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Lesetipp VGSD kämpft für Beitragsgerechtigkeit Drei Gründe, warum Selbstständige zu viel Sozialbeiträge zahlen

Selbstständige zahlen besonders hohe Beiträge zur Sozialversicherung. Dies muss sich ändern, wenn Altersvorsorgepflicht und Mutterschutz kommen sollen. Deswegen setzen wir uns in zahlreichen Gesprächen mit Politikern für Beitragsgerechtigkeit ein.

Baustelle Beitragsgerechtigkeit: Selbstständige zahlen zu viel Sozialbeiträge

Mehr als zwei Drittel der Solo-Selbstständigen sind gesetzlich krankenversichert, viele selbstständige Tätigkeiten unterliegen der Rentenversicherungspflicht, und voraussichtlich zwingt die Altersvorsorgepflicht bald alle Gründenden zur Zahlung in die Rentenversicherung (oder eine Rürup-Rente). Auch für Selbstständige spielt deshalb die Sozialversicherung eine große Rolle.

Dass Sozialversicherungsbeiträge für Selbstständige in gleicher Höhe erhoben werden wie von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, ist für uns in Ordnung. In der Realität geschieht dies aber nicht. Selbstständige zahlen mehr. Es herrscht Beitragsungerechtigkeit.

Für Selbstständige sind die Beiträge aus drei Gründen höher:

  • Die Bemessungsgrundlage entspricht bei Selbstständigen dem Arbeitnehmerbrutto plus dem Arbeitgeber-Anteil an den Beiträgen. Das ist, als müssten Arbeitnehmer auch Sozialversicherung auf den Arbeitgeber-Anteil bezahlen.
  • Als freiwillig gesetzlich Krankenversicherte zahlen Selbstständige Beiträge nicht nur für ihr Arbeitseinkommen, sondern auch für andere Einkunftsarten (dazu gehören Mieteinnahmen, Kapitalerträge, ggf. Unterhaltszahlungen, Einkommen privat versicherter Partner)
  • Für Selbstständige gelten höhere Mindestbeiträge. Sobald sie die Minijob-Grenze von 538 Euro überschreiten, werden sie behandelt, als ob sie 1.178 Euro verdienen, auch wenn ihr Einkommen tatsächlich geringer ist.

VGSD führt viele Gespräche

Vielen Politiker/innen ist die fehlende Beitragsgerechtigkeit nicht bewusst oder nicht bekannt. Für uns als VGSD dagegen steht sie ganz oben auf der Agenda. Sie ist Voraussetzung für jede weitere Einbindung von Selbstständigen in soziale Sicherungssysteme, sei es bei der Altersvorsorgepflicht, der Arbeitslosenversicherung oder bei der solidarischen Finanzierung von Mutterschutzleistungen für Selbstständige. Dies haben wir in einem Positionspapier niedergelegt.

Wir führen deshalb derzeit zahlreiche Gespräche mit Politikerinnen und Politikern. In den kommenden Wochen sind Vera Dietrich, Andreas Lutz und Jörn Freynick teilweise in mehreren Terminen pro Tag in Calls von je einer Stunde mit Bundestagsabgeordneten von Grünen, FDP, SPD und Union. Das Thema betrifft die Ressorts Gesundheit, Arbeit und Soziales, Wirtschaft, Familie und Finanzen. 

Komplexe Probleme erläutern

Wir erläutern die Problematik mit einer Präsentation, die wir über längere Zeit weiterentwickelt haben, um das komplexe Thema anhand eines konkreten Zahlenbeispiels nachvollziehen zu können. Wir stellen fest, dass wir unsere Gesprächspartner mit unserem Anliegen erreichen und Verständnis wecken können. Wir diskutieren mit ihnen und werden sehr konkret: Wie könnte eine Lösung aussehen? Wie könnte sie finanziert werden? 

Dazu muss das Problem erst einmal genau beschrieben werden. Den ersten Grund für die Beitragsungerechtigkeit stellen wir gerne grafisch dar. Selbstständige tragen in der Sozialversicherung sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmeranteil selbst. Das allein ist nicht ungerecht, denn in ihrer Eigenschaft als Selbstständige sind sie sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer in einer Person. Dieser Tatsache müssen sie in ihrer Honorarkalkulation Rechnung tragen – ihre Honorare müssen unter anderem deshalb deutlich höher sein als die Gehälter von Angestellten mit gleichen Tätigkeiten.

Selbstständigen bleibt bei vergleichbarem Bruttoeinkommen etwa 10 Prozent weniger Nettoeinkommen – vereinfachte Beispielrechnung mit 100 Euro brutto ("Tagesverdienst" bei Anstellung mit Bruttolohn von 3.000 Euro im Monat)

Ungerechtigkeit 1: Beiträge auf rechnerischen Arbeitgeberanteil

Allerdings wird für die Beitragsbemessung bei Selbstständigen der Gewinn herangezogen. Der Gewinn einer selbstständig tätigen Person enthält rechnerisch bereits den Arbeitgeberanteil. Damit erhöht sich in einer Art Zirkelschluss die Bemessungsgrundlage für die Beiträge. Selbstständige zahlen quasi noch einmal Beiträge auf die Beiträge. Im Ergebnis bedeutet dies bei vergleichbarem Brutto um 20 Prozent höhere Beiträge und ein um 10 Prozent niedrigeres Nettoeinkommen. Um ein vergleichbares Netto zu erzielen, müsste der Gewinn 34 Prozent höher liegen als das Arbeitnehmerbrutto.

Ungerechtigkeit 2: Beiträge auf alle Einkommensarten

Ein weiterer Punkt der Beitragsungerechtigkeit ist die Verbeitragung von Einkünften aller Art für Selbstständige, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Angestellte dürften die Vorstellung, dass sie für die Zinserträge ihres Tagesgeldkontos Beiträge zur Krankenversicherung zahlen sollten, reichlich absurd finden. Nicht so Selbstständige: Sie müssen Krankenkassenbeiträge auf alle Einkunftsarten zahlen, seien es Kapitaleinkünfte, Mieteinnahmen, oder auch Unterhaltszahlungen für Geschiedene. Sogar das Einkommen eines privat versicherten Ehepartners wird in der Regel mit verbeitragt.

Ungerechtigkeit 3: Zu hohe Mindestbemessungsgrenze

Gerade Selbstständige, die sich noch in der Gründungsphase befinden oder in Teilzeit tätig sind, trifft die hohe Mindestbemessungsgrenze: Wer mehr als 538 Euro (Minijob-Grenze) verdient, muss mindestens 1.178 Euro verbeitragen – egal, ob er oder sie tatsächlich weniger verdient. Für die kostenlose Familienversicherung gilt sogar die niedrigere Einkommensgrenze von 505 Euro. Bei einem Gewinn von 600 Euro bedeutet dies Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 38 Prozent.

Frauen besonders stark betroffen

Diese Benachteiligungen betreffen besonders oft Frauen: Sie sind häufiger in Teilzeit selbstständig. Die Selbstständigkeit könnte eigentlich die familienfreundliche Alternative zur Festanstellung sein und es mit ihrer Flexibilität Eltern erleichtern, Familie und Beruf zu verbinden. Gerade der Wiedereinstieg in den Beruf nach einer Babypause könnte so elegant gelingen: Klein anfangen und dann je nach Kapazität sukzessive steigern.

Stattdessen schaffen die sprunghaft ansteigenden Beiträge eine Barriere auf der Höhe der Familienversicherungsgrenze: Wer mehr als 505 Euro pro Monat verdient, bekommt erst einmal viel weniger raus. Dies hält Betroffene in einem Geringverdiener-Bereich, obwohl sie möglicherweise gerne mehr arbeiten würden. Diesen "Lock-in-Effekt" gilt es aufzuheben. Mit fairen Beiträgen könnte eine – insbesondere bei Frauen – höhere Erwerbsbeteiligung und eine bessere Altersvorsorge erreicht werden.

Dreifacher Gender-Pay-Gap

Auch die anderen beiden Aspekte der Beitragsungerechtigkeit treffen vor allem Frauen. Sie liegen mit ihren Einkünften seltener über der Beitragsbemessungsgrenze, ab der die Effekte nicht mehr auftreten. Man kann deshalb bei selbstständigen Frauen in Anlehnung an den bekannten, aus zwei Gesichtspunkten bestehenden Gender-Pay-Gap von einem dreifachen Gender-Pay-Gap sprechen.

In den kommenden Monaten ist damit zu rechnen, dass die Ampel, wie schon lange geplant, das Thema Altersvorsorgepflicht angeht. Auch Mutterschutzleistungen für Selbstständige stehen auf der Tagesordnung – eine Verbesserung der Situation selbstständiger Frauen, für die auch wir als VGSD uns intensiv eingesetzt haben. Für uns ist klar: Diese Themen und die Beitragsgerechtigkeit gehören zusammen!

Vertrauen in soziale Sicherungssysteme beschädigt

Die diskriminierenden Rahmenbedingungen nehmen Selbstständigen den Spielraum für ihre Altersvorsorge. Die Ungerechtigkeit untergräbt das Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme. Deswegen muss Beitragsgerechtigkeit hergestellt werden, bevor Selbstständige tiefer in die Systeme eingebunden werden können.

Um Beitragsgerechtigkeit herzustellen, schlagen wir vor:

  • Selbstständige sollten den rechnerischen Arbeitgeberanteil ihrer Sozialabgaben steuerlich als Betriebsausgabe geltend machen können, genau wie Arbeitgeber auch.
  • Sie sollten auf dieselben Einkunftsarten wie Angestellte Beiträge zahlen.
  • Die Mindestbemessungsgrundlage muss – wie im Koalitionsvertrag 2021 versprochen – durch strikt einkommensabhängige Beiträge ersetzt werden.

Staat wird unterm Strich profitieren

Diese Änderungen wären ein großer Schritt hin zu fairen Bedingungen für Selbstständige. Dabei würden die Krankenkassen von den Bestandsselbstständigen etwas weniger Beiträge bekommen – die diese vorher zu viel gezahlt haben. Dem stehen allerdings höhere Einnahmen in anderen Bereichen gegenüber – unter anderem durch höhere Steuern. Unter dem Strich wird der Staat profitieren. Wir arbeiten daran, dass es hier ein gemeinsames Verständnis mit möglichst vielen politisch Verantwortlichen gibt.

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