In diesen Tagen erhalten die Gewerbetreibenden in Stuttgart und Umland die Briefwahlunterlagen für die Wahl zur Vollversammlung. Bis 25. September 2012, 15 Uhr müssen die Stimmzettel zurückgesendet sein.
Die Stuttgarter Zeitung spricht von einem "heißen Wahlkampf", denn mit dem "Kaktus-Bündnis" treten 57 Bewerber an, die ein Ende der Pflichtmitgliedschaft fordern.
Wir haben Andreas Richter (60), seit 1998 Hauptgeschäftsführer der IHK Stuttgart, darum gebeten, auf die Positionen der Kritiker zu antworten.
VGSD: Welchen Einfluß haben die ehrenamtlichen Mitglieder der Vollversammlung auf den hauptamtlichen IHK-"Apparat"?
Andreas Richter: Die Mitglieder der Vollversammlung können auf die Arbeit der IHK jederzeit Einfluss nehmen. Sie legen das Budget fest, bestimmen die politische Ausrichtung, Projekte und Aktivitäten der IHK, beschließen über Personalausgaben, Investitionen und Höhe der Beiträge. Die Geschäftsführer der IHK stehen dabei im gesamten Jahresverlauf in stetigem Austausch mit Mitgliedern der Vollversammlung.
Frage: Es heißt, dass die Stuttgarter Vollversammlung die ihr vorgelegten Beschlussvorschläge nach kurzer Diskussion oft einstimmig bzw. mit einer Gegenstimme beschließt. Ist das korrekt und aus Ihrer Sicht wünschenswert?
Antwort: Zu den Beschlussvorlagen, die im Vorfeld von Sitzungen an die VV-Mitglieder gehen, gibt es immer wieder auch Änderungs- und Ergänzungswünsche. Diese werden in der VV diskutiert. Entscheidungen fallen einstimmig, aber genauso mit Gegenstimmen und Enthaltungen. Die IHK wünscht eine intensive Diskussion und hat kein Interesse an einer Kultur des Abnickens.
Frage: Fast 70 Prozent der 160.000 Mitgliedsbetriebe der IHK Stuttgart sind Kleingewerbetreibende. Wie viele davon sind aktuell Mitglieder der Vollversammlung? Wie beurteilen Sie dieses Verhältnis?
Antwort: In der aktuellen Vollversammlung stellen (von 100 Sitzen)
- 22 Sitze Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigte,
- 15 Sitze Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigte,
- 20 Sitze mit weniger als 200 Beschäftigte,
- 16 Sitze mit weniger als 500 Beschäftigte,
- 5 Sitze mit weniger als 2000 Beschäftigte,
- 16 Sitze mit weniger als 5000 Beschäftigte,
- 6 Sitze mit mehr als 5000 Beschäftigte.
Frage: Laut Wikipedia (http://bit.ly/NGaIoA) vermeiden 77 von 80 IHKs die Veröffentlichung der Stimmzahlen der Kandidaten. 50 IHKs nennen nicht die Wahlbeteiligung. Warum ist das so und wie verhält es sich in Stuttgart?
Antwort: Die IHK Region Stuttgart nennt die Wahlbeteiligung. Sie lag bei den letzten VV-Wahlen bezogen die Handelsregisterunternehmen bei 24,5 Prozent, bezogen auf die Summe aus Handelsregister-Unternehmen und Kleingewerbetreibende bei knapp 9 Prozent.
Frage: Worauf führen Sie die doch sehr geringe Wahlbeteiligung zurück? Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um die Wahlbeteiligung in Stuttgart zu erhöhen?
Antwort: Von den 160 000 Mitgliedsunternehmen sind 110 000 Kleingewerbetreibende. 80 000 davon sind maximal drei Jahre Mitglied der IHK. Diese Gruppe der Kleingewerbetreibenden sind für IHK-Wahlen nicht erreichbar. Bezogen auf die Unternehmen, die nachhaltig Bestand haben, liegt die Wahlbeteiligung zwischen 20 und 25 Prozent. Gemessen daran, dass es keine Parteien, keine Plakate, kaum Medienberichterstattung gibt, ist das kein schlechter Wert. Die IHK wirbt auf vielfältige Weise für die Stimmabgabe (www.stuttgart.ihk.de)
Frage: Die abgegebenen Stimmen haben unterschiedliches Gewicht, je nachdem welcher Wahlgruppe (Branche) man angehört. Außerdem wählt die Vollversammlung ohne Kontrolle der Wähler nachträglich 20 Abgeordnete hinzu, was die Position von Minderheiten weiter schwächt. Wie rechtfertigen Sie derartige Regelungen?
Antwort: Laut Gesetz muss die Vollversammlung die Wirtschaftsstruktur des IHK-Bezirks abbilden. Die Sitzverteilung wird anhand der Zahl der in einer Wahlgruppe insgesamt vertretenen Wahlgruppe sowie dem Gewicht der Gewerbeerträge ermittelt. Diese Zahlen werden vor jeder IHK-Wahl neu berechnet. Die Möglichkeit der Kooptation weiterer Vollversammlungsmitglieder ist vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen, wenn die Wahl dazu führt, dass bestimmte Teilbranchen nicht ausreichend in der Vollversammlung abgebildet sind, diese aber die Struktur des IHK-Bezirks mit prägen.
Frage: Die Industrie- und Handelskammern setzen sich im Namen der regionalen Wirtschaft für große Infrastruktur-Projekte ein, in Stuttgart z.B. für S21. Viele kleinere Unternehmer fühlen sich von Ihnen politisch nicht repräsentiert und wehren sich deshalb zunehmend gegen die Pflichtmitgliedschaft in der IHK. Wie stehen Sie dazu?
Antwort: Über die politischen Positionen der IHK bestimmt die Vollversammlung. Sie hat die Pflicht, hier eine sorgsame Abwägung der unterschiedlichen Interessen vorzunehmen. Eine solche Abwägung ist im Falle von S21 erfolgt, die IHK hat alle Argumente der Gegner auf der eigenen Homepage ausführlich dokumentiert. Wesen der Demokratie ist, dass Mehrheitsbeschlüsse von denen, die nicht die Mehrheit erringen konnten, auch akzeptiert werden.
Frage: Der DIHK hat die Kürzungen beim Gründungszuschuss und die Umwandlung in eine Ermessensleistung begrüßt. Die Gründungen in diesem Bereich sind im Vergleich zum Vorjahr um 82 Prozent zurückgegangen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Antwort: In Boomzeiten entwickelt sich die Zahl der Firmengründungen unterdurchschnittlich. Die Wirtschaft in der Region Stuttgart bietet viele attraktive Aufstiegsmöglichkeiten und ist zugleich sehr wettbewerbsstark. Für Neugründungen ist dies eine zusätzliche Herausforderung.
Frage: Im Zusammenhang mit Kleingründungen verwenden IHK-Vertreter häufig das Wort "Notgründung". Sie selbst haben in Bezug auf Kandidaten der Vollversammlung gegenüber der Stuttgarter Zeitung gesagt, es "handle sich dabei keineswegs um richtige Unternehmen, sondern eher um ‘Bürger mit Gewerbeschein’". Wie passt das dazu, dass diese Gruppen Beitragszahler und Pflichtmitglieder der IHK sind?
Antwort: Privatpersonen, die für eine Nebentätigkeit in geringem Umfang zeitweise einen Gewerbeschein benötigen, werden mit der Gewerbeanmeldung automatisch IHK-Mitglied. Sie zahlen keinen IHK-Beitrag, haben indes vollen Anspruch auf alle Dienstleistungen der IHK. Aus Sicht der IHK wäre es sinnvoll, dass Bürger, die gar nicht Unternehmer sein wollen, auch keine IHK-Mitglieder sind.
Frage: Nach Ansicht von Kritikern entfernen sich die IHKs immer weiter von ihren gesetzlichen Aufgaben. Sie gründen Tochterunternehmen und machen ihren eigenen Pflichtmitgliedern mit Angeboten in der Fort- und Weiterbildung Konkurrenz. Ist das in Stuttgart auch so?
Antwort: Die IHK Region Stuttgart bewegt sich strikt innerhalb ihrer Aufgaben. Sie hat keine einzige Tochtergesellschaft. Sie ist im letzten Jahrzehnt auch keine Beteiligung eingegangen. Die IHK berät Mitgliedsunternehmen in Fragen der Weiterbildung und verweist dabei pflichtgemäß auf die am Markt befindlichen Akteure. Im Bereich der Weiterbildung konzentriert sich die IHK auf die technische Fortbildung (CNC-Schulungen, Industriemeister etc).
Frage: Kritisiert werden auch die im Vergleich zum übrigen öffentlichen Dienst deutlich höheren Gehälter und Pensionsansprüche der IHK-Mitarbeiter. Ist solche Kritik berechtigt?
Antwort: Die Gehälter der IHK Region Stuttgart orientieren sich nicht am öffentlichen Dienst sondern am Markt. Wer Beamten-Tarife bezahlt, bekommt eine Beamten-IHK. Das will unsere Vollversammlung nicht. Die IHK Region Stuttgart hat das frühere System des öffentlichen Dienstes (niedrigere Gehälter, gute Altersversorgung) bereits im Jahr 2000 umgestellt und die früheren Pensionsregelungen abgeschafft. Aufgrund der Langfristigkeit werden die Pensionsrückstellungen erst in einigen Jahren ihren Höhepunkt erreichen und dann kontinuierlich absinken.
Frage: Ein Drittel der Bewerber zur IHK-Wahl 2012 hat sich mit einem Kaktus fotografieren lassen und tritt gegen den Kammerzwang ein. Wie halten Sie von dieser Gruppierung? Inwiefern werden Sie in den Wahlkampf eingreifen?
Antwort: Jedes Mitgliedsunternehmen der IHK Region Stuttgart kann sich um einen Sitz in der Vollversammlung bewerben. Jedes Unternehmen hat - unabhängig von seiner Größe und Mitarbeiterzahl - dabei die gleichen Rechte, auch in der Vollversammlung. Mehr Basisdemokratie geht nicht. Die Geschäftsführung greift in den Wahlkampf nicht ein und positioniert sich nicht für oder gegen Kandidaten. Unsere Aufgabe ist es, unter Kontrolle des von Unternehmern besetzten Wahlausschusses den knapp 160.000 wahlberechtigten Unternehmen korrekte Unterlagen für die Briefwahl zukommen zu lassen, allen Kandidaten die gleichen Möglichkeiten für ihre Präsentation zu geben und das Auszählen unter notarieller Aufsicht korrekt durchzuführen.
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!
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