Das von uns im Januar 2022 angekündigte und eigentlich bereits am 3. März erwartete Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Corona-Entschädigungen wurde mit zwei Wochen Verzögerung heute gefällt.
Betroffene des Lockdowns haben laut BGH demnach keinen Anspruch auf eine staatliche Entschädigung für Einnahmeausfälle. Die Karlsruher Richter wiesen in dem Pilotverfahren die Klage eines Gastronomen und Hoteliers gegen das Land Brandenburg ab.
Inhaltsübersicht
Das BGH-Urteil (III ZR 79/21) - Text der Pressemitteilung mit Urteilsbegründung
Nach obenWir veröffentlichen im Folgenden den Text der Pressemitteilung, die die Urteilsbegründung enthält. Die Hervorhebungen (Fettungen) haben wir vorgenommen:
"Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage entschieden, ob der Staat für Einnahmeausfälle haftet, die durch flächendeckende vorübergehende Betriebsschließungen oder Betriebsbeschränkungen auf Grund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten COVID-19-Krankheit entstanden sind.
Sachverhalt:
Der Kläger ist Inhaber eines Hotel- und Gastronomiebetriebs. Am 22. März 2020 erließ das beklagte Land Brandenburg eine Corona-Eindämmungsverordnung, wonach Gaststätten für den Publikumsverkehr zu schließen waren und den Betreibern von Beherbergungsstätten untersagt wurde, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen.
Der Betrieb des Klägers war in dem Zeitraum vom 23. März bis zum 7. April 2020 für den Publikumsverkehr geschlossen, ohne dass die COVID-19-Krankheit zuvor dort aufgetreten war. Der Kläger erkrankte auch nicht. Während der Zeit der Schließung seiner Gaststätte bot er Speisen und Getränke im Außerhausverkauf an. Im Rahmen eines staatlichen Soforthilfeprogramms zahlte die Investitionsbank Brandenburg 60.000 € als Corona-Soforthilfe an ihn aus.
Der Kläger hat geltend gemacht, es sei verfassungsrechtlich geboten, ihn und andere Unternehmer für die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlittenen Umsatz- und Gewinneinbußen zu entschädigen.
Prozessverlauf:
Das Landgericht hat die auf Zahlung von 27.017,28 € (Verdienstausfall, nicht gedeckte Betriebskosten, Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung) nebst Prozesszinsen sowie auf Feststellung der Ersatzplicht des Beklagten für alle weiteren entstandenen Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vor dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der III. Zivilsenat hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Die Entschädigungsvorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gewähren Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung einen Anspruch auf Entschädigung. § 56 Abs. 1 IfSG ist von vornherein nicht einschlägig, weil die hier im Verordnungswege nach § 32 IfSG angeordneten Verbote gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Personen ergangen sind und der Kläger nicht gezielt personenbezogen als infektionsschutzrechtlicher Störer in Anspruch genommen wurde. Ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung ergibt sich auch nicht aus § 65 Abs. 1 IfSG. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut ist die Vorschrift nur bei Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten einschlägig. Im vorliegenden Fall dienten die Corona-Eindämmungsverordnung vom 22. März 2020 sowie die Folgeverordnungen vom 17. April 2020 und 24. April 2020 jedoch der Bekämpfung der COVID-19-Krankheit. Diese hatte sich bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung vom 22. März 2020 deutschlandweit ausgebreitet. § 65 Abs. 1 IfSG kann auch nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass der Anwendungsbereich der Norm auf Bekämpfungsmaßnahmen, die zugleich eine die Ausbreitung der Krankheit verhütende Wirkung haben, erstreckt wird.
Eine verfassungskonforme Auslegung der beiden Regeln dahingehend, dass auch in der vorliegenden Fallgestaltung eine Entschädigung zu gewähren ist, wie es in einem gestern veröffentlichten Beschluss einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10. Februar 2022 – 1 BvR 1073/21) kursorisch in Erwägung gezogen wurde, scheidet aus. Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm setzt voraus, dass mehrere Deutungen möglich sind. Sie findet ihre Grenze an dem klaren Wortlaut der Bestimmung und darf nicht im Widerspruch zu dem eindeutig erkennbaren Willen des Gesetzes stehen. Der Wortlaut von § 56 und § 65 IfSchG ist klar und lässt eine ausdehnende Auslegung nicht zu. Zudem würde der eindeutige Wille des Gesetzgebers konterkariert, nur ausnahmsweise aus Gründen der Billigkeit eine Entschädigung für Störer im infektionsschutzrechtlichen Sinn vorzusehen.
Der Kläger kann den geltend gemachten Entschädigungsanspruch auch nicht auf eine analoge Anwendung von § 56 Abs. 1 oder § 65 Abs. 1 IfSG stützen. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Den infektionsschutzrechtlichen Entschädigungstatbeständen liegt, was sich insbesondere aus ihrer Entstehungsgeschichte und der Gesetzgebungstätigkeit während der Corona-Pandemie ergibt, die abschließende gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, Entschädigungen auf wenige Fälle punktuell zu begrenzen und Erweiterungen ausdrücklich ins Gesetz aufzunehmen ("Konzept einer punktuellen Entschädigungsgewährung"). Darüber hinaus fehlt es auch an der Vergleichbarkeit der Interessenlage zwischen den Entschädigungsregelungen nach §§ 56, 65 IfSG und flächendeckenden Betriebsschließungen, die auf gegenüber der Allgemeinheit getroffenen Schutzmaßnahmen beruhen.
Das Berufungsgericht hat einen Entschädigungsanspruch aus § 38 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. § 18 des Ordnungsbehördengesetzes für das Land Brandenburg zu Recht abgelehnt. Als spezialgesetzliche Vorschriften der Gefahrenabwehr haben die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes Anwendungsvorrang und entfalten eine Sperrwirkung gegenüber den Regelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts.
Ansprüche aus dem richterrechtlich entwickelten Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs scheitern daran, dass das den §§ 56, 65 IfSG zugrundeliegende und gesetzgeberisch als abschließend gedachte Konzept einer punktuellen Entschädigung im Bereich der Eigentumseingriffe nicht durch die Gewährung richterrechtlicher Ansprüche unterlaufen werden darf. Unabhängig davon ist der Anwendungsbereich des Rechtinstituts des enteignenden Eingriffs nicht eröffnet, wenn es darum geht, im Rahmen einer Pandemie durch flächendeckende infektionsschutzrechtliche Maßnahmen, die als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen sind, verursachte Schäden auszugleichen. Es stünde – wie der Senat wertungsmäßig vergleichbar bereits in dem Waldschädenurteil vom 10. Dezember 1987 (III ZR 220/86, BGHZ 102, 350, 361 ff) ausgesprochen hat – in einem offenen Widerspruch zum Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung, wenn die Gerichte – gestützt auf das richterrechtliche Institut des enteignenden Eingriffs – im Zusammenhang mit einer Pandemiebekämpfung im Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG massenhafte und großvolumige Entschädigungen zuerkennen würden.
Ebenso wenig kann dem Kläger unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der sogenannten ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung des Eigentums eine Entschädigung zuerkannt werden. Es erscheint dem Senat bereits sehr zweifelhaft, ob dieses Rechtsinstitut, das bislang vor allem auf Härtefälle bei unzumutbaren Belastungen einzelner Eigentümer angewandt worden ist, geeignet ist, auf Pandemielagen sachgerecht im Sinne einer gerechten Lastenverteilung zu reagieren. Jedenfalls wäre es im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung nicht zulässig, dem Kläger vorliegend einen Ausgleichsanspruch kraft Richterrechts unter dem Gesichtspunkt der ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmung zu gewähren.
Hilfeleistungen für von einer Pandemie schwer getroffene Wirtschaftsbereiche sind keine Aufgabe der Staatshaftung. Vielmehr folgt aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG), dass die staatliche Gemeinschaft Lasten mitträgt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und nur zufällig einen bestimmten Personenkreis treffen. Hieraus folgt zunächst nur die Pflicht zu einem innerstaatlichen Ausgleich, dessen nähere Gestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen ist. Erst eine solche gesetzliche Regelung kann konkrete Ausgleichsansprüche der einzelnen Geschädigten begründen. Dieser sozialstaatlichen Verpflichtung kann der Staat zum Beispiel dadurch nachkommen, dass er – wie im Fall der COVID-19-Pandemie geschehen – haushaltsrechtlich durch die Parlamente abgesicherte Ad-hoc-Hilfsprogramme auflegt ("Corona-Hilfen"), die die gebotene Beweglichkeit aufweisen und eine lageangemessene Reaktion zum Beispiel durch kurzfristige existenzsichernde Unterstützungszahlungen an betroffene Unternehmen erlauben.
Ansprüche aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG) und enteignungsgleichem Eingriff sowie nach § 1 Abs. 1 des Staatshaftungsgesetzes des Landes Bandenburg hat das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt. Die Corona-Eindämmungsverordnung vom 22. März 2020 und die Folgeverordnungen vom 17. und 24. April 2020 waren als solche rechtmäßig. Die getroffenen Schutzmaßnahmen, insbesondere die angeordneten Betriebsschließungen, waren erforderlich, um die weitere Ausbreitung der COVID-19-Krankheit zu verhindern. Dies wurde von der Revision auch nicht in Frage gestellt."
Zur Pressemitteilung mit Liste der Vorinstanzen und maßgeblichen Vorschriften
BGH: Kein Anspruch auf Entschädigung für coronabedingte Schließung / VGSD enttäuscht über Urteil
Nach obenWir erwarten in Kürze die Veröffentlichung der Pressemitteilung mit der Urteilsbegründung des BGH, die wir dann im Volltext veröffentlichen werden.
Der VGSD unterstützt stellvertretend für andere Betroffene die Klagen des Veranstaltungsexperten Dany Rau auf Entschädigungen, mit dem Ziel einer höchstrichterlichen Klärung auch für Fälle aus der Kultur- und Veranstaltungsbranche, bei denen 2020 häufig de facto keine oder nur sehr geringe Hilfen geleistet wurden.
VGSD-Vorstand Andreas Lutz: "Das Urteil kommt für uns nicht unerwartet. Trotzdem sind wir tief enttäuscht, denn die betroffenen Selbstständigen haben aufgrund der Corona-Schließungen Sonderopfer in enormem Umfang erbringen müssen, zugunsten des Gesundheitsschutzes von uns allen. Die Hilfen, die sie dafür erhalten haben, waren insbesondere im Jahr 2020 bei kleineren Selbstständigen völlig unzureichend. Wir hatten keine vollständige Kompensation für diese Nachteile erwartet, aber doch gehofft, dass die Lücken bei der Hilfe vom BGH stärker berücksichtigt werden."
Coronabedingte Betriebsschließung: Bundesgerichtshof fällt erste Urteile, wer Schaden bei Betriebsschließungen tragen muss
Nach obenErste Streitfälle darüber, wer den Schaden lockdownbedingter Betriebsschließungen tragen muss, haben ihren Weg durch die Instanzen vor den Bundesgerichtshof gefunden: Heute hat der BGH über den Anspruch auf Mietminderungen während eines Lockdowns geurteilt, am Donnerstag, 3. März 2022 wird ab 10 Uhr der für das Amts- und Staatshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat über Ansprüche aus der Schließung eines Gastronomiebetriebs aufgrund der brandenburgischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung von ... COVID-19 verhandeln.
Kläger ist der Inhaber eines Hotels mit Gastronomie, das aufgrund der Lockdown-Verordnung zeitweise schließen musste und nur noch Einnahmen aus dem Außerhausverkauf generieren konnte.
Zwar erhielt das Hotel Corona-Soforthilfe, der Schaden war jedoch weitaus größer. Bei dem Verfahren geht es um den Differenzbetrag zwischen erhaltenen Hilfen und tatsächlichem Schaden in Höhe von gut 27.000 Euro.
Der Kläger sieht in dem Lockdown einen enteignungsgleichen Eingriff und beruft sich auf den im Grundgesetz (GG) und im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelten Haftungsanspruch:
- § 839, Absatz 1 BGB - Haftung bei Amtspflichtverletzung
- Artikel 34 GG, Satz 1
Auch wir als Verband sehen einen enteignungsgleichen Eingriff bzw. ein Sonderopfer, mindestens aber eine erhebliche Regelungslücke aufgrund nicht ausreichender Hilfen, insbesondere bei Soloselbstständigen und Kleinstunternehmen. Deshalb unterstützen wir mehrere Klagen des Veranstaltungsprofis Dany Rau mit ähnlicher Zielsetzung.
Vor dem Land- und dem Oberlandesgericht wurde dem Kläger gegenüber ein Schadensersatzanspruch verneint, das Berufungsgericht (2. Instanz) hatte aber ausreichen Zweifel, um eine Revision vor dem Bundesgerichtshof zuzulassen, so dass wir bald mit einer Entscheidung auf höchster Ebene rechnen können.
Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs
Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 1. Juni 2021 (2 U 13/21)
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