"Existenzgründer werden wieder mutiger" titelte das Manager Magazin heute, "Neuunternehmer trotzen der Krise" die Börsen-Zeitung, "Deutlich mehr Existenzgründungen – Corona-Knick wettgemacht" schreibt der Merkur und die Welt: "Jetzt brechen goldene Gründerzeiten an".
Diese und andere Medienberichte, in denen von einer Trendumkehr beim Gründungsgeschehen die Rede ist, gehen auf eine einseitige Vorauswertung zum KfW-Gründungsmonitor zurück, die die staatliche Förderbank heute veröffentlicht hat und aus der die folgende Grafik stammt. Die dort oben links abgebildeten Kurven, die die Zahl der Gründungen insgesamt (dunkelblau), in Voll- und Teilzeit (grün bzw. hellblau) darstellen, sind bereits seit 2002 im Großen und Ganzen rückläufig. Zwischen 2002 und 2017 ist die Zahl der Nebenerwerbsgründungen um etwa die Hälfte, die Zahl der Vollerwerbsgründungen sogar um zwei Drittel zurückgegangen. Seit 2017 scheint es eine Art Bodenbildung zu geben.
Die Zahl der Gründungen schwankt nun leicht nach oben und unten – auf historisch niedrigem Niveau. Die Journalisten sehnen sich in den jetzigen Zeiten – verständlicherweise – nach guten Nachrichten. Der von ihnen nun verbreitete Eindruck, wir hätten es mit einem kleinen Gründungswunder zu tun, ist aber irreführend, wenn man nicht nur die letzten fünf Jahre anschaut, wie in der Grafik oben rechts, sondern die gesamte Zeitreihe.
Tatsächlich hat Zahl der Selbstständigen laut IAB-Schätzungen 2021 um 150.000 abgenommen
Die Gründungen sind zudem nur die eine Seite der Medaille. Nach den verlässlichen Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nahm 2020 und 2021 die Zahl der Selbstständigen jeweils um 150.000 ab. Die Zahl der Gründungen reichte 2021 also keineswegs, um die Zahl der Geschäftsaufgaben auszugleichen. Da unter der Großen Koalition schon in den Jahren zuvor die Zahl der Geschäftsaufgaben die der Gründungen weit überstieg, haben wir es seit deren Regierungsstart 2013 mit einem Netto-Rückgang der Selbstständigenzahl von insgesamt 600.000 zu tun.
Aber ist dieser Rückgang angesichts der von der KfW gemeldeten rund 600.000 Voll- und Nebenerwerbsgründungen nicht schnell wieder aufzuholen, wenn weniger Geschäfte aufgegeben werden? – Auch das stimmt nur begrenzt, denn die Zahl von 600.000 deckt sich nicht mit anderen Statistiken, die auf Anmeldungen bei Gewerbe- und Finanzämtern beruhen. Tatsächlich handelt es sich bei der "Anzahl Existenzgründungen in Tausend" nicht um tatsächliche Gründungen, sondern um Personen, die bei der Befragung durch die KfW ein Gründungsinteresse bzw. konkrete Umsetzungpläne angegeben haben. Aber nicht alle diese Gründungsinteressierten werden auch tatsächlich Gründer/innen bzw. werden teilweise in ihrer Absicht über mehrere Jahre erfasst. Beim Lesen des KfW-Textes ("Mit 607.000 Existenzgründungen haben sich 70.000 mehr Menschen selbstständig gemacht als 2020.") entsteht freilich ein anderer Eindruck.
Zahl der Gründer von 1,04 auf 1,19 Prozent gestiegen – Messfehler inklusive
Zudem treibt die KfW bei ihrer Befragung zwar viel Aufwand, sie ist repräsentativ erhoben. Allerdings sind nur ein kleiner Teil der Befragten (zuletzt 1,19, zuvor 1,04 Prozent) gründungswillig, so dass letztlich eine kleine absolute Zahl von gründungsinteressierten Personen auf die Grundgesamtheit hochgerechnet werden müssen. Die beobachteten Schwankungen könnten deshalb mindestens teilweise Messfehler sein. Diese Problematik hat Prof. Alexander Kritikos, Forschungsdirektor "Entrepreneurship" und Vorstandsmitglied des DIW, in einem VGSD-Talk anschaulich erklärt:
Schließlich weist die KfW zurecht darauf hin, dass viele der 2021 von den Befragen angegebenen Gründungen bereits für 2020 vorgesehen waren und aufgrund der Corona-Krise verschoben wurden. Bei dem ermittelten Anstieg der Gründungen gegenüber dem Vorjahr um 18 Prozent bei den Vollerwerbs- und 10 Prozent bei den Nebenerwerbsgründungen könnte es sich also um einen Nachholeffekt handeln, dem wieder ein Rückgang folgen könnte.
82 Prozent Chancengründer – müssen wir eigentlich immer von "Notgründern" sprechen?
Zur Motivation der Gründerinnen und Gründer schreibt die KfW: "Gründungen wurden also in stärkerem Maße von Personen mit ausgeprägtem Gründungswillen realisiert. Das hat sich bereits 2020 im hohen Anteil von Chancengründungen niedergeschlagen (80 %), bei denen also eine Geschäftsgelegenheit wahrgenommen wurde. Der Anteil hat sich 2021 auf 82 % weiter erhöht. Der Anteil von Notgründungen, also aus Mangel an bessern Erwerbsalternativen, bleibt dagegen sehr gering und liegt mit 15 % auf einem Tiefpunkt. Die hohe Inanspruchnahme von Kurzarbeit dürfte dazu beigetragen haben, dass nicht mehr Menschen aus der Not heraus eine selbstständige Tätigkeit aufnahmen."
Angesichts der Schwere der Krise verwundert es, dass die Zunahme der "Chancengründer" nur bei zwei Prozent liegt. Ganz grundsätzlich lehnen wir als VGSD übrigens die Verwendung des Begriffs "Notgründung" ab. Er spiegelt nicht den Respekt wieder, den wir uns auch für solche Gründer/innen wünschen, die mangels attraktiverer Anstellungsmöglichkeiten den Schritt in die Selbstständigkeit gehen. Auch das erfordert Mut und verdient – auch sprachlich – unsere Anerkennung.
Soloselbstständige weiter auf Vormarsch
Der Anteil der Gründungen allein und ohne Mitarbeiter nahm von 60 auf 65 Prozent zu. Damit sind Soloselbstständige das neue Normal, worauf bei der Gesetzgebung mehr Rücksicht genommen werden sollte. Angesichts des Trends zu Dienstleistung und Wissensarbeit ist die Entwicklung nicht überraschend.
16 Prozent der Befragten gaben an, direkt vom Start weg Mitarbeiter anstellen zu wollen. Weitere 19 Prozent gaben an, im Team mit anderen zu gründen, davon 6 Prozent zusätzlich vom Start weg mit Angestellten – übrigens ein historischer Tiefstwert.
Immer weniger Beteiligungen und Übernahmen
Ebenfalls um 5 Prozent nahm die Zahl der "Neugründungen" zu, von 80 auf 85 Prozent. Gemeint ist damit quasi die Gründung "auf der grünen Wiese" – im Gegensatz zur Beteiligung an (7 Prozent) bzw. Übernahme von bestehenden Unternehmens (9 Prozent). "Für den von Nachfolgesorgen geplagten Mittelstand ist das eine schlechte Nachricht", kommentiert die KfW die Entwicklung.
Fazit: Wir freuen uns natürlich über jede gute Nachricht, aber eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. Die verantwortlichen Politiker haben noch viel zu tun, bevor wir von einem gründerfreundlichen Land und einen erfolgreichen Neuanfang sprechen können. Wir dürfen sie nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.
Trotzdem sollten wir natürlich weiterhin alle jene ermutigen und feiern, die wohlüberlegt den Schritt in die Selbstständigkeit gehen!
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