kopie bei der zuständigen IHK vorgelegt werden, statt das alles ohne Medienbrüche digital zu verarbeiten.
Ausbildungsnachweise werden bereits digital an die IHKs versendet und eine elektronische Form ist auch ausreichend. Da die meisten Betriebe aber bisher nicht über qualifizierte digitale Signaturen verfügen, ist das mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden.
Auch Ausbildungszeugnisse, die Ergebnismitteilung des ersten Teils der Abschlussprüfung und die Anzeige von Umschulungsmaßnahmen unterliegen der Schriftformerfordernis – die Industrie- und Handelskammern halten das für nicht mehr zeitgemäß und fordern deren Abschaffung.
Schriftform bei Banken und Versicherungen
Besonders oft von Hand unterschreiben muss man – vom Gesetzgeber ist das so vorgegeben - bei Banken, Versicherungen und Bausparkassen. Gerne würden diese die Digitalisierung stärker nutzen, digital mit ihren Kunden kommunizieren und Verträge schließen, statt viel Papierkram hin- und herzuschicken. Das gilt für das On- und Offboarding der Kunden, aber auch für Änderungen der Vertragsbedingungen. Für nicht mehr zeitgemäß halten Banken und Versicherungen zum Beispiel die Schriftform beim Verbraucherkreditvertrag, bei Zusagen zur betrieblichen Altersvorsorge, bei der Riester-Rente und bei der Zulagen-Beantragung bei Bausparverträgen.
Lars Bösel vertritt uns beim Justizministerium
Wir sind gespannt auf deine Erfahrungen und Vorschläge, wo die Schriftformerfordernis abgeschafft werden sollte. Unser Vereinsmitglied Lars Bösel wird den VGSD bei der BMJ-Anhörung am Donnerstag, 7.9.23, vertreten und deine Anregungen und Forderungen weitergeben, wenn sie von anderen Mitgliedern geteilt wird!
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