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Die EU, genauer gesagt die Generaldirektion Wettbewerb, denkt über "Collective bargaining agreements for self employed" (Download des PDF, englisch, 5 Seiten, auf dieser Übersichtsseite) nach und hat dazu gerade die erste Anhörungsphase beendet, bei der es vor allem um den "Scope", also die Reichweite der Regelung geht.
Kartellrecht-Ausnahme für Soloselbstständige
Begründet wird die Initiative mit Missständen in der Plattformökonomie, gelten soll sie aber möglicherweise für alle Soloselbstständigen, die für Firmenkunden tätig sind. Der VGSD hat zu diesem Vorhaben eine differenzierte Stellungnahme abgegeben.
Artikel 101(1) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union steht Tarifverhandlungen bisher im Weg: Er verbietet Unternehmern – und damit auch Soloselbstständigen – nämlich Absprachen untereinander. Dabei könnten diese helfen, schlechte Arbeitsbedingungen und Honorare zu verbessern, so die EU-Kommission.
Regelung nur für Plattformarbeiter oder alle Soloselbstständigen mit Firmenkunden?
Die EU könnte den Mitgliedsstaaten durch eine Ausnahmeregelung beim Artikel 101 die Möglichkeit eröffnen, Soloselbständigen Absprachen und Verhandlungen zu erlauben.
Dies will man entweder
- nur Soloselbstständigen erlauben, die ihre Arbeit durch digitale Arbeitsplattformen anbieten (was immer das genau ist)
- oder auch allen Soloselbstständigen, die für Firmenkunden ab einer gewissen Größenordnung arbeiten
- oder allen Soloselbstständigen, die für Firmenkunden arbeiten – ausgenommen Angehörige der freien Berufe
- oder allen Soloselbstständigen, die für Firmenkunden arbeiten.
Mehr als 300 Stellungnahmen
Mehr als 300 Gewerkschaften, Berufsverbände, Unternehmen und Bürger haben zu dem Vorhaben Stellung genommen, darunter auch der VGSD. Grundsätzlich finden wir das Vorhaben sympathisch. Wir fürchten allerdings bei allen vier Abgrenzungsoptionen erhebliche praktische Probleme und damit auch Rechtsunsicherheit. Brauchen wir wirklich neben all den bestehenden Unterscheidungen, über die man Bescheid wissen muss noch eine weitere? Wäre es nicht sinnvoller eine Grenzlinie zu ziehen zwischen fairer Bezahlung und solcher von der man nicht leben kann?
Das Misstrauen sitzt bei uns in Deutschland tief angesichts von weitgehenden Regulierungsplänen wie dem Eckpunktepapier des Bundearbeitsministeriums "Faire Arbeit in der Plattformökonomie", das vorgibt, Verbesserungen für Essenslieferanten und Kurierfahrer einführen zu wollen, bei dem dann aber mangels klarer Abgrenzung zu fürchten steht, dass es eine Rentenversicherungspflicht und eine Beweislastumkehr beim Statusfeststellungsverfahren durch die Hintertür für alle Soloselbstständigen bringen soll.
Stellungnahmen von VGSD, ISDV und BDÜ
Die mit uns befreundete Interessengemeinschaft der selbstständigen Dienstleister/innen in der Veranstaltungswirtschaft (ISDV) e.V. lehnt deshalb die EU-Initiative entschieden ab. Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) e.V. hält sich noch bedeckt und will weitere Details abwarten. Viele Berufsverbände aus der ganzen EU begrüßen die Regelung, weil sie sich durch kollektive Verhandlungen eine Verbesserung ihrer Honorare erhoffen. Andere sehen die Gefahr, dass von Gewerkschaften ausgehandelte Mindesthonorare den Markteintritt für Anfänger erschweren könnten und zugleich für erfahrenen Selbstständige eine Preisobergrenze bedeuten könnten.
In unserer VGSD-Stellungnahme (hier auch als PDF, deutsch, 3 Seiten) stellen wir das Für und Wider gegenüber. Wir fordern in Bezug auf die Mehrzahl der freiwillig Selbstständigen, dass die Maßnahmen nicht dazu führen dürfen, "dass ihre Selbstständigkeit in Frage gestellt wird, ihre Auftraggeber sich zusätzlicher Rechtsunsicherheit ausgesetzt sehen oder sich ihre Honorare auf das Niveau von Mindesthonoraren reduzieren, die von anderen ausgehandelten werden."
Zielgenaue Lösungen vorgeschlagen
Wir schlagen des Weiteren vor, dass die Höhe des Honorars ein wichtiges Kriterium für Scheinselbstständigkeit wird: Auftraggeber, die angemessen bezahlen, werden mit Rechtssicherheit belohnt. Eine zielgenaue Lösung könnte auch an der Marktmacht der Auftraggeber ansetzen. Da wo sich Soloselbstständige erheblicher Marktmacht gegenübersehen, könnten sie eine Aussetzung des Artikels 101 beantragen, nicht nur gegenüber mächtigen Plattformen, sondern auch gegenüber staatlichen Stellen oder auch großen Medienunternehmen. Wichtig wäre, dass sie sich nicht nur auf eine direkte Kontrahierung mit dem entsprechenden Unternehmen und staatlichen Stellen bezieht, sondern auch auf Vermittler und Subauftragnehmer, über die sie ihre Aufträge vergeben. Auf diese Weise könnten Erfahrungen mit dem neuen Instrument gewonnen werden, wo dies besonders dringend erscheint.
Übrigens haben auch der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) Stellungnahmen abgegeben. Sie lehnen das EU-Vorhaben beide ab. Eine Stellungnahme von ver.di oder dem DGB haben wir nicht gefunden.
Wie schätzt du die EU-Initiative ein?
Welche Abgrenzung siehst du als sinnvoll an? Es handelt sich um unsere erste Stellungnahme zu dieser Initiative, weitere werden in späteren Konsultationsphasen folgen. Dann sind hoffentlich mehr Details bekannt. Abhängig vom Feedback von dir und unseren anderen Mitgliedern werden wir unsere Position weiterentwickeln und verfeinern.
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