Seit 1. Februar 2006 können sich Gründer und Selbstständige gegen Arbeitslosigkeit versichern. Mit geringen Beiträgen kannst du hohe Leistungsansprüche erwerben, insbesondere als Akademiker. Wo ist der Haken?
a. Freiwillig in die Pflichtmitgliedschaft: Schlecht, wenn die Beiträge steigen.
Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung der Selbstständigen sind unabhängig vom tatsächlichen Einkommen. Berechnungsgrundlage sind 25 Prozent der "monatlichen Bezugsgröße" (2.450 Euro im Westen, 2.065 Euro im Osten). Bei 6,5 Prozent Beitragssatz resultiert daraus ein Monatsbeitrag von 40 bzw. 34 Euro. Wenn der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wie geplant zum 1.1.2007 auf 4,5 Prozent gesenkt werden sollte, würde sich der Beitrag sogar weiter reduzieren, auf unter 30 Euro.
Der Clou: Der resultierende Arbeitslosengeldanspruch richtet sich nicht nach den bezahlten Beiträgen, sondern in der Regel nach der Qualifikation des Versicherten:
- Arbeitslose mit Hochschul oder Fachhochschulausbildung erhalten 1042 bis 1.364 Euro (je nach Steuerklasse/Vorhandensein von Kindern)
- Arbeitslose mit Fachschulabschluss oder Meister 906 bis 1.200 Euro
- Arbeitslose mit abgeschlossener Ausbildung 763 bis 1.003 Euro und
- Arbeitslose ohne Ausbildung 617 bis 767 Euro.
(Ausnahme: Wenn du in den letzten 24 Monaten noch mindestens 150 Tage als Angestellter Beiträge eingezahlt hast, richtet sich die Höhe des Arbeitslosengeld-Anspruchs nach deinem Einkommen als Angestellter.)
Im günstigsten Fall beträgt das monatliche Arbeitslosengeld das 34-fache, im ungünstigsten Fall das 15-fache eines Monatsbeitrags. Normalerweise liegt das Verhältnis beim 6- bis 8-fachen. Selbstständige erhalten den Versicherungsschutz also zunächst außerordentlich günstig.
Mittelfristig kann die Rechnung aber nur aufgehen, wenn Selbstständige deutlich seltener arbeitslos werden als Angestellte. Da die Arbeitslosenversicherung für Selbstständige freiwillig ist, werden sich bevorzugt Selbstständige mit hohen Unsicherheiten bezüglich ihrer geschäftlichen Entwicklung versichern. Und das bedeutet meines Erachtens, dass im Laufe der nächsten Jahre eine Beitragssteigerung auf das doppelte bis fünffache der jetzigen Höhe durchaus plausibel ist.
Zur Orientierung: Auch bei der Kranken- und Pflegeversicherung dient die "monatliche Bezugsgröße" als Berechnungsgrundlage für die Beiträge. Allerdings werden hier nicht 25%, sondern 50% (bei der Ich-AG) bzw. 75% der Bezugsgröße (bei allen anderen Selbstständigen) als Berechnungsgrundlage herangezogen. Außerdem stellt der so errechnete Wert die Untergrenze des ansonsten einkommensabhängigen Beitrags dar, die obere Bemessungsgrenze liegt bei knapp 200% der Bezugsgröße. Sollten also mehr Leistungen in Anspruch genommen werden als durch die niedrigen Beiträge abgedeckt, ist schon klar, wie die Beitragserhöhungen "einkommensgerecht" organisiert werden könnten.
Nun ist der Eintritt in die Arbeitslosenversicherung zwar freiwillig, begründet wird damit aber ein Versicherungspflichtverhältnis. Die Beitragszahlungen können nur beendet werden indem der Selbstständige seine Selbstständigkeit beendet oder absichtlich mit seinen Beitragszahlungen mindestens drei Monate in Verzug gerät.
Wer als Selbstständiger relativ etabliert ist und die Versicherung nur für den Notfall abschließt (so wie es die eigentliche Intention des Versicherungsangebots ist), risikiert in ein Versicherungspflichtverhältnis zu geraten, dessen Beiträge durch den Gesetzgeber – ähnlich wie bei anderen Zweigen der Sozialversicherung – im Laufe der Zeit immer weiter angehoben werden.
b. Was, wenn du dich mit Hilfe von Ich-AG, Überbrückungsgeld oder Einstiegsgeld selbstständig gemacht hast…?
Die freiwillige Arbeitslosenversicherung ist als Ausgleich gedacht für eine Verschlechterung an anderer Stelle. Bisher profitierten Selbstständige nämlich von einer großzügigen Rahmenfrist. Es genügte innerhalb der letzten fünf Jahre zwölf Beitragsmonate nachzuweisen, um Arbeitslosengeld zu beantragen. Seit 1. Februar beträgt die Rahmenfrist nur noch 24 Monate. Bei einem Scheitern fallen Selbstständige also nicht wie bisher spätestens nach vier Jahren, sondern schon nach zwölf Monaten aus dem Versicherungsschutz.
Allerdings gilt für Ich-AG- und Überbrückungsgeldgründer eine Ausnahme, sofern die Gründung nicht nahtlos ans Beschäftigungsverhältnis erfolgt ist: Wer vor der Gründung Arbeitslosengeld bezogen hat – und sei es nur einen Tag – der behält den bei der Gründung noch bestehenden Restanspruch und kann diesen bis zu vier Jahre nach Beginn der Arbeitslosigkeit reaktivieren. Erst dann verjährt dieser Restanspruch.
Durch die Zahlung freiwilliger Arbeitslosenversicherungsbeiträge entsteht deshalb bei geförderten Gründungen erst vier Jahre nach Beginn der zugrunde liegenden Arbeitslosigkeit ein Vorteil.
Dabei ist auch zu bedenken, dass das Gesetz über die Arbeitslosenversicherung für Selbstständige zunächst bis 31.12.2010 befristet ist, dann wird entschieden, ob die Versicherung über diesen Zeitpunkt hinaus angeboten werden soll.
c. Erhebliches Missbrauchspotential: Wer von der freiwilligen Arbeitslosenversicherung profitieren wird
Wenn geförderte Gründer und etablierte Selbstständige nur mit Einschränkungen von der freiwilligen Arbeitslosenversicherung profitieren, wer profitiert dann? – Die folgenden Szenarien zeigen erhebliche Missbrauchsgefahren:
- Selbstständige, deren Geschäft schlecht geht, können mit geringen Beiträgen einen Leistungsanspruch erwerben und dann Arbeitslosengeld I beziehen. Bereits nach zwölf Beitragsmonaten (dies entspricht weniger als 500 Euro bezahlter Beiträge) besteht Anspruch auf 6 Monate Arbeitslosengeld I (in Höhe des bis zu 34-fachen der Beiträge). Aus dem Arbeitslosengeld I-Bezug heraus kann zudem Überbrückungsgeld oder ein vergleichbarer künftiger Existenzgründungszuschuss beantragt werden
- Ähnliche Überlegungen werden auch Selbstständige anstellen, die aus Altersgründen in den nächsten Jahren ihr Geschäft aufgeben wollen. Sie können sich jetzt einen Anspruch auf Arbeitslosengeld aufbauen und die Zeit bis zur Rente durch ein oder zwei Jahre Arbeitslosengeld I-Bezug aufbessern.
- Eine beträchtliche Zahl von Selbstständigen mit marginalem Gewinneinkommen werden zwischen Selbstständigkeit und Arbeitslosengeld-Bezug hin- und herwechseln und dabei ihr Gesamteinkommen aus Gewinn- und Transfereinkommen maximieren. Ähnliche Formen des Mißbrauchs gab es schon in der Vergangenheit, sie werden durch die Neuregelung deutlich vereinfacht.
Das Mißverhältnis zwischen Beitragssätzen und Leistungen lädt in besonderem Maße zum Mißbrauch ein und wird meiner Meinung nach zu einem schnellen Anstieg der in Anspruch genommenen Leistungen und somit der Beiträge führen.
d. Nutze die Übergangsfrist bis Ende 2006
[Nachträglich korrigiert:] Wenn du am 1.2. oder später gründest, musst du innerhalb von vier Wochen über die Weiterversicherung entscheiden. Wenn du zum 1.2. bereits selbstständig warst und die sonstigen Voraussetzungen erfüllst, hast du für die Entscheidung, dich freiwillig pflichtzuversichern, noch bis zum Jahresende Zeit. Sofern du nicht darauf angewiesen bist, in Hinblick auf eine befürchtete Arbeitslosigkeit schon jetzt Beitragsmonate anzusammeln, solltest du diese Übergangsfrist ausschöpfen. Dies gilt in ganz besonderem Maße, wenn du noch über einen Restanspruch auf Arbeitslosengeld verfügst.
Ab dem 1.1.2007 ist eine freiwillige Weiterversicherung dann nur noch im unmittelbaren Anschluss (nicht mehr als ein Monat Unterbrechung!) an die der Gründung vorausgegangene sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bzw. den Arbeitslosengeld I-Bezug möglich.
Aber schon während der Übergangszeit gilt: Nur wer bei Beginn der Selbstständigkeit unmittelbar nach einer sozialversicherungspflichtigen Beitragszeit oder nach einem Arbeitslosengeldbezug gegründet hat, kann sich freiwillig weiterversichern. Auszeiten sind nicht vorgesehen – auch wenn diese Auszeit viele Jahre zurückliegt oder durch eine Sperrzeit erzwungen wurde. Dazu zwei Beispiele:
- Die Gründung erfolgte bereits am 1.10.1998. In den 24 Monaten zuvor war der Antragsteller mehr als 12 Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt (oder bezog Arbeitslosengeld). Wichtig: Beschäftigung bzw. Arbeitslosengeldbezug dürfen nicht vor dem 1.9.1998 geendet haben, ansonsten besteht die Möglichkeit zur freiwilligen Weiterversicherung nicht.
- Der Gründer wird am 1.3.2006 arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld. Im August 2006 erhält er eine Sperrzeit. Am 1.10. macht er sich selbstständig: Da mehr als ein Monat zwischen Arbeitslosengeldbezug und Gründung liegt, kann er sich nicht freiwillig weiterversichern.
Die Beispiele zeigen, wie spitzfindig es bei der Beurteilung zugeht, ob eine Weiterversicherung möglich ist. Manche Selbstständige dürfen aus willkürlich erscheinenden Gründen nicht in die Versicherung. Anderen öffnen sich attraktive Gestaltungsmöglichkeiten mit Mißbrauchscharakter. Wer Spaß an Denksportaufgaben hat, wird die Arbeitslosenversicherung für Selbstständige lieben. Für alle anderen stellt sich die schwierige Frage, ob der vermeintlich günstige Versicherungsschutz nicht schnell zum Bumerang wird. Ich bin gespannt auf die weitere Diskussion zu diesem Thema.
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