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Warum bist du selbstständig? Tilmann Albrecht: "Ich kann ganz in meiner musikalisch-kreativen Arbeit eintauchen."

Tilmann Albrecht ist Musiker. Ursprünglich wollte er Verkehrsplaner werden, konnte sich aber nach dem Abitur nicht vorstellen, seinen Alltag nicht komplett der Musik zu widmen.

Tilmann Albrecht ist selbstständiger Musiker. Durch seine selbstständige Tätigkeit kann er ganz in seine Arbeit eintauchen.

So landete Tilmann im Musik/Geographie-Lehramtsstudium und machte sich aufgrund vieler Anfragen und Aufträge bereits als Student selbstständig. Was Tilmann besonders daran und an seinem Beruf schätzt, verrät er im Beitrag:

Die drei Möglichkeiten, um als Musiker zu arbeiten

Was ist Musik? Kreativität? Schaffung von Neuem? Wiederentdeckung von Altem? Künstlerische Entfaltung? Arbeit mit Menschen?

Außerhalb der sogenannten Popularmusik gibt es drei Arten, als Musiker*in aktiv zu sein. Die eine ist das Unterrichten, sei es festangestellt oder selbstständig. Die zweite ist eine feste Stelle in einem staatlichen Orchester oder Ensemble. Die dritte ist die des freien Musikschaffenden.

Auf den ersten Blick scheint eine Festanstellung in einem staatlichen Ensemble die beste Stellung zu sein. Oft gibt es da aber gruselige Geschichten zu hören. Zum Einen muss man sich monate- oder jahrelang damit beschäftigen, immer wieder psychisch sehr belastende Probespiele zu spielen. Oft gibt es mehrere Runden und eine dreistellige Zahl von Bewerbern und Bewerberinnen auf eine Stelle. Hat man es dann geschafft, befindet man sich unter dem Diktat des Dirigenten.

Die Kulturmanager*innen der staatlichen Ensembles setzen dann immer den gleichen Werkekanon aus Klassik und Romantik auf den Spielplan. Johann Sebastian Bach und früher, experimentelle Musik, aktuelle Musik, Jazz, usw. kommen da nur begrenzt vor. Die immer gleichen Stücke, das Diktat der Dirigierenden und der nervenaufreibende Bewerbungsprozess zzgl. Probezeit mit anschließender öffentlicher Abstimmung durch die Kolleg*inn*en führt evtl. schnell in eine lustlose "Dienst-nach-Vorschrift-Falle", wenn man bei dem immer älter werdenden Publikum und nach Jahren des Stellenabbaus überhaupt eine Stelle dort bekommt. Mit meinem Instrument, dem Cembalo (- Es ist das gezupfte Klavier von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“), gibt es sowieso, wenn überhaupt, gerade einmal insgesamt ein Dutzend feste Stellen.

Als Freischaffender kann ich kreativ bleiben

Als Freischaffender habe ich nun die Möglichkeit, weiterhin kreativ zu bleiben. So ist es mir möglich, sowohl bei klassischen Orchestern mit Festanstellungen projektweise dazu gebucht zu werden, in den Szenen der Alte Musik tätig zu sein, spartenübergreifend zu arbeiten und auch zu unterrichten. Dieser Mix ermöglicht es mir, ganz in meiner musikalisch-kreativen Arbeit einzutauchen.

Hilfreich war dafür, dass ich mich im Studium nicht darauf fokussieren musste, die wenigen immer gleichen Probespielstellen für eine feste Orchesterstelle zu perfektionieren, sondern mir eine Vielseitigkeit anzueignen, sodass ich einen ausreichend großen potenziellen Kundenkreis aufbauen konnte. So konnte ich durch meine verschiedensten musikalischen Einsatzgebiete (Cembalo, Musicalklavier, barocke Percussion, Gesang, Chorleitung) auch in der Krise einige Konzerte ergattern. Im ersten Corona-Jahr habe ich nun meine ersten beiden Alben produziert. Damit verdient man dank Spotify und Co. zwar kein Geld, aber eine größere Reichweite und Bekanntheit ist damit möglich.

Ursprünglich wollte ich Verkehrsplaner werden

Nachdem ich als Jugendlicher ursprünglich Verkehrsplaner werden wollte und hobbymäßig in bis zu fünf Chören und bis zu fünf Orchestern musizierte, konnte ich mir nach dem Abitur nicht vorstellen, weniger als vier Stunden täglich zu musizieren. Eventuelle Examenszeiten im ingenieurwissenschaftlichen Studium schienen mir undenkbar.

Aufgrund meiner Vielseitigkeit bin ich dann im Musik/Geographie-Lehramtsstudium gelandet. Mein Alte-Musik-Professor empfahl mir, zusätzlich im Doppelstudium auch die künstlerische Ausbildung zu studieren. Ich setzte mich bei der Aufnahmeprüfung durch und bekam den Studienplatz.

Positive Erfahrungen mit der deutschen Bürokratie

Mit der Zeit kamen parallel zum Studium immer mehr Aufträge und Anfragen, sodass ich sehr schnell die Selbstständigkeit beantragte. Dabei habe ich mit der Bürokratie sehr positive Erfahrungen gemacht. Während ich im Studium immer personell unterbesetzte Ämter erlebte und oft mit Vorgaben konfrontiert war, wo ich, um eine Bestätigung zu bekommen, eine andere Bestätigung einreichen musste, die ich aber erst nach Einreichen der ersten Bestätigung erhalten konnte. Also ein Teufelskreis.

Die Selbstständigkeitsbürokratie dauert da zwar manchmal einige Zeit, aber alles funktionierte, wie es sollte. Das gab mir den Glauben in die deutschen Ämter wieder. Da war ich anfangs sehr unsicher. Aber da die Alternativen für mich nicht in Frage kamen, habe ich alles durchgezogen. Eigentlich hatte ich das nie vorhergesehen, es ist einfach so passiert und dann habe ich, als es soweit war, die Selbstständigkeit durchgezogen. Ob das bis zur Rente so weiter geht: Keine Ahnung. Ich habe gerade erst mein Studium abgeschlossen und wer weiß, was der Klimawandel noch für gesellschaftliche Änderungen bringt.

Anmerkung:

Unsere Aktion "Warum bist du selbstständig?" stieß bei euch auf eine große Resonanz, worüber wir uns sehr freuen. Dabei haben wir deutlich mehr Zuschriften bekommen als wir erhofft haben. Wir bedanken uns herzlich bei euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt, mit uns eure Geschichte zu teilen.

Wie ihr bestimmt schon gesehen habt, haben wir bereits eine Reihe von Warum-Geschichten veröffentlicht. Die Geschichten, die wir auswählen, zeigen immer neue Aspekte und Gründe für eure Selbstständigkeit: Seid ihr Unternehmer, weil eurer Kreativität in dieser Berufsform keine Grenzen gesetzt sind, weil die Freiheit durch eine Selbstständigkeit unbezahlbar ist - oder warum? Wir möchten mit der Auswahl der Geschichten der Vielfalt an Gründen für eine Selbstständigkeit Rechnung tragen und diese Bandbreite aufzeigen. Wir bitten daher um euer Verständnis, wenn wir deshalb nicht jede Geschichte veröffentlichen können, hoffen aber, euch durch immer neue Ansichten inspirieren zu können.

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