Wir haben mit Marcus Pohl, Selbstständiger und Vorstand der ISDV, Interessengemeinschaft der Dienstleister*innen in der Veranstaltungswirtschaft, gesprochen. Dabei geht es um sein Engagement für die ISDV, die Möglichkeiten, auf seine Branche aufmerksam zu machen - vor allem in der aktuellen Krise - und nicht zuletzt um seine eigene Selbstständigkeit. Gerade die Veranstaltungsbranche ist in der Coronakrise hart getroffen worden. Nahezu alle Mitglieder haben seit Mai dieses Jahres keine Aufträge mehr, erzählt uns Marcus im Interview. Wie es weiter geht? Unklar. Man stelle sich auf Sommer 2021 oder eventuell auch sogar 2022 ein, so Marcus.
VGSD: Hallo Marcus, stell dich doch bitte einmal kurz vor. Was machst du beruflich?
Marcus: Ich bin Diplom Sound Engineer (SAE) und arbeite als Production- und Tourmanager für internationale Künstler. Dabei begleite ich die Künstler weltweit. Meine Aufgabe als Productionmanager ist es, die gesamte technische, logistische und personalseitige Planung und Durchführung der Konzerte meines Kunden vorzunehmen und im Sinne meines Kunden die Konzerte budgetär und vertragsinhaltlich zu überwachen.
Als Tourmanager bin ich verantwortlich für den reibungslosen Ablauf aller Termine meines Auftraggebers - seien es Pressekonferenzen, Fototermine, Auftritte bei TV-Shows, Konzerte oder Tourneen. Ich treffe dazu Absprachen mit den jeweiligen Gegenstellen, stehe als Kommunikations-Stopper vor meinem Kunden und sorge für eine komfortable und zügige Reise. Seit 1994 bin ich selbstständig.
VGSD: Warum hast du dich für die Selbstständigkeit entschieden?
Marcus: Ich habe neben meinem Elektrotechnikstudium, das ich nach der Schule angefangen hatte, angestellt bei einem Autovermieter gearbeitet. Dabei ist mir im Laufe der Zeit klar geworden, dass „einen Chef zu haben“ nicht so wirklich meine Welt ist. Also habe ich parallel andere Möglichkeiten gesucht. Zur Musik hatte ich schon seit meinem 8. Lebensjahr eine enge Beziehung. Ein ehemaliger Mitschüler arbeitet für eine Stagehand-Firma in Hannover. Diese Firma hat damals Selbstständige und freie Mitarbeiter für den Auf- und Abbau von Konzerten vermittelt. Dafür braucht man damals noch einen Gewerbeschein, um mitmachen zu können. Heute ist das anders. Ich besorgte mir also flugs einen Gewerbeschein - und los ging es. Trotz allen Wahnsinns, dem man als Selbständiger so ausgesetzt ist, habe ich es nie bereut.
Mit "Einer müsste mal..." hat alles angefangen
VGSD: Stelle bitte einmal die ISDV vor.
Marcus: Die ISDV ist die Interessengemeinschaft der selbständigen Dienstleister*innen in der Veranstaltungswirtschaft e.V. Der Berufsverband der Branche. In unserer Veranstaltungsbranche findet seit 2000 ein ziemlicher Strukturwandel statt. Es gibt seit 1999 den Ausbildungsberuf zum/zur Veranstaltungstechniker/-in. Das führte dazu, dass Menschen mit anderen Erwartungen an den Job in die Branche strömen. Das Empfinden von Ungerechtigkeiten nahm seitdem stetig zu, es wurden immer mehr Gesetze erlassen, die unsere Arbeit einschränkten oder verkomplizierten.
Da irgendwann immer wieder gesagt wurde: „Einer müsste mal….“, habe ich Ende 2014 ein paar Kollegen angerufen und gefragt, ob wir uns dazu nicht mal besprechen wollen. Das taten wird dann auch. Im Februar 2015 stand die ISDV.
Seitdem arbeiten wir an Themen des Bereiches Arbeit & Soziales für Selbständige und versuchen, festere Strukturen der Verbändelandschaft, mehr Einheit und eine Gesamtvertretung der Branche zu erreichen. Den Rücken stärken uns die knapp 1200 Mitglieder der ISDV, in deren Auftrag wir das alles machen.
VGSD: Wer sind eure Mitglieder?
Marcus: Wir haben drei Mitgliedergruppen. Ordentliche Mitglieder, das sind in erster Linie Soloselbständige, aber auch viele GbR und e.K. Diese Gruppe macht ca. 90% unserer Mitglieder aus. Zudem haben wir Fördermitglieder, das sind alle juristischen Personen. Sie stellen ca. 9% dar. Die dritte Gruppe bilden die angeschlossenen Mitglieder. Sie sind Angestellte von Firmen und Auszubildende und gleichzeitig unsere kleinste Gruppe mit einem Prozent.
Appell an die Politik: Ihr braucht uns
VGSD: Wie geht es euren Mitgliedern in der Coronakrise?
Marcus: Ohne Arbeit geht es niemandem gut. Im Februar haben die ersten Mitglieder Absagen für Jobs erhalten. Im März waren es dann schon die meisten - und seit Mai hat kaum mehr jemand Arbeit, die ansatzweise vertretbar bezahlt wird.
Unsere Branche liegt am Boden. Es gibt keine Perspektive, wann überhaupt wieder Veranstaltungen möglich sein werden. Dieses Jahr sicher nicht mehr. Wir stellen uns alle auf Sommer 2021 ein, eventuell sogar erst 2022.
Die Leute leben von ihren Ersparnissen. Die meisten haben weder die Soforthilfe erhalten oder müssen damit rechnen, sie zurückzuzahlen, noch bekommen sie Überbrückungshilfe. Das liegt in erster Linie daran, das Soloselbständige kaum betriebliche Kosten zu stemmen haben. Und nur dafür sind die Hilfen zugelassen.
Die Grundsicherung ist aufgrund zu hoher Rücklagen oder aufgrund einer Bedarfsgemeinschaft nicht erreichbar. Zudem sehe ich hier die Gefahr, dass viele, die einmal im Grundsicherungssystem eingebunden sind, es sehr schwer haben werden, dort wieder raus zu kommen.
Die Ignoranz der Regierung in Bezug auf die Veranstaltungswirtschaft ist ein weiteres großes Problem für unsere Mitglieder. Sie fühlen sich abgehängt, herabgesetzt, schlecht behandelt. Dabei leben gerade Politiker sehr stark von der Arbeit, die wir für sie tun. Ohne uns wäre niemand zu hören, niemand zu sehen, niemand auf einer Bühne, niemand könnte Canapés essen oder Sektchen schlürfen. Es würden keine Blumen überreicht werden und Chauffeure wären auch rar. Das sind nur einige wenige Beispiele.
Kurz gesagt: Unseren Mitgliedern geht es in der Coronakrise sehr schlecht.
Engagement während der Krise
VGSD: Was habt ihr als Verband in der Krise unternommen?
Marcus: Zunächst haben wir uns natürlich mit etlichen Schreiben, Telefonaten und Videokonferenzen mit den politischen Entscheidern auseinandergesetzt. Herr Altmaier, aber auch Herr Scholz und Herr Heil haben dabei so ziemlich alles ignoriert. Zurück kamen Formschreiben mit Textbausteinen. Wir haben alle Infos zu den Hilfspaketen zusammengestellt und darüber informiert und haben uns im Rahmen der Interessengemeinschaft der Veranstaltungswirtschaft (IGVW), eine Art Gesamtverband der Verbände der Veranstaltungswirtschaft, in über 50 Online-Meetings eng abgestimmt und ein einheitliches Wording sowie Forderungen formuliert. Das hat die Gesamtschlagkraft der Verbände erhöht.
Aktuell unterstützen wir Demonstrationen im ganzen Land, reden auf den Kundgebungen und werben für mehr Engagement der Branche.
Der Austausch untereinander und das Erleben, dass die anderen noch da sind, ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Das jeder selber losrennt und für sich Dinge regelt, ist die DNA der Selbständigen. Dies hilft aber nicht im politischen Umfeld. Es ist so schon sehr schwer, Gehör zu bekommen, und je zerteilter eine Branche ist, desto weniger greifbar ist sie für Politiker.
VGSD: Waren die ergriffenen Maßnahmen erfolgreich?
Marcus: Ja, das waren sie - und sie werden immer erfolgreicher. Nichts geht über Nacht. Aber die Politik kommt langsam nicht mehr drum herum mit unseren Branchenvertretern zu sprechen.
Das flexibelste Teilchen am Arbeitsmarkt
VGSD: Wie geht es dir persönlich in der Krise?
Marcus: Meine Firma hat alle Aufträge für 2020 verloren. Sie sind mittlerweile ins Jahr 2022 verschoben. Mein zweites Standbein im Bereich Buchhaltung und Firmenadministration muss umgewandelt werden. Bislang haben wir uns auf Dienstleister der Kultur- und Kreativwirtschaft konzentriert. Jetzt müssen wir neue Märkte erschließen, um überleben zu können. Das hat natürlich auch Chancen, fühlt sich aber wie ein kompletter Neustart an.
Als Selbständiger bin ich immer das flexibelste Teilchen am Markt. Ich kann grenzenlos alles machen und starten wonach mir der Sinn steht. Es wird weitergehen. Nicht wie gewohnt, aber weitergehen.
VGSD: Was ziehst du für ein Fazit aus der Krise und der Reaktion der Politik darauf?
Marcus: Selbständige sind eine Spezies, mit der unsere aktuelle Regierung nicht umgehen kann oder will. Die Krise zeigt deutlich die Vernachlässigungen der letzten 50 Jahre in der Inklusion von Selbständigen in die Arbeitswelt und ebenso in die Gesellschaft. Zum Teil sicher auch gerne akzeptiert von den Selbständigen. Man ist eben sein eigener Herr oder seine eigene Frau und kann sich selbst um Dinge kümmern.
Eine solche weltumspannende Krise zeigt aber doch deutlich, dass etwas mehr Integration und Integrationsbereitschaft an verschiedenen Stellen durchaus gut ist. Nicht zuletzt auch im politischen Feld. Wer nicht sagt, was er oder sie braucht, wird in den Entscheidungsprozessen übergangen.
#WirGemeinsamJetzt
VGSD: Gibt es noch etwas, das du gerne sagen würdest?
Marcus: Liebe Selbständige im ganzen Land in allen Branchen: Schließt euch bitte einem der 27 Verbände der BAGSV an und stärkt so die Stimme der Selbständigen. Neben den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften müssen die Selbständigen als dritte Kraft im Politikgeschehen etabliert werden. Über 100.000 sind bereits durch die BAGSV vertreten. Wir sind aber über 4 Millionen. Also werdet Mitglied in einem der BAGSV-Verbände und macht es so möglich, dass die Zukunft der Selbständigen gesichert und verbessert wird.
#WirGemeinsamJetzt
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