Kommentar unseres Mitglieds Branko Trebsche zu der gemeinsamen Erklärung von dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zur Situation von Solo-Selbstständigen.
"Als ich das erste Mal von dem Pamphlet der beiden Verbände gelesen habe, war ich entsetzt. Immer wieder habe ich mir die Frage gestellt, wie es sein kann, dass sich ausgerechnet diese beiden Verbände zusammentun und sich in die Angelegenheiten von Solo-Selbstständigen einmischen.
ZDH: Handwerk im Strukturwandel
Schauen wir zuerst auf den ZDH. Das Handwerk erlebt gerade einen starken Wandel in der Eigentümerstruktur der Unternehmen. Es gibt Risikokapitalgesellschaften, die massenhaft Handwerksbetriebe aufkaufen, weil der ursprüngliche Eigentümer keinen geeigneten Nachfolger finden konnte. Diese Risikokapitalgesellschaften treffen auf einen sehr dankbaren Markt. Sie können gut gehende Unternehmen zu Schnäppchenpreisen erwerben. Zudem ist die Auslastung der Betriebe zurzeit extrem hoch, deshalb ist es relativ einfach, ordentliche Gewinne zu erwirtschaften. Sollte die Konjunktur drehen, wäre es ein Leichtes, nicht rentable Betriebe, die als kleine Einheiten erhalten bleiben, sofort zu schließen. Entsprechend stark verändert sich auch die Mitgliederstruktur des ZDH.
Gerade vor kurzem wurde die Meisterpflicht in zehn Branchen wieder eingeführt. Aber eben nur in zehn Branchen. Das war und ist eine herbe Niederlage für den ZDH. Jahrelange Lobbyarbeit ist erfolglos verpufft. Entsprechende Unruhe wird unter den Mitgliedern des ZDH herrschen. Ebenfalls problematisch ist, dass auf Dauer die Risikokapitalgesellschaften deutlich an Macht innerhalb des ZDH gewinnen. Die Konsequenz ist, dass bisherige Mitglieder sich von ihrem Verband entfremden.
Die vielen am Markt aktiven Solo-Selbstständigen stören aus Sicht des ZDH also nur. Ohne sie könnten von den Risikokapitalgesellschaften höhere Erlöse am Markt erzielt werden. Nachdem die Einführung der Meisterpflicht als großes Projekt gescheitert ist, muss nun ein anderes Vehikel her, um unliebsame Konkurrenz aus dem Markt zu drängen und die Mitglieder zufrieden zu stellen.
DGB verliert massiv an Mitgliedern
Schauen wir auf den großen DGB. Ich korrigiere: Groß und mächtig ist der DGB schon lange nicht mehr. Er ist eher ein Pflegefall. Seit Jahren verliert er Mitglieder. Wie schwach der DGB ist, zeigt sich schon an der Tatsache, dass man zusammen mit der SPD nicht in der Lage ist, einen vernünftigen Mindestlohn durchzusetzen. Von signifikanten Tariflohnerhöhungen können die Gewerkschaftsvertreter nur träumen.
Hinzu kommt, dass insbesondere die Besserverdienenden oft ein höheres Einkommen erreichen, wenn sie von den Fesseln der Tarifbindung befreit sind. Damit erreicht der DGB für ihn interessante Arbeitnehmergruppen nicht mehr. Auf der anderen Seite gelingt es dem DGB nicht, in den unteren Einkommensbereichen spürbare Lohnerhöhungen durchzusetzen. Gemessen an der jahrelang gelebten Lohnzurückhaltung im vorletzten Jahrzehnt, sind die Tariferhöhungen heute in Relation zur Entwicklung der Unternehmensgewinne überschaubar.
Aus eigener Erfahrung möchte ich kurz anmerken, dass die Einführung eines Tarifvertrages in Unternehmen, bei denen ich angestellt war, zweimal dazu geführt hat, dass ich den Arbeitgeber gewechselt habe, um nicht weniger zu verdienen als vor der Einführung des Tarifvertrages.
Doppelmoral bei Gewerkschaften
Das Argument des DGB, dem Rentensystem Stabilität durch zusätzliche Beitragszahler zu verschaffen, ist vor dem aktuellen Hintergrund von Doppelmoral geprägt. Anstatt für anständige Löhne zu sorgen und auf diese Art und Weise eine ausreichende Rentenhöhe für die eigenen Mitglieder zu erreichen, legt sich der große DGB lieber mit der vergleichsweise kleinen Gruppe der Solo-Selbstständigen an.
Dabei möchte ich dem DGB gar nicht absprechen, dass er die niedrig entlohnten Erwerbstätigen vor Ausbeutung schützen möchte. Kein Verständnis habe ich dafür, dass er durch den Vorwurf der Scheinselbstständigkeit die ordentlich bezahlten Solo-Selbstständigen an der Ausübung ihrer Tätigkeit hindert. Viele von uns gehören zum sogenannten Mittelstand. Wir leisten viel und zahlen überdurchschnittlich viel Steuern. Wir schaffen direkt und indirekt zahlreiche Arbeitsplätze. Das Einzige, was der DGB unter Beweis stellt ist, dass er über äußerst geringes ökonomisches Verständnis verfügt.
Die Schlussfolgerung daraus ist, dass eine Organisation wie der DGB – aus rein politischen Gründen – in Kauf nimmt, wirtschaftlich gesicherte und funktionierende Existenzen zu zerstören. Dem DGB ist es egal, dass durch sein politisches Handeln ganze Familien ins finanzielle Abseits geraten. Für mich ist das ein merkwürdiges Verständnis von sozialpolitischer Verantwortung.
Gründe für die unheilige Allianz aus ZDH und DGB
Aber die Frage ist, warum haben sich nun ausgerechnet der ZDH und der DGB zusammen auf die Solo-Selbstständigen eingeschossen? Die Antwort ist einfach: Beide Verbände sind schwach. Sehr schwach. Beiden Organisationen laufen die Mitglieder weg. Beide Verbände konnten in den letzten Jahren ihre Ziele nicht durchsetzen. In beiden Verbänden kippt die Mitgliederstruktur insofern, dass sich das Machtgefüge innerhalb der Verbände aktuell stark verändert. Es geht hier um Einfluss, Macht und Posten – sonst nichts.
Die Zusammenarbeit zwischen dem ZDH und dem DGB ist nichts weiter als eine mediale Luftnummer. Was ist das doch auf den ersten Blick für eine tolle Story: Das Handwerk und die Gewerkschaft sind sich darüber einig, einen Deal miteinander zu schließen, der am Ende jeweils zum Nachteil der eigenen Klientel ist. Warum ist das so?
Nehmen wir mal an, der ZDH und der DGB könnten diese absurden Forderungen durchsetzen. Dem ZDH würde es gelingen, lästige Konkurrenz loszuwerden. Gleichzeitig wird der DGB vor Ort in den Handwerksbetrieben mächtiger. So zumindest wird der DGB kalkulieren. Der ZDH wiederum bzw. dessen Mitgliedsunternehmen werden vermutlich dafür Sorge tragen, dass die Anzahl an Mitarbeitern, derer es bedarf, um einen Betriebsrat gründen zu können, niemals erreicht wird.
ZDH profitiert mehr als DGB
Bestenfalls kann der DGB seinen potentiellen Mitgliedern also in Zukunft bei Tarifverhandlungen unter die Arme greifen. Nur ist das gerade leider nicht seine Stärke und genau deshalb wird die Strategie nicht aufgehen.
Mal abgesehen davon, dass die vielen neuen Arbeitnehmer, die vorher Solo-Selbstständige waren, darauf brennen, unbedingt Mitglied im DGB zu werden. Sicher.
Und bei den Riesengehältern, die im Handwerk gezahlt werden, werden DGB und der ZDH ihr hehres Ziel, die Rentenkasse zu stärken, ganz bestimmt erreichen. Sicher.
Aber wirklich sicher ist, dass der ZDH die Kassen irgendwelcher Risikokapitalgesellschaften füllt und gleichzeitig aus dem Handwerk ein Steuersparmodell kreiert. Chapeau.
Angeschlagene Gegner sind äußerst gefährlich
Beide Organisationen sind schwer angeschlagen. Gerade angeschlagene Gegner sind äußerst gefährlich. Aber wir sollten uns auch nicht verrückt machen: Wenn wir uns gut vorbereiten, können wir unseren Gesprächspartnern zeigen, wie fragwürdig und populistisch die ganze Argumentation ist, die DGB und ZDH verwenden.
Dem DGB und dem ZDH wird eine öffentliche Diskussion über die Motive ihrer Zusammenarbeit viel mehr schaden als nützen. Dem ZDH wird man die Rolle als Hüter gesellschaftlich verantwortlicher Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik nicht abnehmen. Und die Mitglieder des DGB werden durch viele weitere Austritte zeigen, dass sie erwarten, dass die Gewerkschaft endlich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommt: nämlich dem Aushandeln von Tarifverträgen und besseren Arbeitsbedingungen für die Belegschaften.
Beide Verbände betteln einfach laut um Aufmerksamkeit, damit die eigenen Mitglieder nicht merken, dass sie versagt haben!"
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