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Warum bist du selbstständig? - Stephanie Karg, Interim Managerin "Ich konzentriere mich auf die wichtigen Dinge"

Stephanie Karg hat sich in der Finanzkrise 2008/2009 selbstständig gemacht

„Toll“, dachte ich, „ein schlechteres Timing hätte ich kaum wählen können“. Das war im September 2008. Die Pleite von Lehmann Brothers löste eine weltweite Krise aus. Und ich hatte gerade gekündigt, um mich selbstständig zu machen.

Ich heiße Stephanie Karg und bin von Beruf – ja, was bin ich eigentlich? Ich arbeite als selbstständige Interim Managerin, Projektleiterin und Beraterin. Das heißt, ich muss häufig nicht nur erklären, warum ich selbstständig bin, sondern auch, was ich mache, in welche Schublade ich (nicht) passe.

Sprung ins kalte Wasser: Morgens ein Blick auf die Golden Gate Bridge

Der Auslöser, mich selbstständig zu machen, war, dass ich unzufrieden war. Es hat etwas gedauert, herauszufinden, warum. Mein Job als festangestellte Führungskraft im strategischen Einkauf eines internationalen Unternehmens machte mir Freude. Was mir fehlte, war Selbstbestimmung, insbesondere über meine Zeit. Es waren nicht die langen Arbeitszeiten, die mich störten, sondern deren mangelnde Flexibilität. Darüber hinaus wünschte ich mir, Projekte voranzutreiben, anstatt der Karriere zuliebe Energie ins politische Spannungsfeld von Unternehmen zu investieren.

Meine Aufgaben bewegten sich zunehmend im Projektmanagement anstatt im klassischen Einkauf. So entstand die Idee, mich in diesem Bereich fortzubilden. Um das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, entschied ich mich für ein Post-Graduate Studium in den USA, an der University of California Berkeley Extension in „International Project Management“. Ein Sabbatical war 2008 alles andere als selbstverständlich. Das nahm mir die Entscheidung, zu kündigen ab. Ich wagte den Sprung ins kalte Wasser. Kurz danach befanden wir uns mitten in der Krise. Trotzdem genoss ich mein kurzes Auslandsstudium mit Kommilitonen aus aller Welt und freute mich, morgens auf dem Weg zum Campus, einen Blick auf die Golden Gate Bridge am Horizont zu werfen.

Auch in der Finanzkrise 2008 konnte ich mich über Wasser halten

Zurück aus den USA gründete ich 2009 im Alter von 41 Jahren als Einzelunternehmerin. Entgegen der Erwartungen konnte ich mich über Wasser halten. Ein gutes Netzwerk und keine Scheu, nicht nur top strategische Projekte großer Unternehmen anzunehmen, ließ es an Einsatzmöglichkeiten nicht mangeln. Seitdem bewege ich mich zwischen Mandaten zur Überbrückung von Führungsvakanzen in Einkauf und Beschaffung, klassischen Beratungs- und Reorganisationseinsätzen - oder Mädchen für Alles, wenn Not am Mann ist. Meine Schwerpunkte sind Einkauf, Supply Chain und Projektmanagement. In diesem Umfeld bin ich für alle Einsätze aufgeschlossen.

Ich fühle mich in internationalen Großunternehmen so wohl wie im Kleinbetrieb mit fünf Angestellten. Ich liebe es, mich in neue Aufgabengebiete einzuarbeiten, unterschiedliche Vorgehensweisen in verschiedenen Unternehmen kennenzulernen und mich dazu mit Kunden und Teammitgliedern auszutauschen.

Kunden schätzen den unvoreingenommenen Blick von außen

Ohne selbstständige Berater würde unseren Kunden der frische, unvoreingenommene Blick von außen fehlen, durch Personen, die in verschiedenen Unternehmen tätig sind und nicht betriebsblind werden. Genauso Offenheit und Mut, Dinge anzusprechen, ohne um den nächsten Karriereschritt zu bangen. Sowie die Möglichkeit, Know-How projektbezogenen auf Zeit einzukaufen.

Selbstständige werden von der Politik nicht fair behandelt. Mich ärgert, dass viele Politiker Freelancer als „Selbstständige aus Verzweiflung“ einordnen, die von einer Festanstellung träumen. Ich kritisiere, dass man uns als „Sozialschmarotzer“ und „Scheinselbstständige“ unter Generalverdacht stellt. Die Corona-Krise beweist, dass wir unternehmerisches Risiko tragen und die meisten gut für Krisen vorgesorgt haben. Ich bin dankbar, als VGSD-Mitglied zur politischen Diskussion und Aufklärung beizutragen.

Selbstständigkeit bedeutet mehr persönliche Freiheit, auch wenn der Kunde König ist

Für mich war der Schritt in die Selbstständigkeit richtig. Ich habe mehr Kontrolle über mein Leben gewonnen und arbeite selbstbestimmter. Natürlich ist der Kunde König. Vollzeitprojekte nehme ich jedoch selten an bzw. ich arbeite nur phasenweise mit voller Auslastung. Nur die Selbstständigkeit und projektbezogenes Arbeiten geben mir diese Flexibilität. Ich versuche, nicht mein Einkommen zu maximieren, sondern meine Lebensqualität. Ich fahre keinen teuren Firmenwagen und vermeide Fixkosten. Ich habe Zeit für mich, für Familie und Freunde und vor allem um etwas von der Welt zu sehen. In meinen Einsätzen kann ich fokussiert an bestimmten Themen arbeiten. Ich entdecke und lerne kontinuierlich Neues, kann bestehendes Wissen immer wieder neu vernetzen und mich mit interessanten Menschen austauschen.

Ich hoffe, meine Geschichte macht denjenigen Mut, die in ihrer Gründung von der Corona-Krise überrascht wurden. Freelancer haben gute Chancen, wenn Unternehmen im Krisenmodus sind. In guten Zeiten erscheinen Festeinstellungen einfacher. In Krisenzeiten schätzt man Flexibilität bei den Headcounts.

Und genau das habe ich einer Projektkollegin erzählt, die sich kurz vor der Corona-Krise für ihre Selbstständigkeit entschied und – wie ich 2008 – dachte, einen ungünstigeren Zeitpunkt dafür hätte sie kaum wählen können.

Anmerkung:

Unsere Aktion "Warum bist du selbstständig?" stieß bei euch auf eine große Resonanz, worüber wir uns sehr freuen. Dabei haben wir deutlich mehr Zuschriften bekommen als wir erhofft haben. Wir bedanken uns herzlich bei euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt, mit uns eure Geschichte zu teilen.

Wie ihr bestimmt schon gesehen habt, haben wir bereits eine Reihe von Warum-Geschichten veröffentlicht. Die Geschichten, die wir auswählen, zeigen immer neue Aspekte und Gründe für eure Selbstständigkeit: Seid ihr Unternehmer, weil eurer Kreativität in dieser Berufsform keine Grenzen gesetzt sind, weil die Freiheit durch eine Selbstständigkeit unbezahlbar ist - oder warum? Wir möchten mit der Auswahl der Geschichten der Vielfalt an Gründen für eine Selbstständigkeit Rechnung tragen und diese Bandbreite aufzeigen. Wir bitten daher um euer Verständnis, wenn wir deshalb nicht jede Geschichte veröffentlichen können, hoffen aber, euch durch immer neue Ansichten inspirieren zu können.

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