Warum um alles in der Welt hast du dich selbstständig gemacht? Was beglückt dich in deinem Business, was treibt dich an? Wir suchen deine Geschichte: Warum bist du trotz aller Hindernisse Unternehmerin oder Unternehmer – und willst es auch bleiben? Heute erzählt Holger Pietsch seine Geschichte.
Ich heiße Holger Pietsch, bin aus Hamburg, Jahrgang 1965. Studiert habe ich Kommunikationsdesign, arbeite aber seit 1987 in dem weiten Feld rund um Fotografie, Film und Werbung. Meine jetzige Selbstständigkeit habe ich gestartet, als ich 51 Jahre alt war.
"Quatsch, weiterhin jeden Tag in die Werbeagentur zu rennen"
Der Auslöser war damals, dass meine Frau und ich uns getrennt haben. Die Jungs waren groß und irgendwie hatte ich das Gefühl, es sei Quatsch, jetzt weiterhin jeden Tag in die Werbeagentur zu rennen, bei der ich 18 Jahre fest angestellt war. Es würde aktuell eh keinen mehr interessieren, was ich tue, und als Ernährer braucht man mich auch nicht mehr.
In der Werbeagentur war ich Kreativ-Direktor und betreute zahllose Foto- und Filmprojekte. Auf die Geschäftsidee kam ich damals, weil ich das Gefühl hatte, ich muss es endlich selber machen. Ich kann professionelle Lösungen anbieten, die es so bisher nicht gibt. Das ist jetzt vier Jahre her.
Mein Leben ist selbstbestimmter
Ich hatte in der Selbstständigkeit durchaus auch mit Herausforderungen zu kämpfen, zum Beispiel scheint ja das gesamte gesellschaftliche Leben auf Festanstellung ausgerichtet zu sein. Alles muss zum Monatsende oder -anfang bezahlt werden - und nicht dann, wenn das Geld vom Kunden da ist.
Trotz alledem bin ich selbstständig geblieben, weil mein Leben einfach selbstbestimmter ist.
Ich war zuvor schon mal selbstständig, direkt nach der Schule und dem Zivildienst, als Fotoassistent und später als Locationscout und freier Aufnahmeleiter. Damals und im späteren Studium lebte ich aber mehr von der Hand in den Mund, weniger planvoll und strategisch strukturiert wie heute. Meine Motivation war damals eine andere, ich sah mich überhaupt nicht in einer Festanstellung in immer demselben Team arbeiten.
Ein besonderes Geschenk: Meine beiden Söhne arbeiten mit
Der größte Erfolg meiner jetzigen Selbstständigkeit ist, dass meine beiden Söhne mitarbeiten. Das ist ein ganz besonderes Geschenk, so viel Zeit mit ihnen zu verbringen, die Begeisterung für diese Arbeit zu teilen. Eine tiefe Vertrautheit beim Arbeiten ist ebenfalls Gold wert. Natürlich hat das auch seine Tücken, aber irgendwas ist ja immer.
Ich sehe meinen Beruf eher als Berufung, nicht als Job, wie so viele Angestellte. Was dazu führt, dass ich mich über den Tag hinaus für meine Arbeit interessiere. Es gibt für mich nicht die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Wenn ich keine Lust mehr habe oder mit meiner Arbeit nicht vorankomme, dann mache ich halt was anderes, aber das hat über kurz oder lang immer mit dem zu tun, was ich beruflich mache. Im Homeoffice ist die Trennung noch mal schwieriger, aber ich empfinde das nicht als Problem. Nur meine Buchhalterin weist mich immer darauf hin, was hier beruflich sei und was privat sein soll.
Ich profitiere davon, auch angestellt gewesen zu sein
Die Selbstständigkeit gibt mir viel mehr Freiraum, meinen Fähigkeiten und Neigungen nachzugehen. Ich konzentriere mich auf den Kern dessen, worum es bei einem Auftrag geht. Als Angestellter fiel mir nach wenigen Wochen auf, wie wenig es den Festangestellten überhaupt um ihre Arbeit oder deren Inhalte geht und wie sehr es um irgendwelchen zwischenmenschlichen Quatsch geht. Wer wieder was gesagt oder getan hat.
Ich denke, jeder sollte in seinem Leben mehrmals zwischen Angestellten-Dasein und Selbständigkeit wechseln. Beides hat für verschiedene Lebensphasen seine Berechtigung. Und man bekommt ein besseres Selbstbewusstsein, wenn man beide Optionen hat. Als Selbständiger arbeite ich mit sehr vielen Angestellten auf Auftraggeber-Seite zusammen. Als Angestellter habe ich vielfach Freiberufler beauftragt und viel über Teamarbeit, Strukturen und Abläufe gelernt, was mir heute massiv hilft. Dieses Wissen fehlt vielen Freiberuflern.
Viele, die festangestellt arbeiten, vergessen wiederum, dass ihr oberster Chef eigentlich Selbständiger/Gründer ist oder war. Dass es irgendwann einen gab, der sich das Ganze mal ausgedacht und an den Start gebracht hat. Und dass es absolut nicht selbstverständlich sein kann, jedes Jahr mehr Geld auf der Gehaltsabrechnung zu haben, ohne dass man maßgeblich am Wachstum der Firma und der Auftragslage beteiligt war.
Angestelltendasein: In einer Tretmühle aus Verpflichtungen
Die Selbstständigen werden nicht immer fair behandelt, besonders ärgere ich mich darüber, dass man sich alle Informationen während der Gründungsphase zusammensuchen muss, während für den Angestellten alles geregelt ist. Beides finde ich ärgerlich. Der Angestellte soll sich gar nicht um irgendwas selber kümmern. Da käme er nur auf komische Gedanken, zum Beispiel wie es wäre, sich selbständig zu machen. Man wird in diese Tretmühle aus regelmäßigen Verpflichtungen geradezu einzementiert, bis die Leute existenzielle Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Ich kenne heute natürlich auch noch Existenzängste, aber ich kenne auch den Weg da raus: es selber machen.
Ohne Selbstständigkeit: Immer noch geschieden, aber ohne Kinder
Wenn ich mich nicht selbstständig gemacht hätte, wäre ich heute wahrscheinlich immer noch in der Agentur, wenn mich nicht inzwischen ein Herzinfarkt dahingerafft hätte. Hörsturz und Burnout hatte ich dort bereits. Das muss reichen. Geschieden wäre ich trotzdem und meine Söhne würde ich immer noch nicht sehen.
Jeder muss das für sich entscheiden, aber er sollte die Optionen, sich selbstständig zu machen, kennen - und nicht nur aus Unwissenheit in seiner Lage verharren. Meine Söhne fragen sich und und mich, warum nicht bereits an der Schule erste Informationen zum Steuerrecht vermittelt werden. Sie haben Abi, aber keinen Schimmer davon, was Umsatzsteuer ist. Selbst in ihrem Kommunikationsdesign-Studium ist Gründung und Selbständigkeit kein Unterrichtsthema, nur, wie man gut im Agenturalltag performt.
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