Bianca Brinner ist selbstständige Innenarchitektin. Nach einem Burnout und schlechten Erfahrungen als Angestellte fasste sie den Entschluss, sich selbstständig zu machen. Während der Corona-Krise hat sie ein Pop-Up-Store eröffnet und es auf diese Weise geschafft, Interessenten zu finden und in Kunden zu verwandeln. Ihr Motto in der Krise: Aufstehen und Machen!
Ärgerlich findet sie, dass Selbstständige wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden und gerade Solo-Selbstständige von der Politik nicht anerkannt werden. Im Beitrag erzählt Bianca von ihren Erfahrungen - und wie sie zur Kreativbranche steht.
Nach einem Burnout Fuß in der Branche gefasst
Ich heiße Bianca Brinner und bin von Beruf Innenarchitektin. Meine jetzige Selbstständigkeit habe ich begonnen, als ich 24 Jahre alt war. Der Auslöser war damals, dass ich durch meinen Burnout keinen festen Job mehr gefunden habe. Die Selbstständigkeit war für mich die erste richtige Möglichkeit, um in meiner Branche wieder Fuß zu fassen.
Weitere Gründe waren, dass ich mich nach mehr Selbstbestimmung im Arbeitsalltag gesehnt habe. Ich habe schon sehr früh sehr schlechte Arbeitserfahrungen sammeln müssen. Ich will und wollte dazu immer einen Gegenpol bilden. Ich liebe meinen Beruf. Das heißt aber nicht, dass man sich alles gefallen lassen muss. Nachhaltig arbeiten und darauf zu achten, eine Art Work-Life-Balance zu haben ist mir sehr wichtig. Dabei gibt mir meine Selbstständigkeit die Möglichkeit, mich selber besser und effizienter zu organisieren. Auch wenn die Selbstständigkeit natürlich ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringt.
Niedrige Wertschätzung für die Gestaltungsbranche
In der Zeit vor der Gründung war ich festangestellt bei einem Hotelbaubüro. Leider hatte ich nie eine richtige Geschäftsidee, aber immer den Wunsch, mir eine eigene Agentur aufzubauen und diese nach meinen Regeln zu gestalten. Ich finde, dass es in meiner Branche sehr wichtig ist, nachhaltig zu arbeiten, da wir Gestalter schnell zu Überstunden neigen.
Ich hatte in der Selbstständigkeit mit vielen Herausforderungen zu kämpfen, zum Beispiel der Infragestellung meiner Kompetenz und generellen Notwendigkeit meiner Arbeit. Auch hatte ich bisher dank Corona häufig mit einer starken Unterbezahlung oder gar keiner Bezahlung zu tun. Kulturprojekte gelten als "nicht systemrelevant". Ein fataler Fehler, wie ich finde. Auch wenn Menschen gerne gut gestaltete Räume, Grafiken und Ausstellungen haben wollen, bedeutet es nicht automatisch, dass sie diese finanzieren wollen.
Arbeit der Kultur- und Kreativbranche ist nicht immer sichtbar
Unsere Arbeit ist wichtig, weil wir die Menschen mit unseren Ideen und Entwürfen „unterhalten“. Wir gestalten ihre Freizeit. Das wird aber nicht geschätzt - und sobald eine Krise kommt, wird es gänzlich vergessen. Das ist der eigentliche Grund, warum die Kultur- und Kreativbranche so leidet in der Krise: Unsere Arbeit ist auf den ersten Blick nicht immer sichtbar. Die Krise hat mich deshalb sehr traurig gestimmt und wütend gemacht. Nicht nur, weil ich mich als Soloselbstständige vollkommen im Stich gelassen gefühlt habe, sondern auch weil meine Arbeit, die ich liebe, aktuell nicht gewünscht ist und ich teilweise mit einem indirekten Berufsverbot zu kämpfen hatte.
Trotz alledem bin ich selbstständig geblieben, weil ich daran glaube, dass diese Arbeitsweise meine Zukunft ist. Ich bin gerne unabhängig. Ich bin eine sehr vielseitige Person und das spiegelt auch mein Portfolio wieder. Je vielseitiger die Anforderungen, desto kreativer werde ich. Aus jedem Projekt nehme ich neue Impulse und Skills mit, die mir später weiterhelfen. Und dann gebe ich Impulse.
Pop-Up-Store und vielseitige Aufträge haben mir das Jahr gerettet
Der größte Erfolg meiner jetzigen Selbstständigkeit ist, dass ich trotz Lockdown ein Pop-Up-Store eröffnen konnte, das wirklich sehr gut ankam und tatsächlich etwas bewegt hat. Auch war ein großer Erfolg, dass ich trotz Krise Interessenten angezogen habe und in Kunden umwandeln konnte. Von kleinen Illustrationsarbeiten bis hin zu größeren Projekten war alles dabei. Und genau diese Vielseitigkeit an Aufträgen und das Pop-Up-Store haben sich für mich in der Krise bewährt und mir das Jahr gerettet.
Für diese Erfolge war entscheidend, dass ich aufgestanden bin und etwas unternommen habe. Die Krise hat mich genau das gelehrt: Aufstehen und Machen. Und sei es nur das Networking innerhalb meiner Heimatstadt.
Die Selbstständigkeit gibt mir meine Unabhängigkeit und auch Selbstbewusstsein zurück. Das würde mir als Angestellte sehr fehlen. Bisher habe ich mich in festen Jobs immer eingesperrt gefühlt. Außerdem denke ich, dass Wirtschaft und Gesellschaft ohne uns Kreative ärmer wären, weil wir meistens diejenigen sind, die über den Tellerrand schauen. Künstler fangen häufig Diskussionen an, die die normale Gesellschaft nicht führen will. Auch die Museumsarbeit regt zu Diskussionen an und erzählt Geschichten, die häufig vergessen werden. Sie will aufrütteln, manchmal schockieren oder einfach nur den Menschen Inspiration bieten.
Solo-Selbstständige werden wie Bürger zweiter Klasse behandelt
Solo-Selbstständige werden nicht immer fair behandelt. Besonders ärgere ich mich darüber, dass wir ein wenig als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Zumindest hatte ich dieses Gefühl in der Corona-Pandemie. In Deutschland ist die Festanstellung alles. Sobald man aus diesem „System“ aussteigt, ist man sich selbst überlassen und wird teilweise nicht wahrgenommen. Auch weil es keine Lobby für uns gibt.
Ich habe mich in der Pandemie sehr stark vor Ort für Selbstständige engagiert, bin aber auch auf Seiten der Politik auf Granit gestoßen, Zitat: „Wir brauchen euch Kreative erst wieder in einem Jahr!“. Diese Aussagen, gepaart mit der vollkommenen Unterrepräsentation in den Medien und der Politik, haben bei mir ein Gefühl von Frust, Hilflosigkeit und Wut hinterlassen.
Trotzdem war die Selbstständigkeit für mich die richtige Entscheidung, denn ich bereue es bisher trotz Krise nicht. Sie fordert mich jeden Tag aufs Neue heraus, denn sie hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt - im positiven und manchmal auch negativen Sinne. Als Angestellte wäre ich einfach nur wieder in den alten Trott zurückgefallen. Ich würde mich nicht mehr wehren oder über den Tellerrand blicken. Wenn ich mich nicht selbstständig gemacht hätte, wäre ich heute wahrscheinlich wieder in einem Büro gelandet, in dem ich mich vollkommen verausgaben würde.
Die Politik sollte uns anerkennen und unterstützen
Jeder muss selber entscheiden, ob er die Verantwortung der Selbstständigkeit tragen will. Wer das möchte, dem kann ich es nur wärmstens empfehlen. Die Politik müsste vor allem uns kreative Solo-Selbstständige endlich anerkennen. Künstler und Kreative sind nicht nur kreativ, sondern auch Unternehmer, die Geld verdienen wollen und müssen. Wir Freelancer und Freiberufler sind Teil der zukünftigen Arbeitswelt und so sollte man uns auch sehen und würdigen. Ich habe leider schon häufig erlebt, dass man uns anstellt, weil der Arbeitgeber so keine Abgaben zahlen muss, da wir alles selber tragen müssen. Das ist nicht rechtens. Hier sollte es dringend Regelungen geben, besonders auch in der Kreativ- und Kulturbranche.
Man sollte anerkennen, dass wir oftmals Impulse in eingefahrene Betriebe mit einbringen. Das sollte richtig bezahlt und honoriert werden. Es sollte Lösungen für die Rente geben und mehr Unterstützung für Gründer in Bereichen, die nicht so üblich sind wie mein Arbeitszweig. Als Ausstellungsgestalterin hatte ich es extrem schwer, an Förderungen und Soforthilfen zu kommen oder generell an Unterstützung. Hier ein Zitat der Arbeitsagentur auf meine Nachfrage zu einer möglichen Förderung: „Es gibt genug von Ihnen. Suchen Sie sich einen festen Job als Architektin!“ (Bin ich wohl gemerkt gar nicht, denn das ist ein vollkommen anderer Beruf als meiner). Und eigentlich ist es genau das, was ich schätze: Durch alle Raster zu fallen. Ich will mich in keine Kategorie einordnen, weil ich eben das machen will, was ich liebe: Kreativ zu sein und Ideen zu entwickeln.
Anmerkung:
Unsere Aktion "Warum bist du selbstständig?" stieß bei euch auf eine große Resonanz, worüber wir uns sehr freuen. Dabei haben wir deutlich mehr Zuschriften bekommen als wir erhofft haben. Wir bedanken uns herzlich bei euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt, mit uns eure Geschichte zu teilen.
Wie ihr bestimmt schon gesehen habt, haben wir bereits eine Reihe von Warum-Geschichten veröffentlicht. Die Geschichten, die wir auswählen, zeigen immer neue Aspekte und Gründe für eure Selbstständigkeit: Seid ihr Unternehmer, weil eurer Kreativität in dieser Berufsform keine Grenzen gesetzt sind, weil die Freiheit durch eine Selbstständigkeit unbezahlbar ist - oder warum? Wir möchten mit der Auswahl der Geschichten der Vielfalt an Gründen für eine Selbstständigkeit Rechnung tragen und diese Bandbreite aufzeigen. Wir bitten daher um euer Verständnis, wenn wir deshalb nicht jede Geschichte veröffentlichen können, hoffen aber, euch durch immer neue Ansichten inspirieren zu können.
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