Steffi Lange hat sich im Alter von 49 Jahren selbstständig gemacht. Sie ist promovierte Betriebswirtin und berät heute als "Wegbereiterin" andere Selbstständige und kleine Unternehmen beim Aufbau ihres Unternehmens. Außerdem unterstützt sie diese in schwierigen Situationen. Damit kann sie auch ihr "Helfersyndrom" befriedigen, wie sie selbst scherzhaft erzählt. In der Selbstständigkeit macht Steffi, wozu sie sich berufen fühlt.
Was sie am Bild von Selbstständigen, das in der deutschen Öffentlichkeit vertreten ist, kritisiert und welche Wünsche sie für eine bessere Wertschätzung Selbstständiger hat - das verrät sie im Beitrag.
Ich habe mich als Angestellte schon lange nicht mehr wohlgefühlt
Ich heiße Steffi Lange, Jahrgang 1958, seit 1978 verheiratet. Von Beruf Betriebswirtin, habe ich bereits mit 25 Jahren promoviert und danach in ganz anderen Bereichen gearbeitet als ich vorher wissenschaftlich tätig war. Wobei ich heute - mit der Digitalisierung - vieles davon wieder finde. Das finde ich richtig klasse.
Ich habe meine jetzige Selbstständigkeit begonnen, als ich 49 Jahre alt war. Ich habe mich als Angestellte schon lange nicht mehr wohl gefühlt, weil ich mit Sachen zu tun hatte, zu denen ich mich nicht berufen fühlte und so mit dem Ergebnis selbst nie zufrieden war, obwohl ich manchmal - selten genug - dafür sogar gelobt wurde.
Weitere Gründe waren, dass ich als Angestellte ständig Vorschläge machen wollte, wie etwas besser, schneller, effizienter, mehr zielgruppenorientierter umzusetzen wäre, aber das wurde nicht gehört. „Haben wir immer schon so gemacht“, war der einzige als richtig anerkannte Weg, und du tust, was dir gesagt wird, die einzig geforderte Umsetzung.
In der Zeit vor der Gründung war ich ebenso in der Beratung tätig, aber überwiegend nur für größere Firmen, die sich neu in unserem Bundesland ansiedeln und möglichst viele Arbeitsplätze schaffen wollten. Auf die Geschäftsidee kam ich damals, weil ich die Unternehmen betreuen wollte, die hier schon waren - vielleicht sogar schon jahrelang funktionierten - aber zu klein waren, um beachtet zu werden. Das ist jetzt 13 Jahre her.
Es gibt heute keine Kultur dafür, selbstständig Denkende zu akzeptieren
Ich hatte in der Selbstständigkeit durchaus mit Herausforderungen zu kämpfen, mit denen andere Soloselbstständige immer zu kämpfen haben. Besonders damit, dass wir de facto als „Kleinkriminelle“ angesehen werden. Weil, wenn wir den Staat nicht besch .... wollten, wir ja, wie jeder „normale Mensch“ angestellt wären.
Da in Deutschland in keiner Schule Selbstständigkeit gelehrt wird und so die Kinder nicht lernen, dass die, die heute Konzerne haben u.U. auch mal ganz klein angefangen haben, gibt es bis heute keine Kultur dafür, selbstständig denkende Menschen zu akzeptieren. Und eine tägliche Herausforderung ist Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mein Mann ist bis heute nicht sehr glücklich darüber, dass ich „eigentlich immer arbeite“.
Ich wollte mitdenken, statt nur zu funktionieren
Trotz alledem bin ich selbstständig geblieben, weil ich mich endlich selbst verwirklichen kann und mit der Umsetzung meiner Ideen und Ziele anderen Selbständigen helfe, GENAU das umzusetzen, was sie sich vorher schon immer nur vorgestellt hatten.
Ich war zuvor schon einmal selbstständig, nämlich als Versicherungsvertreterin direkt nach „der Wende“, und diese Erfahrung hat mich wohl als Angestellte „verdorben“, da ich weiter mitdenken und Ideen verwirklichen wollte, statt nur zu funktionieren. Meine Motivation war damals eine andere, nämlich überleben in einer Welt, die ich nicht kannte und Menschen zu helfen, die ebenso wie ich, mit völlig neuen Herausforderungen klar kommen und plötzlich für sich selbst sorgen mussten.
Ich tue genau das und nur das, wozu ich mich berufen fühle
Der größte Erfolg meiner jetzigen Selbstständigkeit war und ist, dass ich Menschen bei der Verwirklichung ihrer Ideen, beim Aufbau ihres Unternehmen nach ihren Wünschen unterstützen und in schwierigen Situationen helfen konnte, dies langfristig zu behalten und gezielt zu wachsen.
Für diese Erfolge war entscheidend, dass ich eigene kreative Ansätze - unabhängig von gängigen Meinungen - gemeinsam mit dem jeweiligen Unternehmer umgesetzt und mich oft genug gegen Konventionen gestellt habe. Die Selbstständigkeit gibt mir täglich neue Kraft, mit allen Widrigkeiten klar zu kommen, weil ich GENAU und NUR DAS tue, wozu ich mich berufen fühle - auch wenn es manchmal „Büro aufräumen“ heißt. Das würde mir als Angestellter fehlen.
Ohne mich würde meinen Kunden Folgendes fehlen: GENAU die Ansätze für ihre Gründung, die sie richtig loslegen lassen und dabei nicht vergessen, was Gründer beachten müssen. Außerdem würde ihnen ein Ansprechpartner fehlen, wenn für die Weiterentwicklung des Unternehmens Unterstützung nötig ist oder es mal nicht so läuft, wie es soll. Wirtschaft und Gesellschaft wären ärmer, weil Menschen mit kreativen Ideen sich nicht immer so verwirklichen können, wie sie gern möchten - ohne Hilfe.
Zu wenig Know und How und Wertschätzung
Die Selbstständigen werden nicht immer fair behandelt, besonders ärgere ich mich darüber, dass bis heute die Kinder nicht lernen, dass alle Großen auch mal klein angefangen. Dass sich alle Großen aus dem "Joch des Angestelltenverhältnisses“ befreit haben und heute Menschen beschäftigen, die sich GENAU das nicht zutrauen.
Außerdem fehlt es an Wertschätzung dafür, wie wichtig es ist, Produkte herzustellen, die verkauft werden sollen. Und die, die das tun, sollten als wichtig empfunden und auch so behandelt werden.
Für die Verwirklichung meines "Helfersyndroms" werde ich nun auch noch bezahlt
Trotzdem war die Selbstständigkeit für mich die richtige Entscheidung, weil ich nun endlich GENAU das tun konnte, was ich immer wollte und für die Verwirklichung meines „Helfersyndrom“ sogar noch bezahlt werde. Als Angestellte wäre ich wahrscheinlich weniger zufrieden, weil ich nicht nur stumpf das tun kann, was man mir sagt, wenn ich der Meinung bin, es geht anders besser. Davon bin ich in der Vergangenheit als Angestellte oft genug krank geworden. Wenn ich mich nicht selbstständig gemacht hätte, wäre ich heute krank und als berufsunfähig in Rente.
Ich würde anderen trotz aller aktuellen Probleme empfehlen, sich selbstständig zu machen, weil man nur so selbst - und gegen alle Widerstände - die eigenen Ideen umsetzen kann, dabei wächst und jeden Tag neue Kraft gewinnt, auch wenn es mal schwierig ist.
Damit ich das aus voller Überzeugung empfehlen kann, müsste Folgendes passieren: Eine Gründungskultur in diesem Land aufbauen, aber Angestellte und vor allem Beamte können das nicht umsetzen, weil sie nicht wissen, was das ist. Jedoch: Wenigsten sollten Gründer nicht dafür diskriminiert werden, wenn sie sich selbstständig machen und sie sollten es nicht ohne Hilfe und die Gewissheit tun, immer jemanden an der Seite zu haben, den man immer und sofort fragen kann, wenn es mal nicht so vorangeht, wie man sich das vorstellt - also jemanden wie mich, der genau dieselben Probleme bewältigt hat und daher weiß, wie es gehen kann, ohne Vorurteile und aus Überzeugung, nicht Geldgier ;).
Anmerkung:
Unsere Aktion "Warum bist du selbstständig?" stieß bei euch auf eine große Resonanz, worüber wir uns sehr freuen. Dabei haben wir deutlich mehr Zuschriften bekommen als wir erhofft haben. Wir bedanken uns herzlich bei euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt, mit uns eure Geschichte zu teilen.
Wie ihr bestimmt schon gesehen habt, haben wir bereits eine Reihe von Warum-Geschichten veröffentlicht. Die Geschichten, die wir auswählen, zeigen immer neue Aspekte und Gründe für eure Selbstständigkeit: Seid ihr Unternehmer, weil eurer Kreativität in dieser Berufsform keine Grenzen gesetzt sind, weil die Freiheit durch eine Selbstständigkeit unbezahlbar ist - oder warum? Wir möchten mit der Auswahl der Geschichten der Vielfalt an Gründen für eine Selbstständigkeit Rechnung tragen und diese Bandbreite aufzeigen. Wir bitten daher um euer Verständnis, wenn wir deshalb nicht jede Geschichte veröffentlichen können, hoffen aber, euch durch immer neue Ansichten inspirieren zu können.
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