Christoph Klein ist einer der drei für den Werner Bonhoff-Preis 2016 nominierten Unternehmer. Vor 20 Jahren hat er aus eigener Betroffenheit als Asthmatiker eine neuartige Inhalierhilfe für Aerosole entwickelt. Klein war unzufrieden mit den herkömmlichen L-förmigen Inhalierhilfen. Diese erfordern, dass sich der Anwender auch bei akuter Atemnot im Schlaf erst aufrichten muss, damit die Sprühstöße in der Lunge ankommen.
Seine Inhalierhilfe hingegen ist gerade geformt und kann auch im Liegen verwendet werden. Die Patienten bekommen zudem schneller wieder Luft, Nebenwirkungen werden vermindert und die Inhalierhilfe ist wiederverwendbar. Nach Schätzungen einer Krankenkasse, die die Inhalierhilfe eingesetzt hat, würde ihre Verwendung einen dreistelligen Millionenbetrag an Einsparungen pro Jahr allein für das deutsche Gesundheitssystem bedeuten.
Seit 18 Jahren in Endlosschleife gefangen
Doch nachdem die Inhalierhilfe unter dem Namen „Broncho Air“ zunächst als Medizinprodukt zugelassen wurde, erteilte ein Gewerbeamt ein Vertriebsverbot. Über diesen Vorgang muss die EU informiert werden und ein Schutzklauselverfahren einleiten, was die EU auch getan hat. Erst nach dessen Abschluss hätte Christoph Klein dann Rechtsbehelf einlegen und sich gegen das Vertriebsverbot wehren können. Doch die EU-Kommission schloss das Verfahren bis zum heutigen Tage nicht ab – über einen Zeitraum von 18 Jahren. Und deshalb gilt das Vertriebsverbot bis zum heutigen Tage.
Hintergrund sind
- einerseits Streitigkeiten über Begrifflichkeiten (Handelt es sich um ein Medizinprodukt oder um den Bestandteil eines Arzneimittels, für das aufwändigere Zulassungsmechanismen gelten?) und
- andererseits Streitigkeiten über Zuständigkeiten (Die Kommission vertritt die Ansicht, dass durch die Befassung der deutschen Behörden kein Schutzklauselverfahren eingeleitet worden war. Dementsprechend verfolgte sie das Verfahren auch nicht weiter.)
EU-Parlament kritisiert Kommission – und die bleibt weiter untätig
Das europäische Parlament hat auf eine Petition von Klein hin die Kommission mit deutlichen Worten kritisiert:
„Ausgehend von den zur Verfügung stehenden Unterlagen entsteht der Eindruck, dass der Petent seit 1997 Opfer einer eklatanten Rechtsverweigerung seitens der Kommission ist. Da die Kommission das Schutzklauselverfahren gemäß der Richtlinie 93/42/EWG nicht abgeschlossen oder möglicherweise schon gar nicht ernsthaft eingeleitet hat, verfügt der Petent über keine Entscheidung der Kommission, die er vor dem Gerichtshof anfechten kann. (…) Dieses Verhalten verstößt gegen die Verpflichtung der Kommission aus der Richtlinie und machte es den deutschen Behörden (einschließlich der Gerichte) unmöglich, die Angelegenheit zu klären. Es verstößt gegen alle Grundsätze der Billigkeit, da es den Petenten ohne Rechtsbehelf ließ und eine Situation völliger Rechtunsicherheit schuf. (...) Um es ganz deutlich zu machen, ist der Petent, selbst wenn ihm kein Rechtbehelf zur Verfügung steht, Opfer eines eklatanten Verstoßes gegen Unionsrecht durch die Kommission und einer ebenso eklatanten Unterlassung seitens der Kommission, ihre Verpflichtungen aus den geltenden Rechtsvorschriften zu erfüllen.“
Klein hat mit viel Enthusiasmus zwei Unternehmen aufgebaut, die beide Insolvenz anmelden mussten
Klein fand keinen Ausweg aus der Bürokratiefalle. Mit fatalen Folgen für das von ihm gegründete Unternehmen: „Die Firma stand ein Jahr nach dem Vertriebsverbot vor dem Konkurs.“
Doch Christoph Klein gab nicht auf. Er fand neue Investoren, nahm neue Kredite auf und gründete 1998 die atmed AG. Ab 2003 erfolgte der Vertrieb des Inhalers nunmehr unter dem Namen „effecto“. Die Inhalierhilfe wurde diesmal auf Empfehlung von Juristen mit eingeschränktem Einsatzgebiet auf den Markt gebracht.
Dann begann der Alptraum erneut. Die Regierung von Oberbayern trat auf den Plan und sprach in 2005 ein Vertriebsverbot aus, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 30.000 Inhaler verkauft worden waren und es keine Berichte über irgendwelche Probleme gegeben hatte.
Die EU Kommission wurde diesmal nicht über das Verbot in Kenntnis gesetzt, so dass in diesem Fall ein Schutzklauselverfahren gar nicht erst eingeleitet wurde. Die deutschen Behörden waren der Ansicht, dass 1997 bereits ein Schutzklauselverfahren bezüglich des Inhalers „Broncho Air“ eingeleitet worden war und daher ein neues Verfahren für den baugleichen „Effecto“ nicht erforderlich sei. Die EU-Kommission blieb aber hinsichtlich des ersten Schutzklauselverfahrens weiterhin untätig, so dass sich Klein gegen keines der beiden Vertriebsverbotet rechtlich zur Wehr setzen konnte. Aufgrund des jahrelangen Vertriebsverbotes des „Effecto“ musste im Mai 2011 auch über die atmed AG das Insolvenzverfahren eröffnet werden.
Klein klagte gegen EU auf Schadensersatz und erhielt in zweiter Instanz Recht
Klein klagte nun gegen die EU auf Ersatz des Schadens, den er durch die Untätigkeit der Kommission erlitten hatte. Das Europäische Gericht (EuG) gab jedoch der Kommission recht. Erst die zweite Instanz beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) führte im April 2015 zum Erfolg. Der Gerichtshof bejahte Kleins Schadensersatzanspruch dem Grunde nach.
Damit hat der EuGH aber nicht entschieden, ob das Vertriebsverbot rechtmäßig war oder nicht. Christoph Klein muss auf eine abschließende Entscheidung des EuG warten. Es ist noch nicht absehbar, wieviel Zeit das weitere Verfahren in Anspruch nehmen wird und ob und wann es zu einer konkreten Auszahlung eines Schadensersatzes kommen wird. Aktuell wartet er auf den Verkündungstermin des EuG für ein Zwischen- bzw. Haftungsurteil.
Wenn die Entscheidung dann schließlich für Klein erfolgen sollte, dürfte sie zu erheblicher medialer Aufmerksamkeit führen. Bislang gab es so gut wie noch nie ein erfolgreiches Schadensersatzurteil gegen die EU-Kommission, insbesondere mit einer Einzelperson als Kläger. Denkbar ist auch, dass es in einem solchen Fall zu einem Untersuchungsausschuss im EU-Parlament kommen wird, der u.a. prüft ob es durch die Untätigkeit der Kommission in den letzten 18 Jahren zu einem Milliardenschaden zu Lasten der europäischen Krankenversichertengemeinschaft gekommen ist.
Frontal21 sieht Pharmaindustrie am Wirken
Im Mai 2011 berichtete das ZDF-Magazin “Frontal21“ über den Fall. Die Filmemacher sehen die Verantwortung für Kleins bürokratischen Alptraum bei der Pharmaindustrie, die bürokratische Hürden nutze, um Hersteller von innovativen Produkten vom Markt fernzuhalten.
Klein ist fest entschlossen, sich weiter hartnäckig durch deutsche und europäische Instanzen zu kämpfen.
Die Bonhoff-Stiftung schreibt in ihrer Fallbeschreibung:
„Es ist Herrn Klein zu danken, dass er den Rechtsstreit um die Pflichten der Kommission an die Öffentlichkeit gebracht hat. Über den langen und leidenschaftlichen Weg des Unternehmers Klein könnte noch viel erzählt werden, dies würde jedoch den Rahmen sprengen. Daher beschränkt sich die Darstellung auf Herrn Kleins Schadensersatzforderung gegen die Kommission und den der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt.“
Wir sind gespannt, Christoph Klein aus Anlass der Preisverleihung persönlich kennen zu lernen. Wir wünschen ihm Glück für die Preisverleihung und vor allem viel Erfolg für seine aktuelle Klage beim Europäischen Gericht.
Selbst für Bonhoff-Preis bewerben
Die Werner Bonhoff Stiftung vergibt im Rahmen ihres Projekts „bureaucratic transparency“ seit 2006 den Bonhoff-Preis. Ausgezeichnet werden unternehmerische Menschen, die Bürokratismus nicht einfach hinnehmen und durch ihren Widerstand Verbesserungen „von unten nach oben“ anregen. Der Preis soll dazu ermutigen, einen Beitrag zur notwendigen Kontrolle und Motivation der Verwaltung von außen zu leisten. 2013 war VGSD-Vorstand Tim Wessels Preisträger. Um sich für den Preis zu qualifizieren, ist es lediglich nötig, online eine kurze Fallbeschreibung der eigenen Erlebnisse bei der Bonhoff-Stiftung einzureichen.
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