Im Vorfeld des EU-Rats für Wirtschaft und Finanzen am 25. Mai 2016 haben vier führende europäische Selbstständigenverbände die EU-Institutionen aufgefordert, Einzel- und Kleinstunternehmer unterhalb einer bestimmten Umsatzschwelle von den neuen EU-Mehrwertsteuerregeln für digitale Umsätze zu befreien.
Im Mittelpunkt steht ein offener Brief, den Marco Torregrossa, Generalsekretär unseres europäischen Dachverbands European Forum of Independent Professionals (EFIP), an den niederländischen Premierminister und amtierenden Ratsvorsitzenden Rutte geschrieben hat.
Er wurde gemeinsam mit
- European Entrepreneurs (CEA-PME, hier ist u.a. der BVMW organisiert, der die deutsche Übersetzung des Briefes finanzierte, s.u.),
- European Federation of Umbrella Companies (FEPS) und
- European Small Business Alliance (ESBA) unterzeichnet.
Wir freuen uns über die Zusammenarbeit. Dass man gemeinsam mehr erreichen kann, hatte sich in Deutschland bereits im Rahmen des FEFA-Verbändebündnisses gezeigt. Gemeinsam vertreten die vier Dachverbände und ihre Mitgliedsverbände mehr als zehn Millionen Selbstständige und eine Million Kleinunternehmen mit 15 Millionen Beschäftigten.
Worin besteht das Problem?
Gemäß der EU-Umsatzsteuer-Richtlinie über den Ort von Dienstleistungen[1] vom 1. Januar 2015 müssen alle elektronischen Dienstleistungen an dem Ort besteuert werden, an dem der Kunde (Empfänger) ansässig ist, und nicht mehr an dem des Dienstleistungserbringers. Das führt dazu, dass ein Softwareentwickler oder Anbieter von Inhalten jedem Kunden die Umsatzsteuer seines Landes in Rechnung stellen muss und in jedem Land Umsatzsteuererklärungen und womöglich sogar Voranmeldungen abgeben muss – ein unglaublicher bürokratischer Aufwand.
In der Gesetzesfolgenabschätzung zur Richtlinie aus dem Jahr 2008 (als die aus dem Jahr 2006 stammende Richtlinie geändert wurde) ging die EU-Kommission noch davon aus, dass die meisten Kleinunternehmen, wie Entwickler von Apps und digitalen Downloads, den Vertrieb über externe Plattformen tätigen, die über die nötigen Mittel verfügen, um die neuen Steuervorschriften umzusetzen. In einem solchen Fall obliegt es nämlich dem Betreiber der Plattform, die Umsatzsteuer abzurechnen. Aus diesem Grund wurde davon ausgegangen, dass die meisten Kleinstunternehmen nicht von den Änderungen betroffen seien. Inzwischen sind jedoch auch Kleinstunternehmen in der Lage, digitale Dienstleistungen direkt an Kunden zu verkaufen. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Gebühren der Verkaufsplattformen wurde der Direktvertrieb in den letzten Jahren immer mehr von der Ausnahme zum Regelfall.
Die EU-Kommission hat dies erkannt und angekündigt, dass gegen Ende 2016 ein Rechtsetzungsvorschlag mit einer EU-weiten Maßnahme zur Vereinfachung vorgelegt werden wird (MwSt.-Schwellenwert), um Kleinunternehmen, die im elektronischen Geschäftsverkehr tätig sind, zu unterstützen. Doch es werden dann noch Jahre vergehen, bevor diese Korrektur wirklich formell angenommen und umgesetzt ist. In der Zwischenzeit können Kleinunternehmen de facto grenzüberschreitend in Europa keine direkten digitalen Verkäufe mehr tätigen, weil die Abwicklung derart aufwändig ist.
Aus diesem Grund fordern die Selbstständigenverbände eine sofortige vorübergehende Aussetzung der gegenwärtigen Regeln für Kleinunternehmen, die unter diesem Schwellenwert liegen.
Die Verbände argumentieren mit Wettbewerbsverzerrungen
Die neuen EU-Rechtsvorschriften – argumentieren die Verbände - stellen für kleine Unternehmen eine unverhältnismäßige Belastung dar. Dies sei hauptsächlich auf die finanziellen Kosten und den Zeitaufwand zur Einhaltung der Vorschriften zurückzuführen, welche an die Kunden weitergegeben oder intern aufgefangen werden müssen. Dies würde zu einer Schmälerung der Unternehmensgewinne führen und zur Folge haben, dass diese ihre grenzüberschreitenden Geschäfte in Europa nicht weiter ausbauen. Alternativ müssten Kleinunternehmen hohe Gebühren an externe Reseller-Plattformen abführen, um weiter auf dem Markt vertreten zu sein und dieser Faktor würde Großunternehmen im Vergleich zu den kleinen lokalen Unternehmen begünstigen.
Die Kommission aber habe sich in der Vergangenheit in der „Agenda für bessere Rechtsetzung“[2] dazu verpflichtet, künftig unnötige Belastungen für KMU auf ein Mindestmaß zu beschränken, insbesondere durch den Grundsatz, „zuerst in kleinen Dimensionen zu denken“.
Das sind die Forderungen der Verbände
Dr Brief an den amtierenden Ratspräsidenten enthält folgende Empfehlungen:
- Kurzfristig (Q2 2016): Einführung eines Umsatz-Schwellenwerts, der bei zwischen 50.000 und 100.000 EUR liegen könnte und auf alle Klein- und Kleinstunternehmen anwendbar sein sollte (< 10 Mitarbeiter; < 2 Mio. EUR Umsätze), die grenzüberschreitende digitale Umsätze tätigen, sowie die umgehende vorübergehende Aussetzung der derzeitigen Vorschriften für Klein- und Kleinstunternehmen, die unter diesem Schwellenwert liegen, damit diese die innerstaatlichen Mehrwertsteuervorschriften anwenden können. Diese Maßnahmen sollten Teil des erwarteten Rechtsetzungsvorschlags zur Modernisierung und Vereinfachung der Mehrwertsteuer für den grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr sein. Wir fordern die Europäische Kommission auf, ihren diesbezüglichen Vorschlag unverzüglich vorzulegen.
- Mittelfristig (Q3-Q4 2016): Progressive Überprüfung und radikale Vereinfachung der neuen EU-Mehrwertsteuervorschriften, um diese für alle Klein- und Kleinstunternehmern praktikabel zu gestalten, auch für diejenigen, die über einem Schwellenwert von 50.000-100.000 EUR liegen. Dies sollte auch die Erfassung eines einzigen Datenelements umfassen (z. B. Ländercode des Zahlungsverarbeiters) und eine Garantie in Bezug auf eine Beschränkung der Revisionskontrolle, die ausschließlich seitens des Heimatlands durchgeführt wird.
- Langfristig (2017): Vermeidung der Erweiterung der EU-Mehrwertsteuervorschriften auf diejenigen Klein- und Kleinstunternehmen, die körperliche Gegenstände verkaufen, in Erwartung einer gebührenden Folgenabschätzung, eines KMU-Tests und einer öffentlichen Konsultation mit Vertretern von Klein- und Kleinstunternehmen und Selbstständigen.
Chris Bryce (EFIP) und David Caro (ESBA) verlangen mehr Rücksicht auf Selbstständige
EFIP-Vorstand Chris Bryce zu den gemeinsamen Forderungen: „Kleinunternehmen und Selbstständige sind für die europäische Wirtschaft lebenswichtig. Angesichts der Tatsache, dass sich die EU verpflichtet hat, bei der Ausarbeitung von Rechtsetzungsvorschlägen „zuerst in kleinen Dimensionen zu denken“, ist es doch extrem enttäuschend, dass diese Änderung der Umsatzsteuervorschriften eingeführt wurden, ohne die Auswirkungen auf (die Kleinstunternehmen zu berücksichtigen). Die Kommission hat zugegeben, dass dies ein Problem darstellt und muss jetzt einen Schwellenwert vorsehen, um die Folgen dieser Rechtsänderung auf ein Mindestmaß zu beschränken. Unsere drei einfachen Empfehlungen sehen vor, dass die europäischen Institutionen und die Mitgliedstaaten diesbezüglich umgehend handeln. Es geschieht viel zu oft, dass Selbstständige aufgrund von unnötigen bürokratischen Auflagen aus dem Geschäft gedrängt werden.“
David Caro, der Vorsitzende der European Small Business Alliance (ESBA): „Obgleich eine Änderung der Mehrwertsteuervorschriften durchaus erforderlich ist, da diese dem sich weiterentwickelnden Binnenmarkt angepasst werden müssen, muss dies auf eine Art und Weise geschehen, die es Kleinst- und Kleinunternehmen erlaubt, diese Regeln einzuhalten, ohne eine unverhältnismäßige Belastung (...) tragen zu müssen. Wir fordern die EU-Institutionen auf, dies zu berücksichtigen, bevor etwaige weitere Entscheidungen getroffen werden.“
- Pressemitteilung (englisch)
- Brief (englisch) an den niederländischen Premierminister und amtierenden Ratsvorsitzenden Rutte
- Brief in deutscher Übersetzung
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