Gestern Abend (15.9.2022) wurde in Berlin der Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel 2022 verliehen. Bereits im Juni hatten wir euch die vier Nominierten vorgestellt (siehe unten): darunter VGSD-Mitglied David Erler. Der Countertenor aus Leipzig hatte im Frühjahr 2020 eine Petition für wirksame Corona-Hilfen gestartet und dafür 300.000 Mitzeichner mobilisiert. In der Folge hatte David unseren Verband bei unserer Bundestagspetition unterstützt und auch entscheidend zum Erfolg unserer Befragungen zu den Folgen der Corona-Krise für Selbstständige beigetragen.
Leider, leider blieb es bei der Nominierung von David, obwohl viele unserer Mitglieder die Daumen drückten, wie du an den Kommentaren unter diesem Beitrag sehen kannst: wir (Solo-)Selbstständigen haben David viel zu verdanken!
Inhaltsübersicht
- Der Fall von Marco Scheel: Seit 200 Jahre besiedelt, Umbau verboten
- Ein neuer Kreisrat machte Ende 2021 den Stallumbau dann doch möglich
- Kurzfilm über den Fall des Preisträgers
- Der Kampf gegen Bürokratie wird im Kopf der Beamten gewonnen
- Christa Weidner und Tim Wessels, die als VGSD-Mitglieder Bonhoff-Preis gewonnen hatten, waren auch gekommen
- Kampf für wirksame Corona-Hilfen: VGSD-Mitglied David Erler für Werner-Bonhoff-Preis 2022 nominiert
- Feierliche Preisverleihung am 15. September in Berlin
- Drei weitere Wettbewerber
- Bewirb dich für den Bonhoff-Preis 2023
Auch der nominierte Landwirt Markus Sailer und die Ärztin Kyra Ludwig gingen leer aus. Der Bonhoff-Preis ging stattdessen an Marco Scheel, einen Jungunternehmer aus Mecklenburg-Vorpommern, der Funktionskleidung aus Wolle von Pommernschafen produziert und dazu ein Stallgebäude sanieren und für seine Produktion nutzen wollte.
Die Besiedlung dort in Teplitz begann vor 200 Jahren. Inzwischen befindet sich der Ort jedoch im sogenannten Außenbereich, der vor Zersiedlung geschützt werden soll. Auch wenn es sich nur um einen Umbau handelte: Die Kreisrätin machte von ihrem Ermessensspielraum keinen Gebrauch, bot stattdessen Fördermittel an, um eine Ansiedlung im Gewerbegebiet der Kreisstadt Wismar zu erreichen. Das solle sich der damals 28-Jährige überlegen, sein bestehender Betrieb sei illegal und könne jederzeit – von einem Tag auf den anderen – geschlossen werden.
Scheel machte nach längerem Hin und Her seinem Ärger über die in seinen Augen unsinnige Verwaltungspraxis öffentlich Luft. Seine „Wutrede“ in der NDR-Nordreportage erreichte alleine bei YouTube 1,6 Millionen Zuschauer und löste eine bundesweite Debatte aus, viele erkannten sich im Textilunternehmer und in seinem Kampf gegen eine schablonenhafte Rechtsanwendung wieder.
Ende 2021 erhielt Scheel nach der Wahl eines neuen Kreisrats dann doch noch die Baugenehmigung für die geplante Umnutzung. Der neue Kreisrat (bei der Preisverleihung anwesend) ist selbst Unternehmer und stellte fest, dass die Rechtslage einen Umbau sehr wohl erlaubte (ausführlichen Fallbeschreibung der Bonhoff-Stiftung).
Die Preisverleihung fand in feierlichem Rahmen in der Landesvertretung des Freitstaats Bayern in Berlin statt. Nach dem musikalischen Einklang und einer kurzen Willkommensrede der Hausherrin (stellvertretend für den bayerischen Staatsminister Herrmann) begrüßte Professor Gunnar Folke Schuppert als Vorsitzender des Stiftungskuratoriums die Anwesenden. Nach der Vorstellung der Nominierten sowie des Gewinners (in Form des folgenden Kurzfilms) durch den Moderator Ingo Hoppe, einem rbb-Fernsehmoderator, war es erneut der für seinen trockenen Humor hochgeschätzte Professor Schuppe, der die Laudatio hielt.
Schuppe, selbst emeritierter Jura-Professor, fragte sich, wie es in Deutschland zu einer so unterschiedlichen Rechtsauslegung durch zwei Kreisräte kommen konnte. Er erklärte, dass der Kampf gegen Bürokratie nicht durch das Streichen einzelner Vorschriften zu erreichen sei, sondern nur in den Köpfen unserer Beamten, durch eine Kultur, die Mut macht, die Möglichkeiten des Gesetzes auch zu nutzen, um zu pragmatischen und sinnvollen Lösungen zu kommen. Er hob die Bedeutung einer effektiven Verwaltung hervor – bei all den Unterschieden, die es in der Verwaltungspraxis zwischen Berlin und Bayern so gäbe…
Die Preisverleihung erfolgte durch symbolische Übergabe eines Schecks über 50.000 Euro – der Bonhoff-Preis ist der höchstdotierte deutsche Wirtschaftspreis. Marco Scheel bedankte sich in einer kurzen Rede und berichtete, dass er sich mit seinem öffentlichen Auftreten in diversen Talksendungen in der Verwaltung nicht nur Freunde gemacht habe und die Beamten über vielfältige Möglichkeiten verfügten, ihn dies auch spüren zu lassen. Der Preis sei für ihn einerseits Anerkennung, andererseits Schmerzensgeld für die aufreibenden Erfahrungen. Er fühle sich "überkompensiert".
Sein Einsatz habe sich auf jeden Fall gelohnt und er freut sich natürlich sehr, dass er seine Bio-Wolle-Verarbeitung nun bald in einem 200 Jahre alten umgebauten Stall statt in einem anonymen Industriegebiet fortführen kann. Das vereinfacht das Leben seiner Mitarbeiter, die sonst jeden Tag über weite Strecken hätten pendeln müssen und bringt etwas mehr Leben aufs platte Land. Wir freuen uns mit Marco Scheel!
Christa Weidner und Tim Wessels, die als VGSD-Mitglieder Bonhoff-Preis gewonnen hatten, waren auch gekommen
Nach obenNach Zwangspause durch die Covid-Krise im Jahr 2020 war die Preisverleihung und die damit verbundene Feier ein Höhepunkt des Jahres, auf den wir uns alle schon lange freuten. Den VGSD vertraten Michaela Mocke und Lars Bösel von der Regionalgruppe Berlin sowie Andreas Lutz als Vertreter des Vorstands.
Es gab außerdem ein Wiedersehen mit Christa Weidner und Tim Wessels, den beiden VGSD-Mitgliedern, die 2013 und 2016 den Bonhoff-Preis erhalten hatten. Neben ihnen und David Erler war 2021 auch Vera Dietrich für den Preis nominiert gewesen.
Hinzu kamen zahlreiche Verbandsvertreter/innen aus der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände, zum Beispiel Mario Müller vom Bundesverband der Freien Musikschulen und seine neue Vorstandskollegin Sabine Langen (bdfm), Jana Riediger von der Initiative Kulturschaffender in Deutschland (IKiD), Michael Wörle vom IF-Handwerk, Ralf Lemster vom Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ), Sabine Koch vom Berufsverband der Kommunikationsdesigner (BDG) sowie Pamela Gräbe und Réné Lay vom Bundesverband deutscher Stuntleute (BdS).
Eigentlich war der Plan, von allen Fotos zu machen, aber im angeregten Gespräch ist das (wie es auch bei manchem unserer Regionaltreffen passiert) in Vergessenheit geraten. Die Bonhoff-Stiftung wird aber schon bald eigene Fotos der Feier veröffentlicht, auf der alle Gäste zu sehen sind.
Es ist übrigens ganz einfach, sich für den Bonhoff-Preis zu bewerben, wenn auch du zu denjenigen gehörst, die Widerstand gegen den §§-Dschungel leisten, ob im VGSD oder an anderer Stelle. Noch bis Ende des Jahres kannst du dich für das Folgejahr bewerben – vielleicht sehen wir uns dann nächstes Jahr in Berlin bei der Verleihung des Bonhoff-Preises 2023. Das würde uns freuen!
Kampf für wirksame Corona-Hilfen: VGSD-Mitglied David Erler für Werner-Bonhoff-Preis 2022 nominiert
Nach obenUnser aktives Mitglied David Erler wurde für den mit 50.000 Euro höchstdotierten deutschen Wirtschaftspreis nominiert. Seit 2006 wird der Werner-Bonhoff-Preis an Unternehmer/innen und Selbstständige vergeben, die gegen die überbordende Bürokratie in Deutschland ankämpfen und durch ihr Engagement über ihren eigenen, konkreten Fall hinaus Verbesserungen vorangebracht haben.
Verbesserungen voranbringen – das wollte auch VGSD-Mitglied David Erler. Wie viele Künstler und Solo-Selbstständige konnte der freiberufliche Sänger angesichts der Corona-Maßnahmen nicht arbeiten – und zunächst keine staatlichen Hilfen beanspruchen. Grund: Die von den Bundes- und Landesregierungen entwickelten Finanzhilfen und Unterstützungen konzentrierten sich im Wesentlichen auf Unternehmen mit Angestellten. Die schwierige Lage freiberuflicher Kunstschaffender und Soloselbstständiger aus anderen Branchen wurde dabei kaum berücksichtigt.
Gleich zu Beginn der Pandemie initiierte der Leipziger daher eine Online-Petition zur Unterstützung faktisch "arbeitslos" gewordener Künstler/innen, die durch die Veranstaltungsverbote direkt betroffen waren – und erweiterte diese schnell auch auf andere Branchen.
300.000 Unterstützer
Erler wurde zum Sprachrohr der Betroffenen und erhielt viel Zuspruch: In kurzer Zeit zeichneten bundesweit knapp 300.000 Unterstützer seine Petition (wir berichteten). Darin forderte er, dass auf die strikten beruflichen Einschränkungen der Bundesregierung mit besseren staatlichen Hilfen reagiert werden müsse, um die Folgen für Solo-Selbstständige wirksam abzufedern.
So durften etwa bei der vom Bund vergebenen Soforthilfe keinerlei "privaten" Kosten der Lebenshaltung bestritten werden, sondern nur laufende Betriebsausgaben, die Soloselbständige meist mangels Mitarbeiter oder separat angemieteter Räume gar nicht haben. Dadurch konnten gerade zu Beginn der Pandemie kaum Hilfen beantragt werden – oder mussten teilweise nachträglich wieder zurückgezahlt werden.
David ist aktives VGSD-Vereinsmitglied und hat seine fast 300.000 Mitzeichner unter anderem auf unsere Bundestagspetition sowie unsere Corona-Umfragen hingewiesen – und so entscheidend zu deren Erfolg beigetragen.
Zur ausführlichen Fallbeschreibung der Stiftung
Ob David Erler den begehrten Preis mit nach Hause nimmt, erfahren wir erst bei der Preisverleihung am 15.9.2022, die dieses Mal auf Einladung des Freistaats Bayern in dessen Landesvertretung beim Bund in Berlin stattfindet.
Eine Reihe aktiver VGSD-Mitglieder und viele Verbandskollegen aus der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV) werden wieder bei diesem Klassentreffen wehrhaft Selbstständiger dabei sein.
Bereits zwei VGSD-Preisträger
Sollte David Erler den Preis erhalten, wäre er bereits das dritte aktive VGSD-Mitglied, dessen Engagement für uns Selbstständige honoriert wird. Wir drücken die Daumen!
Bereits 2013 überzeugte IT-Unternehmer Tim Wessels mit seiner erfolgreichen Petition gegen einkommensunabhängige Mindestbeiträge in der Rentenversicherung die Jury. 2016 sicherte sich Christa Weidner den hochdotierten Preis mit ihrem erfolgreichen Kampf gegen unterstellte Scheinselbstständigkeit ihrer freien Mitarbeiter. VGSD-Mitglied und Mitarbeiterin Vera Dietrich war für ihren Kampf gegen Abmahnmissbrauch 2021 für den Preis nominiert.
Neben unserem Verbandsmitglied hat die Jury in diesem Jahr drei weitere Kandidaten für den Preis nominiert: Die Neurologin Dr. Kyra Ludwig aus Zittau, den Landwirt Michael Sailer aus dem bayerischen Tapfheim und den Woll-Unternehmer Marco Scheel aus Teplitz in Mecklenburg-Vorpommern.
Wollunternehmer kämpft für Umbau auf eigenem Boden
Marco Scheel
Jungunternehmer Marco Scheel ist erneut für den Preis nominiert (das war er schon einmal im letzten Jahr). Sein Unternehmen produziert in Teplitz (Mecklenburg-Vorpommern) nachhaltige Funktionskleidung aus Wolle von Pommernschafen. Um die Produktion auszuweiten, plante er, ein Stallgebäude auf seinem eigenen Grundstück – das sich im Außenbereich befindet – unter Erhaltung der Bausubstanz zu sanieren und für seine Produktion um zu nutzen.
Nachdem er jedoch mit seinem Vorhaben auf erhebliche Hürden in der Verwaltung stieß, machte Scheel seinem Ärger über die in seinen Augen unsinnige Verwaltungspraxis öffentlich Luft. Seine „Wutrede“ in der NDR-Nordreportage löste eine bundesweite Debatte aus, viele erkannten sich im Textilunternehmer und in seinem Kampf gegen eine schablonenhafte Rechtsanwendung wieder. Ende 2021 erhielt Scheel die Baugenehmigung für die geplante Umnutzung.
Zur ausführlichen Fallbeschreibung
Kassenärztin gegen Abrechnungswahnsinn
Kyra Ludwig
Die Neurologin Dr. Kyra Ludwig stritt mehrere Jahre lang mit der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS) über die Rechtmäßigkeit von Honorarrückforderungen der KVS in Höhe von insgesamt nahezu 250.000 Euro, was die Ärztin an den Rand ihrer Existenz brachte.
Mit ihrem Fall machte sie Missstände im Abrechnungswesen für Kassenärzte sichtbar. Budgetierungen, starre Zahlen und schablonenhafte Abrechnungsvorgaben von ärztlichen Leistungen stehen im Konflikt mit ärztlicher Fürsorge bei hohem Patientenaufkommen gerade im ländlichen Raum.
Zur ausführlichen Fallbeschreibung
Kunst statt Propaganda
Markus Sailer
Heftigen Streit gibt es zwischen dem Landwirt Michael Sailer und dem Landratsamt Donau-Ries. Grund ist ein Wandbild, das eine Künstlerin im Auftrag Sailers im Jahr 2020 an der Fassade seiner Getreidehalle anfertigte. Das Motiv zeigt links einen von Pferden gezogenen Pflug sowie rechts einen modernen Traktor. Aufgrund des Schriftzuges „Das schönste Wappen auf der Welt, das ist der Pflug im Ackerfeld“ ordnete das Landratsamt das Werk als „Propaganda“ ein und ordnete seine Beseitigung aus verkehrsrechtlichen Gründen an. Dagegen setzt sich Sailer nun gerichtlich zur Wehr.
Zur ausführlichen Fallbeschreibung
Bist auch du als Selbstständige/r in größerem Maße mit Bürokratie, Zwangsabgaben und Rechtsunsicherheit konfrontiert und setzt du dich aktiv dagegen zur Wehr?
Dann bewerbe dich schon jetzt (bis spätestens 31.12.2022) für den Bonhoff-Preis 2023 und dokumentiere dazu deinen Kampf mit der Bürokratie in der Fallsammlung der Bonhoff-Stiftung.
Oder engagiere dich aktiv für dein Anliegen im VGSD und schaffe so die Grundlage für deine Bewerbung. So bewirbst du dich bei der Bonhoff-Stiftung.
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