(Update vom 24.10.18) Von Politikern in Berlin werden wir ernst genommen, bei SPIEGEL und BILD müssen wir uns erst noch Respekt verschaffen.
Drei Lesermails habe ich seit Donnerstag letzter Woche an den SPIEGEL und eine an die BILD geschrieben – mit der Bitte um Korrektur der von ihnen (im Rahmen der Berichterstattung über Ursula von der Leyen) verbreiteten einfachen, aber leider falschen Definition von Scheinselbstständigkeit.
Warum wir den SPIEGEL weiterhin wie ein Terrier am Hosenbein zerren werden, bis der Fehler korrigiert ist
Bis heute haben wir noch keine Antwort erhalten, die falschen Definitionen sind weiterhin im Netz. Was uns insbesondere beim SPIEGEL doch etwas überrascht: Wir dachten, dass hier hoch bezahlte und kenntnisreiche Journalisten jede Aussage vor Veröffentlichung auf ihren Faktengehalt prüfen. Da ist es ernüchternd, wenn noch eine Woche später offensichtlich Falsches auf der Website steht.
Wir werden einem Terrier gleich nicht nachlassen und weiter am Hosenbein der zuständigen Redakteure zerren, bis der Fehler richtig gestellt wurde. Denn die Verwechslung von arbeitnehmerähnlicher Selbstständigkeit mit Scheinselbstständigkeit macht nicht nur finanziell einen riesigen Unterschied: Im einen Fall muss der Auftragnehmer, im anderen Fall der Auftraggeber bis zu 60.000 Euro nachzahlen.
Der Fehler ärgert uns auch, weil er von der Vorstellung ausgeht, (Schein-) Selbstständigkeit sei ganz klar definiert und einfach festzustellen. Es ist in Hinblick auf die weitere Berichterstattung zu diesem Thema wichtig, dass die zuständigen Redakteure verstehen, dass dem nicht so ist.
Die BILD hat abgeschrieben
(Update vom 19.10.18) Schon der Lehrer in der Schule hatte den guten Rat: "Bitte keine Fehler abschreiben."
Bei ihrem heutigen Artikel "Verteidigungsministerin von der Leyen in Erklärungsnöten" hat die BILD-Zeitung zusammen mit weiteren Informationen auch die Definition von Scheinselbstständigkeit übernommen, die Tags zuvor SPIEGEL online veröffentlicht hatte. Zitat:
"Hintergrund: Als scheinselbstständig gilt, wer offiziell selbstständig arbeitet, aber dauerhaft nur einen Auftraggeber hat – der sich die eigentlich fälligen Sozialbeiträge für den Mitarbeiter spart.“
Wir haben noch am selben Tag die beiden zuständigen Redakteure angeschrieben und um Korrektur gebeten.
SPIEGEL definiert Scheinselbstständigkeit neu
(Beitrag vom 18.10.18) SPIEGEL online hat heute in dem Aufmacher-Beitrag "Strafanzeige gegen Ursula von der Leyen" Scheinselbstständigkeit auf ganz neue Art und Weise definiert:
"Als scheinselbstständig bezeichnet man Personen, die zwar als selbstständige Unternehmer auftreten, aber nur einen Auftraggeber haben. Wird dies festgestellt, muss der Auftraggeber die entsprechenden Sozialleistungen für den Arbeitnehmer nachzahlen. Wird ein Vorsatz nachgewiesen, kann der Arbeitgeber juristisch belangt werden."
Leider trägt die populäre Nachrichtenseite damit zur ohnehin bestehenden Begriffsverwirrung weiter bei. Wir haben den zuständigen Redakteur Matthias Gebauer angeschrieben und zu seiner Definition folgende Hinweise gegeben:
- Selbstständige Unternehmer, die nur für einen Auftraggeber arbeiten (oder mehr als 5/6 ihres Jahresumsatzes mit einem Auftraggeber machen) nennt man "arbeitnehmerähnlich Selbstständige". Wird dies festgestellt und liegt kein Befreiungstatbestand vor, sind sie rentenversicherungspflichtig, d.h. sie selbst müssen für das laufende und die letzten vier Jahre Rentenversicherungsbeiträge nachzahlen. Hinzu kommen Verzugszinsen von 12% p.a. Der Auftraggeber hat damit nichts zu tun.
- Scheinselbstständigkeit liegt dagegen vor, wenn ein Auftragnehmer in betriebliche Abläufe des Auftraggebers eingebunden ist und weisungsgebunden arbeitet. Zur Konkretisierung haben die Deutsche Rentenversicherung sowie die Sozialgerichte detaillierte Kriterien entwickelt (die aber leider der heutigen Arbeitswelt nicht mehr gerecht werden).
- Scheinselbstständigkeit ist zudem keine Eigenschaft einer Person, sondern immer nur eines Auftragsverhältnisses (vgl. z.B. Wikipedia-Eintrag).
- Konsequenz der Feststellung von Scheinselbstständigkeit ist (das schreiben Sie richtig), dass der Auftraggeber Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten hat, wiederum mit hohen Verzugszinsen.
- Wird ein Vorsatz nachgewiesen, hat dies die Konsequenz, dass die die Beitragsnachforderungen statt nach vier Jahren erst nach 30 Jahren verjähren. Das führt bei lange bestehenden Auftragsbeziehungen natürlich zu sehr hohen Nachforderungen. Außerdem kann es dann zu strafrechtlichen Kosequenzen für den Auftraggeber kommen. (Ist es das, was Sie mit "juristischen Konsequenzen" meinen?)
- In den allermeisten Fällen beschäftigt sich nicht die Justiz im Rahmen einer Anzeige mit diesen Themen. Vielmehr können Auftraggeber oder Auftragnehmer ein Statusfeststellungsverfahren (dann "Antragsverfahren" genannt) bei der Deutschen Rentenversicherung beantragen.
Warum der Fehler so ärgerlich ist
Meinen Leserbrief habe ich wie folgt beschlossen:
"Ich würde mir vom SPIEGEL sehr wünschen, dass er sich mit dem Thema Scheinselbstständigkeit eingehender und faktenbasiert beschäftigt. Leider besteht dazu in der Öffentlichkeit nur ein gefährliches Halbwissen.Die Art und Weise wie die aktuelle Rechtslage zu diesem Thema von der DRV umgesetzt wird, ist nach Meinung von mit dem Thema befassten Juristen und Berufsverbänden skandalös, weil es dazu führt, dass massenhaft Aufträge ins Ausland verlagert werden (müssen). Ich würde mir sehr wünschen, dass Sie dieses Thema aufgreifen. Natürlich stehe ich gerne als Gesprächspartner zur Verfügung und/oder vermittle andere Experten. Das Thema ist für die Betroffenen so schlimm, dass wir jetzt angefangen haben, dazu Selbsthilfegruppen einzurichten."
Die Aufzählungspunkte von oben habe ich auch als Kommentar Nr. 169 unter dem Artikel gepostet, leider hat die Website meine Zeilenumbrüche "verschluckt". Ihr seid herzlich eingeladen, dort (oder auch hier bei uns) einen Kommentar abzugeben.
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