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Fehlende Corona-Soforthilfen für selbstständige Eltern „Die Betreuung kleiner Kinder müsste ein Positivkriterium sein“

Grafiker Achim Trumpfheller, zweifacher Vater, war zu Beginn der Corona-Krise verhalten optimistisch: Als er gehört hat, dass Soloselbstständigen unbürokratisch mit Soforthilfe unter die Arme gegriffen werden sollte, ging er davon aus, die akute Phase der Krise finanziell überstehen zu können. Es war ein Hoffnungsschimmer, immerhin waren ihm über Nacht sämtliche Aufträge weggebrochen. Leider wurde er schnell eines Besseren belehrt und erhielt zwar einen kleinen Betrag, der aber nur einen Bruchteil seiner tatsächlichen Kosten deckte. Trumpfheller versuchte daher, Verdienstausfallentschädigung aufgrund von Kinderbetreuung während der Kita- und Schulschließungen zu erhalten. Mittlerweile ist er schockiert darüber, wie sehr er und viele weitere Soloselbstständige von der Regierung im Stich gelassen wurden. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen in der Krise gesprochen.

Achim Trumpfheller, zweifacher Familienvater, fühlt sich von der Regierung im Stich gelassen

Achim, wie hat dich als selbstständiger Grafiker die Corona-Krise getroffen?

Seit 2004 bin ich selbstständiger Grafiker und setze Konzepte technisch um. Mit dem Corona-Lockdown Mitte März blieb das Telefon von heute auf morgen still und die Mailbox leer, meine gesamten Stammkunden sind abgetaucht. Als die Politiker verkündeten, dass niemand wegen der Corona-Krise auf der Strecke bleiben und dass jedes Kleinunternehmen bis zu 9.000 Euro bekommen sollte, um die akute Zeit zu überstehen, hatte ich die Hoffnung, dass wir als Familie in dieser Krise nicht allein gelassen werden und ich meine Rücklagen für die Altersvorsorge nicht angreifen muss.

Hat sich deine Hoffnung erfüllt?

Nach der ersten Erleichterung kamen fast täglich neue Bezugsbedingungen für die Hilfen hinzu. Wir erfuhren, dass den Selbstständigen nur Betriebskosten für drei Monate erstattet werden. Meine Hauptausgaben betreffen aber den privaten Lebensunterhalt, also die Baufinanzierung, die private Krankenversicherung, Essen und Kleidung für die Familie, Strom und Wasser – und nicht zuletzt die private Altersvorsorge. Ich konnte also nur einen Antrag auf Corona-Soforthilfe bei der für Niedersachsen zuständigen NBank in Höhe von rund 1.100 Euro für drei Monate stellen, denn mehr Betriebskosten habe ich einfach nicht. Das Geld bekam ich rasch ausbezahlt. Da sich die Zugangsvoraussetzungen tatsächlich täglich änderten, erfuhr ich erst später, dass ich nicht nur die Zinsen, sondern auch die Tilgung eines Geschäftskredits hätte ansetzen dürfen – den bei weitem größten Einzelposten meiner betrieblichen Ausgaben.

Korrektur des Antrags: Geht nicht ...

Hast du die Tilgung in der Folge noch geltend machen können?

Das hatte ich versucht, ich stellte einen Folgeantrag über die Differenz, die meinen Anspruch mehr als verdoppelt hätte. Dieser Antrag wurde inzwischen abgelehnt. Die Begründung: Ich hätte ja bereits zuvor einen Antrag gestellt, der auch bewilligt worden wäre. Meine Rückfrage, wie ich eine Ergänzung hätte einreichen sollen, blieb bis heute unbeantwortet.

War ein Antrag auf Grundsicherung ein Thema für dich?

Ja, denn für die Lebenshaltung sollte uns Selbstständigen der Zugang zur Grundsicherung unbürokratisch geöffnet werden. Es stellte sich jedoch rasch heraus, dass zwar die Zugangsvoraussetzungen zum ALG II für Selbstständige tatsächlich gesenkt worden waren, aber die Ansprüche genau wie für „ganz normale" Hartz-IV-Empfänger gelten. Da meine Frau zu diesem Zeitpunkt noch 32,5 Stunden arbeiten konnte, war das verfügbare Einkommen unserer „Bedarfsgemeinschaft“ trotz Komplettausfalls meinerseits und der großzügigen Anrechnung der realen Zinsen der Baufinanzierung, der Grundsicherung, der Kinder und meiner privaten Krankenversicherung noch immer zu hoch, um einen einzigen Euro vom Job-Center zu bekommen. Zudem stand damals noch im Raum, dass erst einmal sämtliche verfügbaren privaten Mittel verbraucht werden müssten. Was vor dem Hintergrund des ständigen Vorwurfs, Selbstständige würden nicht vorsorgen, wirklich zynisch ist!

Wer Kinder betreut, soll stattdessen nachts arbeiten?

Auch selbstständig berufstätige Eltern haben Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz. Du hast ja als zweifacher Vater deine Kinder betreut und beschult, weil Kita und Schule aufgrund staatlicher Verordnung geschlossen waren. Wurdest du dafür entschädigt?

Da hatte ich gehofft, da ich seit zwölf Wochen die Beschulung meines achtjährigen Sohnes und die Betreuung meiner fünfjährigen Tochter übernommen habe. Ich stellte also auch diesen Antrag, der abgelehnt wurde. Die Begründung: Weil mein Büro im Haus ist, hätte ich die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten wie sonst auch – und daher keinen Anspruch auf die Leistung. Dass meine Kinder, von denen eins mit der Diagnose ADHS lebt, vor der Krise täglich bis 17 Uhr betreut waren, interessierte dabei nicht. Ich könne ja arbeiten, wenn meine Frau Feierabend habe, also nachts, sagte mir eine Ansprechpartnerin.

Weiterhin wurde angeführt, dass ich ja bereits Soforthilfe beantragt und erhalten habe. Nicht berücksichtigt hat die Behörde, dass die Soforthilfe explizit für Geschäftskosten gedacht und auch ausschließlich zu verwenden ist, die Verdienstausfallentschädigung jedoch der Lebenshaltung dient. Also genau dafür, wofür ich sie beantragt hatte!

Zu guter Letzt wurde darauf hingewiesen, dass ich mich „freiwillig“ entschieden hatte, derjenige zu sein, der die Kinder betreut. Dies war für uns aber natürlich die einzige wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung, solange meine Frau noch voll arbeiten durfte. Außerdem leben wir im Jahr 2020, wo nicht zwangsläufig die Frau für Haus und Herd zuständig ist!

Hast du Einspruch erhoben?

Ich machte daraufhin von dem angebotenen Recht auf eine Stellungnahme Gebrauch und teilte dem Landkreis mit, dass meiner Sichtweise nach keiner der genannten Punkte eine Ablehnung meines Antrages rechtfertigte. Anfang Juli aber bekam ich den endgültigen Ablehnungsbescheid, in dem nur die bereits zuvor angewandte Argumentation wiederholt wurde. Lapidar wies man mich noch darauf hin, dass ich gerne den Rechtsweg beschreiten könnte und teilte mir großzügigerweise gleich das zuständige Gericht mit. Ich hatte mich auch in den Wochen nach Ausbruch der Krise an verschiedene Politiker gewandt und durchaus interessante Rückmeldungen erhalten. Politiker auf Kreis- und Landesebene zeigten durchaus Verständnis für meine Situation und versprachen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten diese Punkte an entsprechender Stelle vorzutragen. Leider aber wurde immer wieder deutlich, dass das gesamte Verfahren Ländersache ist und die Länder wiederum den Landkreisen bzw. den dort zuständigen Behörden weitgehende Entscheidungsfreiheit geben, ob ein Antrag berechtigt ist oder nicht. Vor allem letzteres halte ich für ein absolutes Unding, da es einheitliche und nachvollziehbare Kriterien geben muss, die entweder zutreffen oder eben nicht. Und zwei kleine Kinder sind meiner Ansicht nach ziemlich eindeutig ein Positivkriterium! Dass dies in meinem Fall nicht gilt, lässt mich nachvollziehen, wie es ist, von seinem Land im Stich gelassen zu werden, und darüber bin ich schockiert.

Tipp: Keine Angriffsfläche bieten

Kannst du anderen Selbstständigen einen Rat geben aufgrund deiner Erfahrungen, wie sie ihre Chancen auf Hilfen erhöhen können?

So zynisch es klingt, aber das einzige, was ich raten kann ist: sich immer wieder vor Augen zu führen, dass die Behörden nicht deine Freunde sind; im Gegenteil! Entsprechend sind sie zu behandeln. Sprich: Rechnet nicht damit, dass ihr auf mehr Verständnis stoßt, wenn ihr versucht, auf menschlicher Ebene zu kommunizieren. Macht keine Angaben über die absolut notwendigen hinaus. Alles, was gegen euch verwendet werden kann, wird auch gegen euch verwendet werden. Natürlich solltet ihr beim Kontakt mit den Behörden immer bei der Wahrheit bleiben, aber darüber hinaus: Bietet so wenig Angriffsfläche wie möglich!

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