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IT-Berater als selbstständig eingestuft Lichtblick-Urteil aus Baden-Württemberg für Solo-Selbstständige

Immer wieder stehen IT-Experten vor dem Problem, dass ihre Projekttätigkeiten für Unternehmen als Scheinselbstständigkeit behandelt werden. Ein Senat am Landessozialgericht Stuttgart hat anders geurteilt – steht damit aber wohl alleine da.

Lichtblick für Solo-Selbstständige: Arbeiten im Scrum-Prozess muss nicht Scheinselbstständigkeit bedeuten, sagt ein Senat des LSG Stuttgart

Ein Softwareentwickler ist für sechs Monate in einem Projekt für ein IT-Unternehmen tätig, das wiederum Software für ein anderes Unternehmen erstellt. In den Verträgen ist unter anderem die Entwicklung im "Scrum"-Prozess festgelegt. Bei Scrum-Prozessen gibt es keinen detailliert aufbereiteten Projektplan. Die Anforderungen werden im Laufe des Projekts immer wieder verfeinert und angepasst. Dabei entstehen oft Probleme mit Scheinselbstständigkeit: Die notwendigen zahlreichen Meetings und Absprachen werden von der Deutschen Rentenversicherung als Indiz dafür gewertet, dass der beauftragte IT-Experte weisungsgebunden und in die Unternehmensstruktur integriert ist.

IT-Berater bekommt in zweiter Instanz recht

So passierte es auch zunächst im Fall des Softwareentwicklers: Er beantragte die Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status und wurde als abhängig Beschäftigter klassifiziert. Das Sozialgericht Karlsruhe bestätigte die Entscheidung.

Der achte Senat des Landessozialgerichts Stuttgart kam zu einem anderen Urteil: In seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2021 gab das Gericht dem IT-Berater recht, der sich gegen die Statusfeststellung als sozialversicherungspflichtig Beschäftigter gewehrt hatte. Der IT-Experte sei selbstständig tätig gewesen, urteilte das Gericht.

Arbeit in Räumen des Auftraggebers notwendig

Dabei störte die Richter nicht einmal, dass der Kläger in den Räumen des Auftraggebers gearbeitet hatte. Dies sei "sicherheitstechnischen Gegebenheiten geschuldet" gewesen, schreiben sie in der Urteilsbegründung. Auffällig ist, wie sehr die Richter zeigen, dass sie auf die konkreten Umstände und die Entwicklungen der digitalen Arbeitswelt eingehen. Dass der Kläger nicht habe remote arbeiten können, sei bei "sicherheitsrelevanten Arbeiten an Datenstrukturen im Unternehmensbereich üblich und aus Sicherheitsgründen oftmals unumgänglich", heißt es da beispielsweise.

Die Richter sahen zahlreiche Punkte, die für eine Selbstständigkeit des Klägers sprachen: Er konnte sich seine Arbeitspakete selbst aussuchen. Er unterlag keiner zeitlichen Anwesenheitspflicht bei seinem Auftraggeber. Seine Tätigkeiten seien von denen der fest angestellten Programmierer klar abgrenzbar. Er erhielt wegen seiner Spezialkenntnisse einen deutlich höheren Stundensatz als die angestellten Programmierer.

"Fortentwicklung an die Gegebenheiten der modernen Arbeitswelt"

Den Scrum-Prozess bewertete das Gericht so: Es gebe keine Projektleitung, die "fortwährend die Aufgaben an die Teammitglieder verteilt und deren Arbeit überwacht". Auch dass der Programmierer vor allem Arbeitspakete bearbeitete, die der Auftraggeber für ihn vorgesehen hatte, störte die Richter nicht: Der Kläger sei gerade wegen seiner Spezialkenntnisse beauftragt worden, die die angestellten Mitarbeitenden nicht hatten. 

Das Kriterium der Eingliederung sei deshalb bei solchen agilen Projekten "nicht ohne Weiteres passend".

Das unterscheidet sich von vielen anderen Entscheidungen. In diesen wird das arbeitsteilige Zusammenwirken der Scrum-Methode mit anderen Auftragnehmern oder Beschäftigten als Merkmal der abhängigen Beschäftigung gesehen. Dem stellt sich der achte Stuttgarter Senat nun entgegen – und geht sogar noch weiter: Er schreibt nämlich, das Kriterium der Eingliederung bedürfe "der Fortentwicklung an die Gegebenheiten der modernen Arbeitswelt".

Bringt das Urteil etwas in Bewegung?

Dieser Satz des Urteils liest sich wie eine Aufforderung an die Deutsche Rentenversicherung und an andere Gerichte, ihre Praxis zu überdenken. Denn eine allgemeine Auffassung spiegelt das Urteil nicht wider. Zwar ist es rechtskräftig, da die Revision ausgeschlossen wurde. Doch einer solchen hätte es wohl kaum standgehalten, sagt Hartmut Paul, Sozialversicherungsexperte in der Kanzlei jura-ratio in Berlin: "Vor dem Bundessozialgericht wäre das Urteil sicher aufgehoben worden, wenn eine Revision zugelassen worden wäre."

Das Urteil gebe nur die Auffassung des achten Senats in Stuttgart wieder. Andere Landessozialgerichte, und sogar andere Senate in Stuttgart verträten nicht diese liberale Haltung. Und vor allem: "Der bundesweit maßgebliche Senat des Bundessozialgerichts vertritt leider eine gegenteilige Meinung", sagt Paul. Hier werde bereits das Vorliegen eines Kettenverhältnisses, bei dem ein Unternehmen mit Freelancern arbeitet, um selbst Aufträge von Großkunden zu bedienen – so war auch der vorliegende Fall gestaltet – als schlagendes Indiz für eine abhängige Beschäftigung gewertet.

Dennoch: Vielleicht bringt das Urteil auf lange Sicht etwas in Bewegung? "Ich zitiere in meinen Verfahren das Urteil aus Stuttgart, in der Hoffnung, dass bei der Gerichtsbarkeit wieder mehr Augenmaß waltet und weniger Sozialpolitik", sagt Paul.

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