Die Mehrheit der Deutschen und insbesondere der Ostdeutschen hat ein extrem negatives Bild von „Reichen“, sehr viel negativer als Franzosen, Briten oder Amerikaner dies haben.
Das liegt auch daran, dass verhältnismäßig wenige Deutsche einen Millionär kennen bzw. diese sich in Deutschland ungerne als solche outen – was man ihnen angesichts der bestehenden Vorurteile nicht übel nehmen kann. Allerdings dürfte diese Reaktion den Fortbestand von Vorurteilen zusätzlich fördern – ein Teufelskreis.
Egoistisch, rücksichtslos, gierig und überheblich
Doch wer gilt schon gerne als egoistisch (62 Prozent), materialistisch (56 Prozent), rücksichtslos (50 Prozent), gierig (49 Prozent) und überheblich (43 Prozent)? Die Angaben in Klammern geben an, wie viele Deutschen ihren wohlhabenden Mitbürgern – zumeist ohne sie zu kennen – diese negativen Eigenschaften zuschreiben. Positive Eigenschaften folgen erst an sechster Stelle und werden von einer Minderheit genannt: Fleißig (42 Prozent), wagemutig (41 Prozent), intelligent (40 Prozent) und visionär (39 Prozent).
Deutsche die selbst „Reiche“ kennen, fällen ein anderes Urteil: 71 Prozent bewerten die ihnen ja mindestens teilweise bekannten „Reichen“ als fleißig und intelligent, immerhin 58 Prozent billigen ihnen Einfallsreichstum zu.
Doch nur 17 Prozent der Deutschen haben Kontakt zu wenigstens einem "geouteten" Millionär. In anderen Ländern, insbesondere in Großbritannien (38 Prozent) und USA (43 Prozent), gibt es deutlich mehr Bürger, die einen reichen Mitbürger kennen.
Je mehr Millionäre man kennt, um so milder das Urteil
Entsprechend milder fallen dort die Urteile selbst über Superreiche aus. Während 50 Prozent der Deutschen dieser Gruppe die Schuld an Finanz- und humanitären Krisen gibt, tun dies nur 33 Prozent der Franzosen, 25 Prozent der Amerikaner und 21 Prozent der Briten.
Häufiger als die Bürger der anderen Länder reagieren Deutsche auch mit Schadenfreude und finden, dass es einem Millionär Recht geschieht, wenn er durch ein riskantes Geschäft viel Geld verliert. Besonders groß ist die Schadenfreude bei Anhängern der SPD (51 Prozent), der Linken (48 Prozent) und AfD (47 Prozent). Bei CDU, FDP und Grünen (!) sind es jeweils nur 34 Prozent.
Erfolgreichen Selbstständigen wird Vermögen eher gegönnt
Erfolgreiche Selbstständige haben dabei noch Glück: Selbstständigen und Unternehmern gönnen 64 bzw. 57 Prozent der Bevölkerung das selbst erarbeitete Vermögen, bei Spitzenmanagern sind es nur 20 Prozent. Denn wie das Vermögen erworben wurde, entscheidet darüber ob andere es einen gönnen.
Reichtum wird häufig auf Beziehungen der Eltern (55 Prozent), auf Erbschaften (41 Prozent), besondere Rücksichtslosigkeit (43 Prozent) und darauf zurückgeführt, dass man sich auf Kosten anderer bereichert habe (ca. 35 Prozent). Jeder zweite Reiche sei ein Steuertrickser. Jeder zweite Ostdeutsche, aber „nur“ jeder Dritte Westdeutschen gibt den Reichen zudem die Schuld an der Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft.
Wie weit verbreitet solche Pauschalurteile sind, zeigen Kommentare unter einem WELT-Beitrag über die Studie: "Kurz gesagt: jeder Reiche hat sein Vermögen auf dem Buckel anderer Menschen egoistisch und rücksichtslos ergaunert. Gute Ideen, übermäßiger Fleiß und visionär zu sein haben keine entscheidende Rolle gespielt. Es war eher: das Richtige, zur richtigen Zeit anbieten/können und den unbändigen Willen besitzen jeden Vorteil und jeden Menschen für sich auszunutzen. (...) Gut das unser Volk das immer noch weiß." (stdout, 13.02.2019, ca. 7 Uhr). Sicherlich lassen sich solche Aussagen mit den entsprechenden Ersparnissen auf dem Bankkonto eher ertragen, aber sie erinnern doch schon sehr an antisemitische Ressentiments, wie wir sie in Deutschland lange überwunden geglaubt hatten.
Immerhin sieht ein Teil der Befragten die Ursache auch in positiven Eigenschaften wie Kontaktfreude (50 Prozent), Risikobereitschaft (47 Prozent), Geschäftsideen und Talent (je 43 Prozent). Ein Drittel billigt den Reichen zu, dass die Gesellschaft von den von ihnen geschaffenen Arbeitsplätzen und Produkten profitiere. Nur 18 Prozent erkennt an, dass das Land von ihren überproportional hohen Steuerzahlungen profitiert.
Nullsummendenken und Schulbildung sind weitere wichtige Einflussfaktoren
Bei der Auswertung der Studie zeigte sich, dass die Antworten auf drei Fragen die Einstellung der Befragten insgesamt gut zusammenfassten. Der Autor der Studie leitete daraus eine "Sozialneidskala" ab. Im internationalen Vergleich zeigte sich, dass der Sozialneid in den USA und Großbritannien deutlich geringer ausgeprägt ist als in Deutschland und Frankreich.
Mittels Regressionsanalyse hat der Autor im Anschluss drei Faktoren ermittelt, die signifikanten Einfluss auf die Höhe des Sozialneids haben: Neben der Frage, ob ein Millionär persönlich bekannt ist, hat auch die Schulbildung der Befragten großen Einfluss. Den mit Abstand stärksten Einfluss hat aber, ob ein "Nullsummendenken" vorliegt. Damit ist ein Bild von der Wirtschaft gemeint, nach dem das, was der eine (Reiche) gewinnt, dem anderen (Armen) fehlt. Tatsächlich ist die Wirtschaft aber kein Nullsummenspiel, kein Kuchen von konstanter Größe.
Während die Franzosen uns in Bezug auf den Sozialneid noch übertreffen, sind wir Deutschen besonders anfällig für "Sündenbocktheorien". So gaben, wie eingangs erwähnt, 50 Prozent der Deutschen an, Superreiche seien Schuld an vielen Problemen auf der Welt, z.B. an Finanzkrisen oder humanitären Krisen. Von den Franzosen waren es nur 33 Prozent, von den Amerikanern 25 und von den Briten 21 Prozent.
Je tausend Amerikaner, Briten, Franzosen und Deutsche befragt
Für die Studie wurden in vier Ländern von Allensbach und Ipos MORI jeweils 1.000 Personen nach Menschen befragt, die (Wohneigentum nicht mitgerechnet) mindestens eine Million Euro, Pfund bzw. Dollar besitzen.
Mehr über die Ergebnisse der Studie kann man in dem gestern erschienenen Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ von Rainer Zitelmann erfahren. Das Buch ist aktuell „Bestseller Nr. 1“ – zumindest in der Amazon-Rubrik „Diskriminierung“.
Das Buch hat einen Umfang von gut 450 Seiten und geht in Teil A zunächst auf die Vorurteilsforschung ein, die bisher auf die Erforschung von Rassismus und Sexismus fokussiert ist. Vorurteile gegen Reiche fallen unter die Kategorie "Klassismus", wobei der Schwerpunkt der Forschung hier auf "Downward Classism" liegt, als der Erforschung von Vorurteilen über Arme.
Teil B stellt ausführlich die Ergebnisse der Befragung dar, zunächst die Länder im Einzelnen, dann im Vergleich. In Teil C berichtet der Autor über Medieninhaltsanalysen. Gerade weil so wenig Deutsche Reiche aus eigener Erfahrung kennen, kommt den Medien eine große Rolle bei der Vermittlung von Informationen bzw. Vorurteilen über diese Gruppe zu.
Warum ist das Thema für uns relevant?
Nur eine Minderheit von uns Selbstständigen ist reich, auch wenn wir durch die (bisher) eigenverantwortliche Altersvorsorge und durch die Möglichkeit zur Mehrarbeit eher als Angestellte die Chance haben mögen, tatsächlich in Millionärs-Liga vorzustoßen.
Vorurteile über Selbstständige gibt es aber jede Menge: Für die einen sind wir Schutzbedürftige mit prekären Einkommensverhältnissen, für die anderen unsolidarische Steuerbetrüger. Auf Basis solcher Vorurteile werden dann nicht selten politische Entscheidungen getroffen.
Andere Vorurteile hindern Gründungswillige daran, sich selbstständig zu machen oder erschweren die Jobsuche, wenn man sich nach einer Phase der Selbstständigkeit wieder in eine Anstellung wechseln möchte.
Während es in Bezug auf die Wahrnehmung von Beamten regelmäßige Befragungen gibt, konnte ich trotz ausgiebiger Internet-Recherchen keine Studien zu diesem Thema finden. Vielleicht könnte die Studie von Rainer Zitelmann hier ein Vorbild sein.
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