Im Juli 2016 hat die damalige Bundesarbeitsministerin Nahles behauptet, dass "die Hälfte der Solo-Selbstständigen nicht für das Alter vorsorgt". Diese Behauptung wurde von ihren Kollegen (nicht nur in der SPD, auch vom Arbeitnehmerlager der CDU) so häufig gegenüber den Medien wiederholt, dass sich Martin Schulz noch im Dezember 2017 auf seiner SPD-Parteitagsrede zu folgender Aussage verstieg:
„Gemeinsam müssen wir uns darum kümmern, dass der Trend zur Solo-Selbstständigkeit nicht zu einer weiteren Prekarisierung der Arbeit führt.Mehr als eine Million Menschen sind heute in Deutschland selbstständig, Tendenz steigend. Nur selbstständig heißt heute nicht mehr Ärztin oder Installateur oder Buchhändler, nein das heißt heute immer häufiger Paketbote, Programmierer oder Fahrerin bei Uber.
Das sind Menschen, die können sich nicht mal so eben aus der Portokassen absichern. Wir müssen uns darum kümmern, dass diese Form der Selbstständigkeit nicht zu einer systematisierten Selbstausbeutung wird. Wir wollen keine App-gesteuerte Dienstbotengesellschaft."
Gleichsetzung von Programmierern und Prekariat
Die Gleichsetzung von Programmierern und Prekariat löste damals bei unseren Mitgliedern einen Aufschrei der Empörung aus. Die bis heute (zuletzt in dieser Sendung) wiederholte Behauptung von Nahles stützt sich auf eine von ihr falsch interpretierte Studie des DIW-Forschers Karl Brenke. Brenke widersprach später dieser falschen Interpretation und veröffentlichte eigens eine Studie mit dem Titel: "Die allermeisten Selbständigen betreiben Altersvorsorge oder haben Vermögen."
Im Auftrag des Personaldienstleisterverbands ADESW hat das Institut für Demoskopie Allensbach (wissenschaftlich begleitet von Karl Brenke vom DIW!) nun eine Studie zur Einkommenssituation und Altersvorsorge solo-selbstständiger IT-Spezialisten erstellt. Inzwischen gibt es dazu auch eine eigene Website: www.freelancer-studie.de. Wir fassen die wichtigsten Ergebnisse für euch zusammen.
IT-Berufe sind eine Männerdomäne, in der Frauen überdurchschnittlich gut verdienen
92% der Befragten in der Branche sind Männer, 75% im Alter von 40 bis 59 Jahren, 73% haben studiert. Dabei gab es in Hinblick auf die Soziodemographie einige (wenn auch statistisch nicht signifikante) Überraschungen, z.B. dass die Frauen im Schnitt mehr als die befragten Männer verdienen, die IT-Kräfte in Ostdeutschland mehr als die im Westen...
Die IT-Spezialisten haben sich aus allen möglichen Gründen selbstständig gemacht: Unabhängigkeit (75%), berufliche Weiterentwicklung (63%), weil es finanziell lukrativ war (59%) usw. Lediglich bei 11% war es auch eine "Notlösung", neben anderen Motiven.
Von wegen Prekariat: Im Schnitt 83 Euro/Stunde, 95% sind mit Honoraren zufrieden
87% bewerten ihre wirtschaftliche Lage als sehr gut oder gut, lediglich 2% als eher oder sehr schlecht.
Mit ihrem Einkommen aus freiberuflicher IT-Tätigkeit sind sie zu 95% sehr oder eher zufrieden.
Kein Wunder angesichts eines durchschnittlichen Stundensatzes von 83 und eines Tagessatzes von 779 Euro und einer Auslastung von zumeist (58%) mehr als 200 Tagen im Jahr. Lediglich 7% der Befragten berichte von weniger als 100 bezahlten Arbeitstagen pro Jahr.
Im Schnitt wurden so Umsätze von 132.000 Euro erwirtschaftet, wovon jedoch Reisekosten und andere Betriebsausgaben, Steuern, Aufwendungen für die Altersvorsorge und andere Abzüge zu subtrahieren sind.
58% der ITler-Haushalte haben 5.000 Euro Nettoeinkommen und mehr
Als Ergebnis der hohen Auslastung und guten Bezahlung verdienen 73% mehr als 3.000 Euro netto pro Monat, 41% verdienen sogar mehr als 5.000 Euro netto, rechnet man das Einkommen des Ehepartners hinzu sind es 81 bzw. 58%.
Das durchschnittliche persönliche Netto-Einkommen liegt bei 4.695 Euro pro Person bzw. 5.984 Euro, wenn man den ganzen Haushalt betrachtet.
Dabei sind die Aussichten weiterhin gut: 88% bewerten die zukünftige Auftragslage als gut oder sehr gut.
Rund die Hälfte verfügt übrigens – schon jetzt, während ihres Berufslebens – über weitere Einkünfte: 27% aus Vermietung, 25% aus Kapitalerträgen, 13% aus anderen selbstständigen Tätigkeiten. Nur 2% gehen zusätzlich einer Anstellung nach. Das zeigt schon, das die IT-Selbstständigen offenbar sorgfältig für ihr Alter vorsorgen.
Nur 10% sagen, dass im Alter das Geld knapp werden könnte – halb so viele wie bei Angestellten
90% der Befragten ist überzeugt, dass sie im Alter mit ihrem Geld auskommen werden. 49% davon glauben, dass sie völlig sorgenfrei sein werden, die restlichen 41% gehen davon aus, dass sie etwas sparsamer sein müssen. Lediglich 10% meint, dass das Geld knapp werden könnte. (Unter allen 40- bis 59-jährigen Berufstätigen sagen 82% "es reicht", 27% "ohne Sorgen" und 18% "wird knapp".) Dabei nimmt naturgemäß mit zunehmendem Alter und Auseinandersetzung mit dem Thema der Anteil derjenigen zu, die sich doch etwas sorgen.
82% haben Anspruch auf gesetzliche Rente aufgebaut – 13% zahlen freiwillig weiter ein
82% der Befragten haben Rentenansprüche auch aus der gesetzlichen Rentenversicherung erworben, im Schnitt eine Monatsrente von 672 Euro. Würde man nur diesen Anspruch betrachten – wie es Politiker häufig tun – müsste man sich um die Altersvorsorge der Solo-Selbstständigen tatsächlich Sorgen machen.
Im Schnitt waren die IT-Experten vor ihrer freiberuflichen Tätigkeit 11,1 Jahre angestellt. Pro Jahr bauten sie einen Rentenanspruch in Höhe von 60,54 Euro auf. Das deutet auf ein weit überdurchschittliches Einkommen schon in den ersten Berufsjahren hin: Ein Durchschschnittsverdiener würde pro Jahr genau einen Entgeltpunkt erwerben, was zum Zeitpunkt der Befragung einer monatlichen Rente von 31,03 Euro entsprach, hätte also für den Rentenanspruch fast 22 Jahre in die Rente einzahlen müssen.
Wie die weiteren Zahlen zeigen, haben die IT-Freelancer aber nicht ihre Hände in den Schoß gelegt, sondern auch während ihrer Selbstständigkeit konsequent weiter vorgesorgt.
Immerhin 13 Prozent der Befragten zahlen freiwillig in die gesetzliche Rentenversicherung ein, im Schnitt 433 Euro pro Monat.
Private Rentenversicherungen, Lebensversicherungen, Investmentfonds, Sparguthaben sind weit verbreitet
Sehr viel verbreiteter ist die Altersvorsorge mit privaten Rentenversicherungen: 31% nutzen dafür die Rürup-Rente, 16% die Riester-Rente, 38% eine andere private Rentenversicherung und 16% eine betriebliche Altersvorsorge.
81% der Befragten betreibt zudem Altersvorsorge in eine oder mehrere der folgenden sieben Anlageformen:
- Wertpapiere, Aktien, Aktienfonds, Schatzbriefe – 52%
- Kapitallebensversicherung – 39%
- Sparguthaben, Festgeld, Sparbriefe – 38%
- Andere Kapitalanlagen, Zinseinkünfte – 18%
- Andere Unternehmensbeteiligungen, eigenes Unternehmen – 14%
- Bausparvertrag – 13%
- Gold, Edelmetalle – 13%
Fast 60% wohnt in Eigentum, ein Drittel ist Vermieter
Des Weiteren verfügen 69% der IT-Spezialisten Immobilien: 58% wohnen in Eigentum, zusätzlich besitzen 34% Mietimmobilien. Ein Drittel der Immobilienbesitzer veranschlagt den Marktwert ihrer Immobilie/n auf über 500.000 Euro.
Zählt man all diese Vermögensbestandteile zusammen und zieht eventuelle Schulden ab, schätzen 50% der Befragten ihr Nettovermögen auf über 200.000 Euro, 22% schätzen es sogar auf über 500.000 Euro.
Nur bei einem kleinen Teil erscheint die Alterssicherung fragwürdig, darunter junge Selbstständige
84% der Befragten bejahen ein oder mehrere der folgenden Statements. Nur bei einem kleinen Teil der Befragten erscheint die Altersabsicherung fragwürdig, wobei es sich vermutlich um relativ junge Selbstständige handelt:
- Rürup- oder andere private Renten-Versicherung abgeschlossen – 60%
- Selbst genutzte Immobilie und positives Netto-Gesamtvermögen – 52%
- Netto-Gesamtvermögen von 500.000 Euro und mehr – 22%
- Gesetzliche Rentenansprüche von 1.000 Euro oder mehr/Monat – 15%
- Freiwillige Monatsbeiträge in die DRV von 500 Euro und mehr – 5%
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