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Bist du auch "erwerbshybrid"? Wenn es attraktiv ist, selbstständig UND angestellt zu sein

Nicht immer heißt es: "Ganz oder gar nicht." Manchmal gibt es gute Gründe, Selbstständigkeit und Anstellung zu kombinieren. Das sieht die Sozialforschung kritisch und spricht von "Erwerbshybridisierung". In unseren Worten: Selbstständigkeit ist vielfältig.

Mal so, mal so: Erwerbstätigkeit ist in den vergangenen Jahren vielfältiger geworden

Ein erheblicher Teil der Selbstständigen ist in Teilzeit selbstständig, weil es daneben andere wichtige Dinge in ihrem Leben gibt. Dies kann eine Weiterbildung, Familien- oder Pflegearbeit oder auch eine abhängige Beschäftigung sein. Eine zunehmende Rolle spielt die selbstständige Tätigkeit neben dem Rentenbezug. Für viele, auch Arbeitslose, kann es ein Weg sein, mehr über die eigenen Fähigkeiten und Stärken zu lernen und Neues auszuprobieren.

Mehr hybrid als ausschließlich Selbstständige

Forschende der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sprechen in diesem Fall von "Erwerbshybridität": So werden Erwerbstätige bezeichnet, die sowohl selbstständig tätig als auch abhängig beschäftigt sind. Deren Zahl hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Das Institut für Mittelstandsforschung Bonn veröffentlichte 2022 eine Studie, die das "Taxpayer-Panel" von 2001 bis 2016 analysierte. In diesem Zeitraum war die Zahl der "hybriden Selbstständigen" kontinuierlich gestiegen, von 2,46 Millionen auf 3,39 Millionen. Damit war 2016 die Zahl der "hybriden Selbstständigen" erstmals größer als die der ausschließlich Selbstständigen.

Die Zahl der hybriden Selbstständigen ist seit 2001 kontinuierlich gestiegen

Jede Gewinneinkunft macht zum Selbstständigen

In der gewerkschaftsnahen Forschung wird der Begriff "Erwerbshybridität" eher im Bereich der Prekarität verortet. "In Deutschland besteht ein umfänglicher Handlungsbedarf hinsichtlich der sozialen Rechte Selbstständiger und hybrid Beschäftigter", schreibt beispielsweise die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung.

Zur Zahl der 3,39 Millionen zählt man allerdings schnell. Die Statistik fußt auf dem Taxpayer-Panel, also auf der jährlichen Einkommensteuer-Statistik. Hybrid selbstständig sind danach alle Arbeitnehmer, die neben ihren Einkommen aus abhängiger Beschäftigung noch Gewinneinkünfte haben. Das kann ein auf eigene Rechnung gehaltener Vortrag sein, ein einzelner Freelance-Auftrag, die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, ja sogar Einnahmen der Verwertungsgesellschaft Wort für veröffentlichte Texte zählen dazu – dazu muss noch nicht einmal eine Arbeitsstunde investiert werden.

Oft ein erster Schritt in die Selbstständigkeit

Warum machen sich so viele Menschen nebenbei selbstständig? In aller Regel steht jedoch hinter Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit die Intention, zumindest teilweise selbstständig zu arbeiten. Der Wunsch, entsprechend der eigenen Qualitätsvorstellungen zu arbeiten, das Vorgehen selbst zu bestimmen, die Anerkennung durch Kunden – all das sind wichtige Motivationen, sich selbstständig zu betätigen. Für einen Teil der Selbstständigen ist die hybride Tätigkeit ein erster Schritt zur Vollzeit-Selbstständigkeit.

Bis etwa 2010 wurden Gründungen vergleichsweise großzügig gefördert, was auch Menschen mit geringen finanziellen Rücklagen den direkten Weg in die hauptberufliche Selbstständigkeit ermöglichte. Die Abschaffung des Rechtsanspruchs auf Gründungszuschuss und andere Einschnitte haben dazu geführt, dass solche Gründungswillige heute den Weg über eine nebenberufliche Gründung gehen müssen, auch wenn dieser durch die Doppelbelastung anstrengender und langwieriger ist.

Anstellung als "Brotjob"

Auch finanzielle Gründe können eine Rolle spielen. Insbesondere Tätigkeiten im künstlerischen Bereich sowie für öffentliche Auftraggeber sind häufig schlecht bezahlt und machen einen zusätzlichen "Brotjob" notwendig, der häufig die Form eines Minijobs hat. Häufig ist der Staat hier Auftraggeber oder legt mittelbar die Honorare fest – und wird dabei dem Anspruch, den er an andere stellt, selbst nicht gerecht.

Der Erwerb neuer Kenntnisse und Kontakte bedeutet eine berufliche Diversifikation, die die Abhängigkeit von einem Arbeitgeber reduziert oder einen Wechsel vorbereitet. Die Selbstständigkeit bietet höhere zeitliche Flexibilität und eine bessere Work-Life-Balance, da Selbstständige mehr Kontrolle über ihre Arbeitszeiten und Vorgehensweise haben.

Mehrfachverwertung von Wissen

Selbstständigkeit kann auch ein Weg sein, Diskriminierungen zu entgehen: Selbstständige mit Migrationshintergrund werden nicht nach formalen Qualifikationen, Noten oder Deutschkenntnissen beurteilt, sondern nach den Ergebnissen ihrer Arbeit. Sie sind unter den Gründenden in Deutschland stark überrepräsentiert. Mehrere Studien haben auch gezeigt, dass queere Menschen unter den Selbstständigen deutlich überrepräsentiert sind.

Eine Rolle spielt auch die Mehrfachverwertung von vorhandenem Wissen, dessen Nutzung auch außerhalb des Arbeitsplatzes, die Freude am Teilen von Wissen und der eigenen Professionalisierung durch Erfahrungen auch in anderen Kontexten. Häufig ist eine selbstständige oder ehrenamtliche Nebentätigkeit ein Weg, um persönliche Interessen und Leidenschaften nachzugehen und die eigene Kreativität auszuleben, für die in der Festanstellung vielleicht nicht ausreichend Platz ist.

Kreative Berufe wie Designer oder Texterin, Tätigkeiten im Bereich der Bildung, der IT, Gesundheit und Wellness, Recht und Finanzen, Marketing und Kommunikation, Handwerk, Beratung und Coaching sind besonders geeignet für hybride Erwerbsformen. Sie sind oft projektbasiert und können flexibel gestaltet werden, was es ermöglichst, sie neben einer festen Anstellung ohne Anwesenheitspflicht zu bestimmten Bürozeiten auszuüben. Sie bieten die Möglichkeit zur Erweiterung des beruflichen Netzwerks und zur Weiterentwicklung persönlicher Fähigkeiten und Kenntnisse.

Warum bleiben so viele Menschen nebenberuflich selbstständig?

System-Brüche beim Wechsel in die Vollzeit-Selbstständigkeit

Wenn es dann zum Wechsel weg von der Anstellung hin zur hauptberuflichen Selbstständigkeit kommt, gibt es viele System-Brüche. Beispielsweise ist die betriebliche Altersvorsorge nicht mehr steuerlich und sozialversicherungsrechtlich begünstigt, was bewirkt, dass eine Fortführung wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Diese und andere Ungleichbehandlungen gegenüber Angestellten erschweren den gewünschten Wechsel in die hauptberufliche Selbstständigkeit. Ein weiteres Beispiel ist die Schlechterbehandlung als freiwillig kranken- und pflegeversicherte/r hauptberuflich Selbstständige/r. Die Beiträge sind sehr viel höher als die vergleichbarer Arbeitnehmer und deren Arbeitgeber zusammen. Das zu viel bezahlte Geld fehlt bei der Altersvorsorge.

Selbstständigkeit ist vielfältig

Das Erstellen einer Einkommensteuer-, vielleicht sogar von Umsatz- und Gewerbesteuererklärung ist mit hohem zusätzlichem Aufwand und Kosten verbunden. Anders als bei Angestellten bestehen kaum steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten, zumal im Rahmen eines Nebenverdienstes. Demgegenüber bietet beispielsweise ein Minijob erhebliche steuerliche Vorteile.

Es ist uns beim VGSD ein zentrales Anliegen, die Interessen von allen Selbstständigen, dazu gehören Teilzeitselbstständige und hybrid tätige Selbstständige, bei allen unseren Forderungen mitzudenken und zu vertreten. Wir sehen die "hybride Selbstständigkeit" nicht als eine prekäre Beschäftigungsform, sondern als eine der vielfältigen Möglichkeiten, selbstständig zu sein.

Wie sind deine Erfahrungen? Hast du auch schon "in beiden Welten" gleichzeitig gearbeitet oder tust dies aktuell?

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