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Hartz-IV-Reformvorschläge im Überblick / ifo will 40 Prozent vom Zuverdienst belassen

Es gibt mehr als 100.000 Selbstständige, die ihren Gewinn mit Arbeitslosengeld II (ALG2) aufstocken oder für die umgekehrt die Selbstständigkeit ein Zuverdienst zum ALG2-Bezug ist. Ihre Hoffnung: Durch eine erfolgreiche Selbstständigkeit die Abhängigkeit von der Transferleistung überwinden.

Doch viele ALG2-Empfänger fühlen sich stigmatisiert und von der Wohlstandsgesellschaft ausgegrenzt, verzweifeln an dem komplizierten System und sehen sich in einer Falle: Wer mehr arbeitet, erhält am Ende unter Umständen weniger Geld.

Die SPD möchte im Rahmen einer „Sozialstaatsreform“ Hartz IV überwinden und hat das Thema damit zurück auf die politische Agenda gebracht. Das ist gut. Auch weil eine sachgerechte Reform zur politischen Befriedung unserer aufgewühlten Gesellschaft führen kann.

Aber was ist inhaltlich von den Vorschlägen der SPD zu halten? Wie reagiert die CDU? Welche Reformen hält die für das System in der Praxis hauptsächlich verantwortliche Bundesagentur für Arbeit (BA) für zielführend? Welche Reformen fordert das ifo als führendes Wirtschaftsforschungsinstitut? Und wie positionieren wir als VGSD uns zu den Reformplänen?

Zunächst ein Blick zurück

Das ALG2 wurde am 01.01.2005 durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (deshalb „Hartz IV“) eingeführt. Zuvor folgte auf den Arbeitslosengeld I-Bezug zunächst die Arbeitslosenhilfe, dann die Sozialhilfe.

  • Vereinfacht gesagt wurde die Sozialhilfe in ALG2 umbenannt, die Arbeitslosenhilfe als Zwischenschritt entfiel, was zu einem schnelleren Abrutschen in das oft deutlich niedrigere ALG2 führte.
  • Zugleich wurde die Bedürftigkeitsprüfung durch eine deutlich strengere Vermögensanrechnung verschärft.
  • Außerdem wurde nach dem Motto „Fördern und fordern“ die Transferleistung an Bedingungen geknüpft, vor allem die Bereitschaft, sich um eine Beschäftigung zu bemühen. Wer das nicht tut, konnte seitdem mit Abschlägen von bis zu 30 Prozent, im Extremfall sogar von 100 Prozent sanktioniert werden.
  • ALG2-Empfänger, die sich selbstständig (oder auch nicht-selbstständig) betätigen, dürfen die ersten hundert Euro ganz, darüber hinausgehenden Zuverdienst aber nur zu 10 bis 20 Prozent behalten. Das entspricht quasi einer Steuerbelastung von 80 bis 90 Prozent. Das ifo-Institut hat 2017 aufgezeigt, dass die „Transferentzugsrate“ bei Bezugsgemeinschaften mit Kindern sogar auf über 100 Prozent steigen kann, also so als würde man mehr als 100 Prozent Steuern bezahlen. Mehrarbeit wird in einem solchen Fall mit einem weniger – statt mehr – Einkommen bestraft.

Vom zusätzlich erzielten Gewinn bzw. Einkommen bleibt ALG2-Empfänger nur sehr wenig

Hinzu kommt eine extrem komplizierte und bürokratische Berechnung des ALG2, die für die Empfänger oft zu unvorhersehbaren Ergebnissen und entsprechend viel Frust führt. Das lässt sich besonders gut am Beispiel von selbstständigen ALG2-Empfängern illustrieren, bei deren Betriebsausgaben die Sozialbehörden oft strengere Maßstäbe als das Finanzamt anlegt, was den bürokratischen Aufwand für die Gewinnermittlung ins Unerträgliche steigert.

Die bürokratischen Hürden sind für Gründer so schwer zu überwinden, die Gängelung so groß, dass Experten aus Jobcentern bereits im Jahr 2009 eine Bundestagspetition starteten und einen Gründungszuschuss für ALG2-Empfänger forderten: Neun Monate ALG2-Anspruch plus 300 Euro (dafür hätten die Arbeitslosen dann selbst für ihre Sozialversicherung aufkommen müssen) ohne Anrechnung des erzielten Gewinns und vor allem ohne die damit verbundene Bürokratie. Ein Vorschlag aus der Praxis, der damals leider viel zu wenig Beachtung fand.

Sieben Hauptkritikpunkte an Hartz IV

Sieben Hauptkritikpunkte an Hartz IV hat das ifo-Institut bei seiner gestern veröffentlichten Analyse „Raus aus der Niedrigeinkommensfalle - Der ifo-Vorschlag zur Reform des Grundsicherungssystems“ unterschieden. Derartige Kriterien eignen sich gut zum Vergleich der verschiedenen Reformvorschläge von SPD, CDU, Bundesagentur für Arbeit und ifo-Institut. Ich habe sie wie folgt (leicht) abgewandelt:

  1. Höhe der Leistung
  2. Stigmatisierung durch Gang zum Amt
  3. Fehlende Anerkennung der Lebensleistung: Unabhängigkeit der gewährten Leistungen von der bisherigen Erwerbsbiographie der Empfänger und zu geringes „Schonvermögen“
  4. Unangemessen harsche Sanktionen bzw. Leistungskürzungen
  5. Mangelnde Erwerbsanreize wegen hoher Transferentzugsraten
  6. Mangelnde Anreize zur Qualifikation
  7. (Über-)Komplexität des Sozialsystems insgesamt

Hier kann man mehr über die Positionen von CDU, SPD und Bundesagentur für Arbdeit erfahren

Bevor ich anhand dieser Kriterien die verschiedenen Reformvorschläge vergleiche, möchte ich transparent machen, auf welche Quellen ich mich beziehe.

Die SPD will mit ihrer „Sozialstaatsreform 2025“ die „Agenda 2010“ überwinden, die sie trotz ihres objektiven Erfolges häufig als Fluch erlebt hat. Das Konzept ist in dem Papier „Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“ beschrieben. Mit der gewählten Jahreszahl weist die SPD über die jetzige Legislaturperiode hinaus: Bei regulären Neuwahlen würde die nächste Legislaturperiode von Ende 2021 bis Ende 2025 dauern.

Es geht in dem Papier vor allem, aber nicht nur um Hartz IV. So fordert die SPD eine perspektivischen Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, eine höhere Tarifbindung (u.a. durch eine steuerliche Besserstellung von tarifgebundenen Unternehmen!) und ein „Recht auf mobiles Arbeiten (Home-office)“.

Auch auf die Altersvorsorge-Pflicht für Selbstständige und die Statusfeststellung geht das Dokument ein. Immerhin erkennt es an, dass der Selbstständigkeits-Status vor der Tätigkeitsaufnahme klar, sprich vorhersehbar sein sollte: „Die Feststellung, ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig ist (Statusfeststellung), ist ein zentraler Hebel, um Scheinselbständigkeit zu verhindern und Transparenz über soziale und Arbeitsschutzrechte herzustellen. Sie muss einzelfallbezogen bleiben, um Einzelfallgerechtigkeit zu ermöglichen. Sowohl Unternehmen als auch Beschäftigte müssen aber früh Klarheit über den Erwerbstatus bekommen und zwar vor der eigentlichen Tätigkeitsaufnahme. Dies ist gerade für Solo-Selbständige besonders wichtig. Daher soll das selbst gewünschte Statusfeststellungsverfahren beschleunigt werden.“

Unionsseitig hat sich insbesondere MdB Kai Whittaker (für die CDU im Ausschuss für Arbeit und Soziales) mit einem Beitrag/Pressemeldung und einer Rede im Bundestag zu Wort gemeldet, nachdem am Montag letzter Woche offenbar ein Fachgespräch der Union mit Wissenschaftlern, Richtern und Praktikern aus Jobcentern stattgefunden hatte.

Was die Position der Bundesagentur für Arbeit (BA) betrifft, beziehe ich mich auf zwei interne Papiere, deren Inhalte durch einen Bericht des Spiegel öffentlich wurden.

1. Höhe der Leistung 

Über wie viel Geld reden wir eigentlich beim ALG2? – Der Regelsatz für die erste erwachsene Person in einem Haushalt beträgt Stand 2019 424 Euro/Monat. Hinzu kommen Krankenkassen-Beiträge, ein Mietzuschuss sowie einige Vergünstigungen (GEZ, ÖPNV) und unregelmäßige Leistungen, die man auf Antrag erhalten kann. Der durchschnittliche Leistungsumfang beträgt laut ifo in Summe 745 Euro/Monat. Dieser Betrag erhöht sich u.U. noch um Wohngeld und Kinderzuschlag.

Das Niveau ist bewusst niedrig gewählt und liegt insbesondere bei Singles deutlich unter 60 Prozent des Medianeinkommens. Darunter spricht man von „Armutsgefährdung“. Es soll das Existenzminimum sichern, aber das „Lohnabstandsgebot“ nicht verletzen. Wer arbeitet, soll mehr – nicht weniger – Geld verdienen. Im internationalen Vergleich liegt das deutsche Grundsicherungsniveau laut ifo-Institut vergleichsweise hoch. Die Höhe wird nach wissenschaftlichen Methoden ermittelt.

Weder die SPD noch die Union fordert eine Erhöhung des ALG2-Regelsatzes oder eine Änderung des Verfahrens mit dem es ermittelt wird. Man könnte aber argumentieren, dass die SPD mit der Erhöhung des Mindestlohns einen ausreichenden Lohnabstand überhaupt erst schaffen möchte. Die Bundesagentur für Arbeit möchte den Regelsatz lieber etwas großzügiger gestalten und statt dessen auf individuelle Mehrbedarfe verzichten ohne jemand schlechter zu stellen (vgl. 7). Das ifo-Institut will ein höheres Einkommen dadurch erreichen, dass den ALG2-Beziehern mehr von ihrem Zuverdienst bleibt (vgl. 5).

 

2. Stigmatisierung durch Gang zum Amt 

Als ALG2-Bezieher zu gelten ist für viele ein Stigma, weshalb viele die ihnen zustehende Leistung nicht in Anspruch nehmen. Die SPD möchte das Arbeitslosengeld 2 deshalb in „Bürgergeld“ umbenennen. Da das Bürgergeld auch weiterhin mit der Verpflichtung zur Arbeitssuche bzw. -annahme verbunden ist, stellt es kein bedingungsloses Grundeinkommen dar. Durch die Aufweichung von Bedingungen und Sanktionen entwickelt die SPD es allerdings ein Stück weit in diese Richtung.

Das Ifo-Institut möchte das Stigma dagegen reduzieren, indem es den Gang zum Amt überflüssig macht. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und Verknüpfung der Daten könnte zu einer automatischen Berechnung und Auszahlung der Ansprüche an alle Berechtigte führen.

3. Fehlende Anerkennung der Lebensleistung

Die SPD möchte die Lebensleistung dadurch honorieren, dass sie älteren Arbeitslosen bis zu drei (statt bisher zwei) Jahre Arbeitslosengeld I zahlt.

Die Bundesagentur für Arbeit sieht das kritisch, denn empirische Erfahrungen würden zeigen, dass ein Teil der Arbeitslosen dann mit der Suche oder Annahme einer neuen Arbeit länger warte. Das sei nicht nur teuer, sondern auch schädlich für die Vermittlungschancen dieser Arbeitslosen. Die BA würde deshalb lieber beim ALG2 Aufschläge zahlen an Menschen, die vor ihrer Arbeitslosigkeit lange berufstätig waren, ein Modell, das eher an die frühere Arbeitslosenhilfe erinnert.

Was die Ersparnisse und die ggf. erworbene Eigentumswohnung betrifft, will die SPD ALG2-Beziehern zwei Jahre lang eine Schutzzeit für die Heranziehung von Vermögen und die Überprüfung der Wohnungsgröße bieten.

MdB Kai Whittaker sieht diesen Vorschlag kritisch, weil dies die Arbeitslosigkeit tendenziell verlängern und verfestigen würden, räumt aber ein, die „Regelungen zum berücksichtigenden Vermögen und Einkommen müssen genau unter die Lupe genommen werden“.

Das Ifo-Institut wird konkreter und schlägt vor, für jede Person in der Bedarfsgemeinschaft das Schonvermögen um 150 Euro je Erwerbsjahr (egal ob in abhängiger oder selbstständiger Tätigkeit) zu erhöhen. Das entspricht einer Erhöhung des Schonvermögens um 7.500 Euro für einen 50-jährigen.

Selbstständige, die privat für ihr Alter vorgesorgt haben, sind hier wie schon bei der bisherigen Regelung gegenüber DRV-Versicherten im Nachteil, weil DRV-Ansprüche im Gegensatz zur privaten Altersvorsorge nicht aufgelöst werden müssen bzw. nicht zum Schonvermögen zählen.

4. Angemessenheit von Sanktionen bzw. Leistungskürzungen

Durch Sanktionen können Leistungen wie oben bereits erwähnt um bis zu 30 Prozent gekürzt, im Extremfall sogar ganz gestrichen werden.

Die SPD fordert die weitgehende Abschaffung solcher Sanktionen. An deren Stelle sollen „Anreize, gezielte Hilfen und Ermutigung“ treten.

Die Bundesagentur für Arbeit möchte Sanktionen dagegen grundsätzlich beibehalten, sie benötige sie für einen bestimmten, kleinen Teil der Arbeitslosen. Abschaffen will sie aber die besonders strengen Sanktionen für unter 25-Jährige. Außerdem will sie niemals das Geld für die Warmmiete streichen, da sonst Obdachlosigkeit und ein weiteres Abrutschen drohten.

5. Mangelnde Erwerbsanreize wegen hoher Transferentzugsraten

Während die SPD sich zu den hohen Transferentzugsraten nicht äußert, sieht das Ifo-Institut die mangelnden Erwerbsanreize als Hauptproblem. Wie gesagt dürfen ALG2-Empfänger von ihrem 100 Euro übersteigenden Zuverdienst maximal 10 bis 20 Prozent behalten. Das ifo schlägt statt dessen vor, den Beziehern von dem 630 Euro/Monat übersteigenden Einkommen künftig 40 Prozent zu belassen.

Unterhalb von 630 Euro/Kopf soll bei Bedarfsgemeinschaften ohne Kinder das Einkommen künftig allerdings komplett verrechnet werden. Ziel ist, dass Kinderlose einen starken Anreiz erhalten, existenzsichernde Beschäftigung im Umfang von mindestens rund 30 Stunden annehmen, statt sich auf Kleinst- und Minijobs zu beschränken. Damit will das ifo auch der von ihm gesehenen Gefahr begegnen, dass Kleinstbeschäftigungsverhältnisse in Höhe der bisher anrechnungsfreien 100 Euro pro Monat mit Schwarzarbeit kombiniert werden.

Bei Haushalten mit Kindern ist das ifo etwas großzügiger, weil hier die Hürden höher sind, eine Vollzeit-Beschäftigung anzunehmen. Es schlägt vor, hier den Freibetrag von 100 Euro zu belassen, bis 630 Euro/Monat dann 20 Prozent, darüber 40 Prozent des zusätzlichen Einkommens zu belassen.

Auch die CDU möchte Anreize für geringfügige Beschäftigung (die Rede ist von bis zu 200 Euro) eher reduzieren, darüber sollen die Anreize dagegen erhöht werden.

6. Mangelnde Anreize zur Qualifikation

Hier gibt es durchaus Schnittmengen zwischen den verschiedenen Reformvorschlägen:

Die SPD fordert einen Bonus auf die Grundsicherung für ALG2-Empfänger, die sich weiterbilden. Außerdem will sie ein Recht auf das Nachholen einer Berufsausbildung einführen.

Auch die Bundesagentur für Arbeit möchte ALG2-Empfänger durch einen Aufschlag auf den Regelsatz belohnen, die eine zusätzliche Qualifikation erwerben. Betroffene brechen offenbar immer wieder Ausbildungen ab, um als Ungelernte zu arbeiten, weil sie auf diese Weise ein höheres Einkommen erzielen. Außerdem würde die BA statt bisher maximal zwei Jahren künftig gerne bis zu drei Jahre Weiterbildung fördern dürfen.

Und auch die CDU möchte mit einem Bonus während der gesamten Ausbildungszeit Anreize für eine Berufsausbildung setzen. MdB Whittaker möchte unter 40-Jährige sogar dazu verpflichten, eine Berufsausbildung in Angriff zu nehmen. Jugendliche unter 25 Jahren müssten aus einer Hand und am “ersten Tag“ im Jobcenter ein Ausbildungs-, Weiterbildungsangebot erhalten. Jedem zweiten ALG2-Empfänger mangle es an Sprachkenntnissen oder einer Berufsausbildung.

7. (Über-)Komplexität des Sozialsystems insgesamt

Auch hier verzichtet die SPD auf eigene Vorschläge, während die Bundesagentur für Arbeit offenbar einen Bürokratieabbau für einen wichtigen Teil der Lösung hält. So schlägt die BA eine Reduzierung von der bestehenden sechs unterschiedlichen auf nur noch zwei Regelsätze vor. Durch einen großzügigeren Regelsatz soll die Berechnung von Mehrbedarfen für Alleinerziehende oder besondere Ernährung entfallen können, ohne dass jemand schlechter gestellt wird als bisher. Pauschalen für Heiz- und Wohnkosten sollen sich nach regionalen Wohngeld-Tabellen richten. Auch die internen Budgetrichtlinien und Förderprogramme sollen reformiert werden, um Fehlanreize zu vermeiden.

Die CDU orientiert sich offenbar bei vielen Forderungen an der BA: Sie möchte die Leistungen stärker pauschal berechnen, statt auf Basis individueller Bedarfe. Die Bescheide sollen in einfacher Sprache verständlich formuliert werden und alle Leistungen und Angebote digital nutzbar sein.

Die bisher durch die komplizierten Berechnungen und den Streit darüber gebundenen Mitarbeiter sollen in die Betreuung wechseln und dazu beitragen, den Betreuungsschlüssel zu verbessern: Momentan kommen auf einen Betreuer 128 ALG2-Empfänger! Zudem müssten die Jobcenter bei der Verwendung ihrer Mittel mehr Entscheidungsfreiheit erhalten.

Das Ifo-Institut kritisiert, dass die für die Betroffenen maßgeblichen Leistungen ALG2, Wohngeld und Kinderzuschlag der Zuständigkeit unterschiedlicher Ministerien unterliegen und nicht aufeinander abgestimmt sind. Eine Abstimmung aufeinander sei dringend erforderlich, damit Mehrarbeit endlich auch für ALG2-Empfänger zu einem Mehreinkommen führe.

Fazit: So könnte das künftige ALG2 bzw. Bürgergeld aussehen

14 Jahre nach Einführung des Arbeitslosengeld 2 scheint die Zeit für eine Reform gekommen zu sein. Mit einer Umbenennung – etwa in „Bürgergeld“ – könnte man einen Neuanfang signalisieren, wenn er mit substanziellen Verbesserungen verbunden ist.

Ein ausreichender „Lohnabstand“ muss dabei erhalten bleiben bzw. eher an einer Verbesserung der Lohnhöhe im Niedriglohnbereich gearbeitet werden. Wer als ALG2-Empfänger erwerbstätig wird, muss aber auch mehr verdienen, keinesfalls darf er weniger verdienen. Deshalb müssen ALG2, Wohngeld und Kinderzuschlag aufeinander abgestimmt werden und vom Hinzuverdienst muss ein deutlich größerer Anteil beim Erwerbstätigen verbleiben.

Die Erhöhung des Anteils, der beim Erwerbstätigen verbleibt, wird von den Regierungsparteien und von der Bundesagentur für Arbeit bisher nicht diskutiert, ist aber  der Kern des ifo-Reformvorschlags und würde nach dessen Simulationsrechnung zu einem deutlich höheren Einkommen insbesondere von Bedarfsgemeinschaften mit Kindern führen, die Einkommensungleichheit im Land reduzieren, den Staatshaushalt leicht entlasten und zu 216.000 zusätzlichen Vollzeitstellen führen, also die Erwerbstätigkeit in Deutschland erhöhen.

Bei der Berechnung der Leistung könnte die Vision eine automatische Ermittlung und Auszahlung der Ansprüche an alle Berechtigte ähnlich einer negativen Steuer sein – womit man eine Kernidee der Bürgerversicherung aufgreifen würde. Allerdings sind wir skeptisch, dass dieses Ziel erreichbar ist, da für Transferzahlungen in der Regel mehr Informationen und auch zeitnäher benötigt werden als für die Berechnung von Steuern. Auch besteht die Gefahr, dass dann das „Fordern und fördern“ entfallen würde. Vielleicht benötigt ein Teil der Betroffenen aber gerade mehr Förderung und Betreuung – und nicht nur mehr Geld.

Selbstständige ALG2-Bezieher fair behandeln

Wer sich als ALG2-Empfänger selbstständig betätigt, sollte Betriebsausgaben entsprechend der steuerlichen Regelungen absetzen können und keine Parallelbuchhaltung für das Jobcenter durchführen müssen. Nach der Gründung sollte wie beim Gründungszuschuss neun Monate lang auf eine Anrechnung des ALG2 verzichtet werden, damit der finanzielle und gedankliche Spielraum zum Aufbau der Selbstständigkeit besteht und nicht durch die Bürokratie erstickt wird.

Durch einen etwas großzügigeren Regelsatz könnte die Berechnung von Mehrbedarfen entfallen, durch Pauschalierungen könnten die Berechnung des ALG2 vereinfacht werden und viele bisher zur Ermittlung der Höhe gebundene Mitarbeiter freigesetzt werden, um eine intensivere Betreuung der Betroffenen zu erreichen. Wer sich qualifiziert oder eine Berufsausbildung nachholt, sollte einen Bonus erhalten. Auch über weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Vermittelbarkeit, z.B. durch Sprachkurse, sollte vergleichsweise schnell Konsens zu erzielen sein.

Auf Sanktionen sollte nicht grundsätzlich verzichtet werden, aber sie müssen mit Augenmaß dort angewendet werden, wo sie wirklich nötig erscheinen. Die besonders strengen Sanktionen für unter 25-Jährige haben sich nicht bewährt. Das Geld für die Warmmiete sollte nicht Teil der Sanktionen sein, da sonst Obdachlosigkeit und ein weiteres Abrutschen droht.

Die von der SPD geforderte Verlängerung des ALG1 für Ältere scheint nach den Erfahrungen der BA eher kontraproduktiv zu sein und für Vorruhestandsregelungen genutzt werden. Ein schnelles Abrutschen in den ALG2-Bezug könnte eher durch Aufschläge auf das ALG2 (analog zur früheren Arbeitslosenhilfe) und vor allem ein höheres Schonvermögen abgemildert werden. Dabei sollte bei Selbstständigen stärker berücksichtigt werden, dass sie i.d.R. privat vorgesorgt haben und durch das erzwungene Aufbrauchen ihrer Altersvorsorge gegenüber Angestellten, die in die DRV einbezahlt haben, schlechter gestellt werden.

Generell sollte es den Arbeitsagenturen und Jobcentern ermöglicht werden, ihre eigenen Ideen zur Entbürokratisierung und besseren Förderung der ALG2-Empfänger umzusetzen und schneller zu reagieren, wenn Programme falsche Anreize setzen oder durch die Richtlinien für die Budgetvergabe erfolgreiche Agenturen benachteiligt werden.

Lasst eure Meinung in unsere Position zum Thema einfließen!

Wir haben die Reformvorschläge von SPD, CDU, BA und ifo in diesem Beitrag verglichen und bewertet. Wir haben uns mit dem Thema in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt, waren aber selbst nie betroffen. Um so mehr freuen wir uns auf eure Kommentare zu unserem Beitrag, auch und gerade, wenn ihr selbst einmal ALG2 erhalten oder privat oder beruflich mit Betroffenen zu tun habt.

Hintergrund ist, dass wir als Verband unsere Vorstellungen zur Zukunft von Hartz IV einbringen und konstruktive Vorschläge machen müssen, um insbesondere die Perspektiven von Selbstständigen zu verbessern, die ALG2 beziehen. Deshalb wollen wir unsere Überlegungen mit euch abstimmen. Also lasst uns gerne eure Meinung dazu wissen!

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