Nachdem Arbeitsministerin Nahles die kritischen Bemerkungen von Kanzlerin Merkel auf dem Arbeitgebertag über ihren Gesetzesentwurf zu Werkverträgen („unstrittig ... über Koalitionsvertrag hinaus“) zunächst einfach zu ignorieren schien, wurde das Kanzleramt deutlicher.
Der Entwurf sei „erst einmal gestoppt“ hieß es am 02.12.15. Das Arbeitsministerium sei angewiesen worden, erneut die Tarifpartner (also Gewerkschaften und Arbeitgeber) zu konsultieren. Der Plan, das Gesetz mit dem neuen Kriterienkatalog gegen Scheinselbstständigkeit am Mittwoch dieser Woche (16.12.15) unverändert im Kabinett beschließen zu lassen, konnte also verhindert werden.
Statt dessen fand am Mittwoch auf Druck des Kanzleramts ein Spitzengespräch im Arbeitsministerium statt, an dem Kanzleramtsminister Peter Altmaier, Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, DGB-Chef Reiner Hoffmann sowie weitere hochrangige Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften teilnahmen. Das Arbeitsministerium spielte das Treffen herunter, es „gehöre zum ganz normalen Lauf der Gesetzgebung“. Arbeitgeber und Unionsseite sprachen dagegen von einem Krisentreffen. Bei dem Gespräch wurden die unterschiedlichen Positionen zum Gesetzesentwurf ausgetauscht und beschlossen, dass es im Januar Folgegespräche geben soll.
28% der Selbstständigen in Gefahr, als scheinselbstständig klassifiziert zu werden
Das Handelsblatt berichtet in seiner gestrigen Ausgabe dazu: Die Wirtschaft treibt vor allem die Sorge um, dass das Outsourcing ... erschwert wird. Oder dass klassische und oft gut verdienende Selbstständige, die sich zum Beispiel um das IT-System einer Firma kümmern, plötzlich Arbeitnehmerstatus erhalten. In diesem Zusammenhang sorgte eine Studie von Ernst & Young für Beunruhigung, wonach 28% der heute Selbstständigen in Gefahr sind, durch das neue Gesetz als scheinselbstständig klassifiziert zu werden. (Die Studie liegt uns vor - wir werden noch ausführlicher darüber berichten.)
Bei der Begrenzung von Arbeitnehmerüberlassung sind die Positionen von Union und SPD nicht so weit entfernt bzw. bewegt sich der Gesetzesentwurf hier noch halbwegs in den Grenzen des Koalitionsvertrags – auch wenn die Union angesichts der Flüchtlingskrise einige Vereinbarungen inzwischen für kontraproduktiv hält. „Doch beim geplanten Kritierienkatalog, der den Missbrauch von Werkverträgen verhindern helfen soll, gibt es noch erheblichen Gesprächsbedarf“ schreibt das Handelsblatt.
Arbeitsministerium spielt Konflikt herunter, Koalitionsvertrag sei eingehalten
Das Arbeitsministerium spielt die Konflikte herunter, es habe sich bei dem „Referentenentwurf“ überschriebenen Papier gar nicht um einen Gesetzesentwurf, sondern nur um eine erste Diskussionsgrundlage gehandelt. Hans-Peter Viethen, der Leiter der für das Gesetz zuständigen Abteilung im Arbeitsministerium, sprach auf einer Veranstaltung des vbw (Dachverband der Bayerischen Arbeitgeber) letzte Woche von der „Phase eines Dialogprozesses“. Auch sie es irrig, davon auszugehen, dass nun „alles auf Null“ sei. Das Gesetz sei eine korrekte Umsetzung des Koalitionsvertrags. Er sagte auch, es hätten umfangreiche Gespräche mit Arbeitgeberverbänden aller Branchen stattgefunden. „Ich hätte mir gewünscht, wir hätten noch länger miteinander diskutiert, weil es für unser Land wichtig ist. Das ist aus politischen Gründen nicht erfolgt.“
SPD glaubt wohl selbst nicht mehr an Einigung im Januar
Was den Zeitplan betrifft , so gab sich Viethen überzeugt, dass es noch im Januar eine Entscheidung der Bundesregierung bzw. –kabinetts geben werde. Das Arbeitsministerium sprach zuletzt davon, dass es „eine zeitnahe Kabinettsbefassung“ anstrebe.
Daran glauben die SPD-Fraktion im Bundestag und das Arbeitsministerium aber wohl selbst nicht. In einer gerade versendeten Einladung zu einer Betriebs- und Personalrätekonferenz am 24.02.16 im Reichstag heißt es: „Wir werden mitten in den Beratungen zum Gesetzentwurf sein, deshalb ist das Thema [der Konferenz]: ‚Missbrauch bei Werkverträgen und Leiharbeit beenden.’ Unsere Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles wird in das Thema einführen.“
Auch die Arbeitgeberverbände sehen die Positionen so weit auseinander, dass sie offenbar längere Verhandlung für nötig halten, die bis in den März hinein dauern könnten. Dagegen könnte zwar sprechen, dass am 13. März 2016 die Landtagswahlen in Baden-Württemberg anstehen und das Thema rechtzeitig vorher abgehandelt sein soll. Andererseits dürfte die Landtagswahlkampf wohl von anderen, weniger erklärungsbedürftigen Themen wie der Flüchtlingskrise dominiert werden.
Interessen von Selbstständigen Gegenstand von Deals zwischen Sozialpartnern?
Die Gewerkschaften sind ganz sicher, dass das Gesetz umgesetzt werden wird. Jürgen Wechsler, Bezirksleiter der IG Metall Bayern, sagte auf der Münchener Veranstaltung, sie seien den Arbeitgebern in anderen Bereichen entgegen gekommen und fordern nun von ihnen, sie sollten sich an zuvor gemachte Zugeständnisse halten: „Ihr kriegt die Tarifeinheit. Wir haben Wort gehalten. Dafür gab es viel Kritik. Ich erwarte von Ihnen auch Wort zu halten.“ Dabei geht es den Gewerkschaften wohl vor allem um einen höheren Grad an Tarifbindung, also nach unserem Verständnis um eine höhere Zahl an Mitgliedern. Zitat: „Bleibt hart bis zum Schluss – mehr Flexibilität gibt es nur für Tarifbindung.“
Werden hier die Interessen der Selbstständigen und Freiberufler zum Gegenstand von Auseinandersetzungen und Deals zwischen den Sozialpartnern – ohne dass wir als Betroffene mitreden dürfen oder auch nur gehört werden? - Diese Gefahr ist sehr real.
Fazit: Auseinandersetzung könnte zum Marathonlauf werden
Eine schneller (fauler?) Kompromiss über das Gesetz noch im Januar ist nicht sehr wahrscheinlich, aber auch nicht auzuschließen. Wir dürfen also keine Zeit verlieren und müssen unseren Protest im Januar lautstark fortsetzen.
Dabei müssen wir aber auch unsere Kräfte einteilen. Der Kampf gegen einen weltfremden Kriterienkatalog und für eine Verbesserung der schon jetzt katastrophalen Vewaltungspraxis wird zum Marathonlauf, der uns bis zu einer Entscheidung im Frühjahr und dann möglicherweise weiter bis zur finalen Abstimmung im Bundestrat im Herbst beschäftigen wird.
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