Die Bundesregierung hat zum 1.10.2022 eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Arbeitsstunde beschlossen. 22 Prozent aller Arbeitnehmer sind davon betroffen, weil ihr Stundenverdienst bisher unter dieser Schwelle liegt. Vor allem Teilzeitmitarbeiter und Minijobber liegen unter zwölf Euro und können sich auf eine Gehaltserhöhung freuen. Wie viele genau, verraten wir weiter unten.
Die Gesetzesänderung war Anlass für das zur Bundesagentur für Arbeit gehörige Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), den Anteil der Betroffenen abhängig von der Art der Anstellung und Branche, sowie differenziert nach Neueinstellungen und Bestandsmitarbeitern zu untersuchen. Die Ergebnisse hat es heute in einem IAB-Kurzbericht veröffentlicht.
Soloselbstständige und Kleinstunternehmer besonders betroffen
Eine Auswertung nach Mitarbeiterzahl des Arbeitgebers (kleine versus große Unternehmen) haben die Wissenschaftler leider nicht vorgenommen, dabei sind es oft kleine Unternehmen, die die beliebten Teilzeit- und Minijobs zur Verfügung stellen. Grund: Beim Schritt vom Solo-Selbstständigen zum Kleinstunternehmer mit Mitarbeitern tastet man sich in der Regel in kleinen Schritten voran und wird zumeist nicht gleich Vollzeit-Mitarbeiter unter Vertrag nehmen. Zudem ergänzt so mancher Gründer und Solo-Selbstständige seine Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit durch einen Mini- oder Teilzeitjob. Wir hoffen, dieser ist deutlich über Mindestlohn bezahlt!
Als der Mindestlohn Anfang 2015 eingeführt wurde, betraf er viel weniger Arbeitnehmer also die vom IAB für den 1.10.2022 festgestellten 22 Prozent, nämlich nur etwa die Hälfte davon. Hat der Niedriglohnsektor sich also in nur sieben Jahren verdoppelt? – Keineswegs. Grund ist, dass der Mindestlohn seit der Einführung zunächst in kleinen, zuletzt sehr großen Schritten von 8,50 auf 12,00 Euro, also um gut 41 Prozent erhöht wurde. Allein 2022 wird es drei Erhöhungen geben! Deshalb fallen sehr viel mehr Arbeitnehmer unter die Regelung als noch vor sieben Jahren.
Bis Oktober stehen noch einige Lohnerhöhungen an, die aufgrund der aktuell hohen Inflationsrate höher als sonst ausfallen dürften. "Hierdurch würde die Entlohnung für einen Teil der vom Mindestlohn betroffenen Beschäftigten bereits vor der Erhöhung im Herbst über die Zwölf-Euro-Marke steigen" erklärt Studienautor Erik-Benjamin Börschlein, so dass am Ende etwas weniger als 22 Prozent betroffen sein könnten.
So hat sich der Mindestlohn seit seiner Einführung entwickelt
Die Tabelle gibt einen Überblick darüber, wann der Mindestlohn mit welcher Rechtsgrundlage erhöht wurde, auf welchen Wert und welchem prozentualen Anstieg dies entspricht:
Einführung/Änderung zum | Höhe (brutto je Zeitstunde) | Erhöhung in % (und p.a.*) | Rechtsgrundlage |
1.1.2015 | 8,50 Euro | § 1 Absatz 2 Mindestlohngesetz | |
1.1.2017 | 8,84 Euro | 4,00% (1,98%) | Mindestlohnanpassungs-Verordnung vom 15.11.2016 |
1.1.2019 | 9,19 Euro | 3,96% (1,96%) | Zweite Mindeslohnanpassungs-Verordnung vom 13.11.2018 |
1.1.2020 | 9,35 Euro | 1,74%(1,74%) | --"-- |
1.1.2021 | 9,50 Euro | 1,60% (1,60%) | Dritte Mindeslohnanpassungs-Verordnung vom 9.11.20 |
1.7.2021 | 9,60 Euro | 1,05%(2,12%) | --"-- |
1.1.2022 | 9,82 Euro | 2,29% (4,64%) | --"-- |
1.7.2022 | 10,45 Euro | 6,42% (13,24%) | --"-- |
1.10.2022 | 12,00 Euro | 14,83% (73,88%) | Gesetz zur Erhöhung des Schutzes durch gesetzlichen Mindestlohn und zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vom 30.6.20 |
Lohnerhöhungsdynamik: Letztlich wahrscheinlich sogar mehr als 22 Prozent der Arbeitnehmer betroffen
Zu der Dynamik könnte auch beitragen, dass durch die Mindestlohnerhöhung etwa 10 Prozent der Beschäftigten, die bisher mehr als den Mindestlohn verdient haben, am 1.10.2022 quasi vom Mindestlohn eingeholt werden. In ihrem Fall ist das Delta zum neuen Mindestlohn geringer und sie verdienen künftig "nur noch" so viel wie die schon bisher vom Mindestlohn Betroffenen.
Dies könnte für sie Anlass zu höheren Lohnförderungen sein, um das Gehaltsgefüge wieder herzustellen, was sich wiederum auch auf die Lohngruppen über ihnen auswirken könnte. So könnte die Lohnerhöhung eine Wirkung auf weit mehr als ein Fünftel der Arbeitnehmer entfalten. Dies dürfte vor allem die im Folgenden genannten Branchen betreffen, die in besonderem Maße betroffen sind.
Zwar zeichnet sich eine schwere Wirtschaftskrise für den Fall ab, dass die Russische Föderation ihre Gaslieferungen nicht wieder aufnimmt – was sich dämpfend auf Lohnforderungen auswirken könnte, aber gleichzeitig herrscht in vielen Bereichen hoher Fachkräftemangel, was die Position der Arbeitnehmer stärkt.
Diese Vertragsarten und Branchen sind besonders betroffen
Betrachtet man die Vertragsarten und die Betriebszugehörigkeit, so betrifft die Mindestlohnerhöhung wie schon erwähnt vor allem Minijobs: Laut IAB-Hochrechnung ...
- liegen bisher 70 Prozent der Minijobs unter zwölf Euro/Stunde
- aber nur 13 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse
- Bei diesen liegen wiederum 24 Prozent der Teilzeitjobs,
- aber nur 8 Prozent der Vollzeitjobs unter dem künftigen Mindestlohn
- Etwas geringer fällt unter den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Unterschied zwischen neuen und Bestandsmitarbeitern aus, erstere liegen aktuell noch zu rund 20 Prozent unter 12 Euro Stundenlohn. Die Abbildung oben zeigt, wie sich dies nach Branchen unterscheidet.
Nimmt man die Branchen unter die Lupe, so ergibt sich folgendes Bild:
- Gastgewerbe und Landwirtschaft bezahlen bisher etwa 50 Prozent ihrer Arbeitnehmer unter Mindestlohn. Das liegt am hohen Anteil der Minijobs zum Beispiel im Gastgewerbe, von denen zudem 88 (statt branchenübergreifend 70) Prozent bisher unter dem künftigen Mindestlohn liegen.
- Beim verarbeitenden Gewerbe sind es im Gegensatz dazu nur knapp 10 Prozent der Arbeitnehmer (Minijobs und sozialversicherungspflichtige), die unter zwölf Euro liegen. Es gibt hier weniger Minijobs und von diesen sind auch "nur" knapp die Hälfte von der Mindestlohnerhöhung betroffen. Zu den hier besonders betroffenen Branchen gehören insbesondere das Baugewerbe und die Energieversorgung.
Auswirkungen auf die Stundenobergrenze bei Minijobbern
Von der Erhöhung des Mindestlohns werden – das machen die obigen Zahlen überdeutlich – vor allem Minijobber profitieren. Damit dies nicht zu einer Reduktion der Stundenzahl und einer weiteren Verschärfung des Fachkräftemangels führt, wird die Bundesregierung zum 1.10.2022 zeitgleich auch die Minijobgrenze von 450 auf 520 Euro erhöhen.
Wenn man eine Bezahlung zum Mindestlohn unterstellt, bedeutet dies für die im Rahmen eines Minijobs maximal zu leistende Stundenzahl Folgendes (überschlägige Rechnung ohne Gewähr, bitte mit Lohnbuchhaltungsbüro bzw. Steuerberater besprechen):
- Bei 450 Euro Verdienstgrenze und 9,82 Euro Stundenverdienst (Mindestlohn seit 1.1.2022): 45,8 Stunden/Monat bzw. 10,5 Stunden/Kalenderwoche
- Bei 450 Euro Verdienstgrenze und 10,45 Euro Stundenverdienst (Mindestlohn seit 1.7.2022): 43,0 Stunden/Monat bzw. 9,9 Stunden/Kalenderwoche
- Bei künftig 520 Euro Verdienstgrenze und 12,00 Euro Stundenverdienst (Mindestlohn ab 1.10.2022): 43,3 Stunden/Monat bzw. 10,0 Stunden/Kalenderwoche
Als Faustregel lässt sich ableiten, dass bei Minijobs künftig zehn Wochenstunden vereinbart werden können, wenn man Mindestlohn bezahlt. Aber Achtung: Im dritten Quartal 2022 liegt die zulässige Stundenzahl etwas darunter, ggf. ist hier also eine vertragliche Anpassung nötig. Zur Erinnerung: Bei Minijobs müssen die Arbeitszeiten genau erfasst werden. Dies sowie die Verträge werden vor allem in den oben genannten besonders betroffenen Branchen regelmäßig geprüft.
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