Unsere Schreibtische haben ein neues Zuhause gefunden – und wir dabei eine schöne Geschichte erfahren: Von Tarkan, einem Hamburger Jung, der am Irschenberg T-Shirts verkauft und unseren Tisch zum Plottertisch im ehemaligen "Black Burner Rockclub" macht.
Dienstag, 7. Februar 2023: Das VGSD-Büro in der Münchner Innenstadt wird für das gewachsene Team neu ausgestattet. Fünf Schreibtische raus, sechs neue rein. Max und Andreas halten die Stellung, der Rest des Teams arbeitet einen Tag im Homeoffice. Am Mittwoch soll das Büro wieder voll einsatzfähig sein. Damit das alles reibungslos funktioniert, müssen die alten Schreibtische punktgenau am Dienstag abgeholt werden. Wir haben sie deshalb auf Ebay inseriert (hat keinen interessiert) und den Mitgliedern zum Verschenken angeboten.
Ein Interessent für die beiden ersten Schreibtische ist bald da, doch die weiteren drei finden erst mal keinen Anklang. Am Montagabend fürchten wir schon, die Tische dem Möbelunternehmen zur Entsorgung mitgeben zu müssen, statt jemandem eine Freude machen zu können. Doch dann meldet sich in vorletzter Minute Tarkan.
Das Bett macht Platz für die Tische
Aus Bruckmühl am Irschenberg kommt Tarkan Oeztepe am Dienstagnachmittag mit seinem Opel-Van angefahren. Um die Tische einladen zu können, hat er vorher das Bett ausgebaut. Während er mit Max die Tische durchs Treppenhaus schleppt, erzählt er, wofür er sie braucht.
Tarkan Oeztepe sagt von sich, er sei ein "Hamburger Jung". Als solcher gründete er 2003 quasi am Elbstrand mit einem Freund das Label "Hamburg LaPlaya", um T-Shirts nach eigenem Geschmack herzustellen und zu verkaufen. Als gelernter Industriekaufmann hatte er nach zehn Jahren im Musikbusiness viele Kontakte und konnte das Label gut im Vertrieb starten. Es lief wohl mal besser, mal schlechter, Tarkan sagt, man habe "Erfahrungen gemacht" und lacht.
Vom Elbstrand in den Chiemgau
Irgendwann lag die Playa von Hamburg dann eher am Chiemsee, denn Tarkan zog es in die Berge nach Rosenheim. Der Onlinehandel wurde wichtiger, der Freund stieg aus, und Tarkan fand eine weitere Berufung als selbständiger Veranstaltungstechniker: Er sorgte für Licht und Video auf Industrieveranstaltungen und Hauptversammlungen, arbeitete auf Messen oder auch auf Konzerten. "Ich hatte gute Aufträge in ganz Europa", erzählt er.
Irgendwann lernte Tarkan seine Lebensgefährtin Doris kennen, die beiden bekamen Kinder, und da Tarkan mit seinem reiseintensiven Job nicht ständig weg sein wollte, ging er drei Jahre in Elternzeit. "Dabei habe ich einen Großteil meiner Rücklagen aufgebraucht", sagt er und wirkt dabei, als ob ihn das nicht sonderlich bedrückte. Er kam aus der Elternzeit zurück und habe „gerade die ersten fünf bis zehn Aufträge gearbeitet und ein volles Auftragsbuch" gehabt, als der erste Corona-Lockdown begann: "Mit einem Schlag alles weg", sagt Tarkan über die Auftragslage.
Raus aus dem Keller, rein ins Billard-Café
Im Frühjahr 2020 war Tarkan also ein auftragsloser Veranstaltungstechniker mit einem T-Shirt-Handel im Nebenerwerb, dem eines klar war: "Ich hatte keine Hoffnung, dass die Veranstaltungen schnell wiederkommen." Was er aber hatte: einen Keller voller Materialien für Textildruck, Unternehmergeist, ein gutes Netzwerk und eine motivierte Partnerin an seiner Seite. So stiegen die beiden zusätzlich in die Maskenproduktion ein – in jener heute schon wieder unendlich fern anmutenden Zeit, als Mund und Nase noch nicht mit medizinischer Ausrüstung, sondern mit bunten Stoffstücken bedeckt wurden.
Auch sonst nahm das Geschäft mit individualisiertem Textildruck Fahrt auf, und Tarkan merkte: Er muss raus aus dem Keller. Deshalb griff er zu, als sich ihm im Sommer 2020 die Gelegenheit bot, ein altes Billard-Café in Bruckmühl anzumieten. Ein finanzielles Polster aus einem kurz zuvor erhaltenen Erbe erleichterte ihm den Schritt, über den er heute sagt: "Die neuen Räume waren der entscheidende Punkt in der Entwicklung." Auf 400 Quadratmetern richtete er einen Showroom, sein Lager, einen Produktionsraum und Büroräume ein – an einem Ort, der in der Gegend vielen in anderem Zusammenhang vertraut ist.
"Hier bin ich auch schon versumpft"
"Hier war früher auch mal der Black Burner Rockclub", erzählt Tarkan, "jeder kennt das." Viele sagten, wenn sie merkten, um welchen Ort es gehe: "Da bin ich auch schon mal versumpft." Mit Unterstützern – viele von ihnen im Sommer 2020 ebenfalls auftragslose befreundete Veranstaltungstechniker und Messebauer – richtete er die Räume für seine Zwecke her, natürlich musste auch der alte Bodenbelag weichen. "Die Geschichten, die der legendäre rote Teppich hätte erzählen können, möchte ich gar nicht wissen", sagt Tarkan lachend.
Mit den Masken war es schnell wieder vorbei, doch der Textildruck für individuelle Kleinauflagen hatte viele Interessenten – Firmen, Vereine, Privatpersonen. Die Textilien sind fair produziert, die Farben vegan (ohne tierische Produkte hergestellt). Mit den Kleinstauflagen – auch die Bestellung von einem einzelnen Exemplar ist möglich – ist Tarkan vor allem für kleine Auftraggeber interessant. Im Juni 2021 löste er diese Sparte von Hamburg LaPlaya und meldete "HLP Druck" als eigenes Gewerbe an.
Kommen bald neue Mitarbeiter?
Während wir im VGSD-Büro unsere neuen Schreibtische surrend auf- und niederfahren lassen und von Tarkans Dankeschön-Schokolade essen, freuen wir uns, dass unsere alten Schreibtische gut untergekommen sind.
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