In Deutschland geht seit Jahren nicht nur die Zahl der realisierten Existenzgründungen zurück, sondern auch generell der Wunsch nach beruflicher Selbstständigkeit.
Wie eine aktuelle Analyse von KfW Research zum Thema Gründergeist zeigt, wären 2018 nur 25 Prozent der Erwerbsbevölkerung gerne ihr eigener Chef gewesen. Damit hat der Selbständigkeitswunsch hierzulande ein Rekordtief erreicht. Im Jahr 2000 lag der Anteil noch bei 45 Prozent, bevor er zunächst allmählich und nach der Finanzkrise dann deutlich zurückging.
Der Hauptgrund für die rückläufige Gründerzahl sei laut KfW der nun schon außergewöhnlich lange Aufschwung am Arbeitsmarkt. Eine Vielzahl von Beschäftigungsmöglichkeiten zu attraktiven Konditionen lassen die eigene berufliche Selbstständigkeit weniger verlockend erscheinen, so die Forscher.
Demographische Entwicklung und Finanzkrise reduzieren Gründungsneigung
Hinzu käme der schwindende Gründergeist, für den auch die demografische Entwicklung eine Rolle spielt: Mit steigendem Lebensalter nimmt aufgrund einer stärkeren familiären Gebundenheit und auch einer zunehmenden finanziellen Abhängigkeit von einem Arbeitgeber das Gründungsinteresse in der Regel ab. In einer im Trend alternden Gesellschaft wie Deutschland schlägt sich dies in kontinuierlich sinkendem Gründungsinteresse nieder.
Darüber hinaus habe offenbar die Finanzkrise die Einstellung der Menschen zur Selbstständigkeit negativ beeinflusst – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in zahlreichen europäischen Ländern und auch in den USA. Dabei dürfte die Angst vor dem Scheitern eine Rolle spielen, hinter der hauptsächlich die Sorge vor finanziellen Belastungen steckt, aber auch allgemeine Krisenängste. So wurde 2015 die Wirtschafts- und Finanzkrise global am zweithäufigsten als Grund für die Angst vor dem Scheitern genannt.
Gründungswunsch bei Unter-30-Jährigen in letzten zwei Jahren wieder stärker
Ein Lichtblick für den Gründergeist hierzulande sei deshalb die Entwicklung bei den Jüngeren. Ihr Selbstständigkeitswunsch wurde in den vergangenen beiden Jahren wieder stärker: Frei von Sachzwängen hätte sich 2018 gut jeder Dritte unter 30 für die berufliche Selbstständigkeit entschieden.
"Dass sich zuletzt die jüngere Generation wieder häufiger eine berufliche Selbständigkeit vorstellen kann, ist aber ein positives Zeichen. Diese Entwicklung sollte man stärken." sagt Dr. Georg Metzger, Gründungsexperte bei KfW Research. Auch das geringere Gründungsinteresse von Frauen sollte angeregt werden."
"Deutschland braucht mehr unternehmerischen Nachwuchs, um innovativ und international wettbewerbsfähig zu bleiben" fährt Metzger fort. "Und auch nicht zuletzt deshalb, weil in den kommenden Jahren tausende mittelständische Firmen zur Nachfolge anstehen. Wir können es uns nicht leisten, Erfolg versprechende Potenziale zu verschenken.“
VGSD: Gründungsfeindliche Gesetze und Schlechtreden von Selbstständigkeit sind weitere wichtige Ursachen
Auch beim VGSD sind wir der Meinung, dass wir mehr Selbstständige brauchen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Der alarmierende Rückgang der Gründerneigung ist unseres Erachtens aber keineswegs nur durch den guten Arbeitsmarkt zu erklären, wie die regierungsnahe KfW es darstellt.
Vielmehr ist sie auch die Folge einer ganzen Serie gründer- und selbstständigenfeindlicher Gesetze seit 2010:
- Die Streichung des Rechtsanspruchs auf Gründungszuschuss,
- die Einstellung des Gründercoaching Deutschland und der
- Förderung von Gründungsseminaren,
- die Auflösung des Mikrokreditfonds,
- die Vervierfachung der Beiträge zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung sowie vor allem die
- Rechtsunsicherheit in Bezug auf Scheinselbstständigkeit. Hinzu kommen
- handwerklich schlecht gemachte Gesetze wie die DSGVO-Umsetzung, die gerade bei kleinen Unternehmen für große Unsicherheit und enormen bürokratischen Aufwand sorgen.
Von interessierten Kreisen schlecht geredet
Um eine Alters- bzw. Rentenversicherungspflicht durchsetzen zu können, wurden Selbstständige in den letzten Jahren von interessierten Kreisen schlecht geredet. Drei Millionen Selbstständige würden nicht für ihr Alter vorsorgen, behauptete zuletzt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil – mehrere Zeitungen und Zeitschriften druckten dies ungeprüft ab.
Die Wahrheit ist: Es gibt rund drei Millionen Selbstständige, die bisher nicht pflichtversichert sind. Die allermeisten sorgen jedoch sehr wohl vor oder verfügen bereits über Vermögen (vgl. DIW-Studie).
Auch wird der Eindruck erweckt, dass Plattformarbeit eine stark wachsende Rolle spielt und ein Großteil der Soloselbstständigen in prekären Einkommensverhältnissen leben würden, obwohl zahlreiche vom BMAS beauftragte Studien dem widersprechen und von Plattformarbeit als Nischenphänomen sprechen.
Mehr Selbstständige, nicht weniger benötigt
Tatsächlich führt die Digitalisierung weltweit zu einem wachsenden Bedarf an hochqualifizierten und gut bezahlten selbstständigen Experten, die in gemischten Teams (zunehmend in agilen Projektenstrukturen) mit Angestellten zusammenarbeiten und dringend benötigtes Know-how in die Unternehmen tragen.
Vor dem Hintergrund der Digitalisierung und der demographischen Entwicklung, aber auch angesichts der sich eintrübenden Konjunktur, brauchen wir eine Erhöhung der Gründungsbereitschaft. Das Schlechtreden der Selbstständigen muss beendet und die gründerfeindlichen Gesetze überprüft werden.
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