Professor Rainer Schlegel hat in einem Aufsatz viel beachtete "Vorschläge für ein schnelles und weitgehend digitalisiertes Statusfeststellungsverfahren" (SFV) gemacht. Bei einem Treffen diskutierten wir mit ihm intensiv über seine Vorschläge.
In der NZA (Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2/2025, Seite 65 ff.) hat der ehemalige Präsident des Bundessozialgerichts (BSG), Professor Reiner Schlegel gemeinsam mit der Kölner Rechtsanwältin Gabriele Kania Vorschläge zu einer Reform des SFV gemacht. Die Autoren bauen auf den Empfehlungen des 74. Deutschen Juristentags auf, wonach eine selbstständige Tätigkeit widerlegbar vermutet werden soll, wenn die Vertragsparteien übereinstimmend von einer Selbstständigkeit ausgehen und weitere für eine Selbstständigkeit sprechende Kriterien vorliegen, insbesondere eine ausreichende soziale Absicherung. Im Aufsatz schlagen sie "minimalinvasive Eingriffe" in die relevanten §§ 7 und 7a SGV IV vor, die zu größerer Rechtssicherheit führen sollen, ohne dabei die Sozialversicherung zu untergraben.
Anpassung des Rechts an digitale Arbeitswelt nötig
Um so mehr freuten wir uns, dass Professor Schlegel nach seiner Teilnahme an unserer Onlinekonferenz zur Reform des Statusfeststellungsverfahrens im Juni 2024 nun auch an einem BAGSV-Treffen mit Vertreter/innen zahlreicher Selbstständigenverbände teilnahm. Wir hatten alle seinen Aufsatz gelesen und uns mit einer Präsentation auf die Diskussion mit ihm vorbereitet.
Schlegel erklärte sein Engagement für eine Reform des SFV damit, dass es dringend einer Modernisierung und Anpassung des Rechts an die digitale Arbeitswelt brauche: "Die Rechtsprechung reagiert nur zögerlich auf vielfältige Veränderungen in der heutigen Arbeitswelt. Anders als noch in den 1990-er Jahren gibt es heute sehr viele Bereiche, in denen die Wertschöpfung im digitalen Bereich stattfindet und dazu außer Laptop und Zugang zum Internet kein physischer Betrieb mehr nötig ist. Viele Obersätze und Maßstäbe der Rechtsprechung datieren aber noch aus einer Zeit, als Angestellte morgens ins Büro gingen und Arbeiter an der Werkbank oder am Fließband standen."
Hauptproblem liege aktuell bei der Definition des unternehmerischen Risikos
Durch die Entwicklung habe sich die Natur von Weisungen, Eingliederung und unternehmerischem Risiko geändert. Insbesondere den letzten Punkt sieht Schlegel als kritisch an: "Die neuralgische Frage bei der Abgrenzung abhängige Beschäftigung – Selbständigkeit ist: 'Was ist unternehmerisches Risiko und wann liegt dieses Risiko vor?' Hier liegt gegenwärtig das Hauptproblem. Allein das Risiko, Folgeaufträge zu erhalten, reicht nicht aus, solange das Bundessozialgericht jeden Vertrag oder Auftrag isoliert betrachtet."
Wir haben diesen Hinweis zum Anlass genommen, ein Gespräch mit zuständigen Mitarbeiter/innen des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) zu vereinbaren, um mit ihnen über unser Verständnis von unternehmerischem Risiko in der heutigen Zeit zu sprechen und inwieweit dieses konsensfähig ist. Im gemeinsamen BAGSV-Positionspapier waren wir schon ausführlich auf den Risiko-Begriff eingegangen. Andreas Lutz fasste dies in der Diskussion so zusammen: "Während früher in Werkzeuge und Maschinen investiert wurde, ist das wichtigste Investitionsgut bei Wissensarbeitern heute der eigene Kopf. Selbstständige investieren viel Zeit und oft auch Geld in die eigene Weiterbildung. Oft sind die Zusammenhänge so speziell, dass man sie sich autodidaktisch beibringen muss. Das Risiko besteht darin, ob dieses Wissen dann tatsächlich gebraucht wird und die Kunden dafür zahlungsbereit sind."
Warum Übergangsregelung nur für eine Berufsgruppe?
Ein wichtiges Gesprächthema war auch die zum Zeitpunkt des Treffens gerade in Kraft getretene Übergangsregelung, die Honorar-Lehrkräften und ihren Auftraggebern bis Ende 2026 Rechtssicherheit bringen soll. Schlegel sagte dazu: "Die Übergangsregelung des § 127 SGB IV für Honorar-Lehrkräfte bringt einen Zeitgewinn für eine Berufsgruppe – obwohl es viele andere Betroffene gibt, die nicht in den Genuss einer solchen Sonderregelung kommen.
Bei der Berufsgruppe der Honorar-Lehrkräfte spielt nach der Übergangsregelung der Wille der Vertragsparteien eine entscheidende Rolle, bei anderen Berufsgruppen soll dies keine Rolle spielen. Ich halte es für richtig, dem Willen der Vertragsparteien in allen Bereichen, in denen Arbeiten sowohl in selbständiger Tätigkeit wie abhängiger Beschäftigung verrichtet werden können, eine gewisse Bedeutung beizumessen. § 127 SGB IV geht insoweit in die richtige Richtung, jedoch sollte es für alle Berufsgruppen in diese Richtung gehen."
Natürlich diskutierten wir mit Professor Schlegel ausführlich seine eigenen Reform-Vorschläge. Wir waren und sind nicht mit allen einverstanden. Anhand der vorbereiteten Folien konnten wir unsere Bedenken gut nachvollziehbar begründen. Professor Schlegel hörte aufmerksam zu und diskutierte engagiert mit den Teilnehmer/innen. Ein wichtiges Anliegen ist ihm, überhaupt Fortschritte zu erzielen, die Dinge in Bewegung zu bringen.
Was wir sonst beim BAGSV-Treffen besprachen
Nach dem Gespräch mit Prof. Schlegel werteten wir gemeinsam die Ergebnisse der Bundestagswahl aus und sprachen über den Stand der zu diesem Zeitpunkt noch laufenden Koalitionsverhandlungen, insbesondere auch über die Teilnehmer/innen an den für uns relevanten Arbeitsgruppen. (Auf der Rückfahrt von Berlin trudelten dann bei uns die geleakten Arbeitsgruppen-Ergebnisse ein.)
Wir tauschten uns über laufende Aktionen und Kampagnen der Mitgliedsverbände aus, natürlich auch über das Voting des VGSD und die darauf aufbauende Petition zum Koalitionsvertrag. Ein weiteres Diskussionsthema war, wie wir in der BAGSV sicherstellen, dass auch bei Aufnahme von Auftraggeberverbänden die Auftragnehmerverbände zu jedem Zeitpunkt die Kontrolle behalten. Wir fanden dafür eine gute Lösung, die wir bei unserem nächsten Treffen zur Abstimmung stellen werden.
Arbeitsgruppe zu BAGSV-Grundsatzprogramm und Planungen für weitere Termine
Wir Initiierten die Gründung einer Arbeitsgruppe "Grundsatzprogramm", in dem die Positionen der BAGSV themenübergreifend aufgeführt werden sollen. Die AG soll auch eine aktualisierte Version unseres Positionspapiers zur Altersvorsorgepflicht erarbeiten. Unser Treffen beschlossen wir mit einer Meilensteinplanung für das, was wir dieses Jahr noch alles gemeinsam erreichen wollen. In diesem Rahmen planten wir auch schon konkret unser nächstes Präsenztreffen in Berlin, das wir mit einem Parlamentarischen Frühstück verbinden wollen.
Wir hoffen, dass bald feststeht, welche Politiker/innen in welchen Bundestagsausschüssen sitzen werden, so dass wir auf die für uns relevanten neuen Ansprechpartner und Fachpolitiker zugehen können. Wir werden dann eine Vielzahl von Gesprächen vereinbaren, um dann unsere gemeinsame Lobbyarbeit unter der neuen Regierung fortsetzen zu können.
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