Mit einer heute morgen bekannt gewordenen E-Mail an alle SPD-Mitglieder hat Andrea Nahles ihren Rücktritt von Partei- und Fraktionsvorsitz erklärt:
"Am kommenden Montag werde ich daher im Parteivorstand meinen Rücktritt als Vorsitzende der SPD und am kommenden Dienstag in der Fraktion meinen Rücktritt als Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion erklären. Damit möchte ich die Möglichkeit eröffnen, dass in beiden Funktionen in geordneter Weise die Nachfolge geregelt werden kann. Bleibt beieinander und handelt besonnen!Ich hoffe sehr, dass es Euch gelingt, Vertrauen und gegenseitigen Respekt wieder zu stärken und so Personen zu finden, die ihr aus ganzer Kraft unterstützen könnt. Unser Land braucht eine starke SPD! Meinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern wünsche ich viel Glück und Erfolg.
Mit solidarischen Grüße
Andrea Nahles" (zum vollständigen Text)
Nahles möchte sich komplett aus der Politik zurückziehen und auch ihr Bundestagsmandat niederlegen (WAZ). Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer soll den Parteivorsitz kommissarisch übernehmen (BILD).
Welche Auswirkungen könnte der Rücktritt von Nahles haben? – Platzen der Groko wahrscheinlich
Seit Tagen wird in den Medien darüber spekuliert, dass dies auch das Ende der großen Koaliton bedeuten könnte. Nach der letzten Bundestagswahl war diese bei den Sozialdemokraten stark umstritten. Durch ihre leidenschaftliche SPD-Parteitagsrede hatte Nahles entscheidend dazu beigetragen, dass die Groko doch zustande kam.
Sollte die Groko platzen, ist mit Neuwahlen zu rechnen. Die politische Stimmung hat sich so stark zugunsten der Grünen geändert, dass diese nicht einfach mit ihrem Wahlergebnis vom Oktober 2017 in Koalitionsverhandlungen gehen würden. Vielmehr würden die Grünen auf Neuwahlen bestehen, die ihr Wahlergebnis aller Voraussicht nach deutlich stärken würde.
Ergebnisse der Bundestags- und Europawahlen im Vergleich
Damals hatten bei einer Wahlbeteiligung von 76,2 Prozent (2013: 71,5 Prozent):
- CDU: 26,8% (2013: 34,1%) - EU-Wahl: 22,6%
- CSU: 6,2% (2013: 7,4%) - EU-Wahl: 6,3%
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- Union insg.: 33,0% (2013: 41,5%) - EU-Wahl: 28,9%
- SPD: 20,5 % (2013: 25,7%) - EU-Wahl: 15,8%
- AfD: 12,6% (2013: 4,7%) - EU-Wahl: 11,0%
- FDP: 10,7% (2013: 4,8%) - EU-Wahl: 5,4%
- Die Linke: 9,2% (2013: 8,6%) - EU-Wahl: 5,5%
- Grüne: 8,9% (2013: 8,4%) - EU-Wahl: 20,5%
- Sonstige: 5,0% (2013: 5,0%) - EU-Wahl: 12,9%
Zum Vergleich haben wir oben die Ergebnisse der Wahlen zum EU-Parlament 2019 (Wahlbeteiligung: 61,4 Prozent) eingetragen.
Grüne werden wohl bei Platzen der Groko auf Neuwahlen bestehen – und in Regierung kommen
Im aktuellen Bundestag sind die Grünen mit 8,9 Prozent der Stimmen die kleinste Fraktion. Nach Union, SPD, AfD, FDP und Linken lagen sie bei der letzten Bundestagswahl an sechster Stelle.
Bei der Wahl zum EU-Parlament erzielten sie dagegen nach der Union das zweitbeste Ergebnis. Zusammen mit der Union kommen sie auf 49,4 Prozent. Bei einer Bundestagswahl würden sonstige Parteien aufgrund der 5 Prozent-Hürde deutlich weniger Stimmen bekommen bzw. wären die Stimmen für sie verloren. Union und FDP wären die neue "große Koaliton".
Eine Beteiligung der Grünen an der nächsten Bundesregierung wäre dann sehr wahrscheinlich. Das könnte im Rahmen einer Jamaika-Koalition geschehen. Wenn die Grünen sehr stark abschneiden, könnte es sogar zu einer schwarz-grünen Regierung ohne Beteiligung der FDP kommen. Schon wird bei Talksendungen über einen grünen Bundeskanzler Robert Habeck spekuliert, sollte sich der Höhenflug der Grünen fortsetzen.
Neue/r Bundeskanzler/in - Aber welche/r?
In jedem Fall würde Angela Merkel nicht mehr als Bundeskanzlerin antreten. Sie hatte erklärt bis zum (dann früheren) Ende der jetzigen Legislaturperiode zu regieren.
Eigentlich gilt Annegret Kramp-Karrenbauer als Nachfolgerin gesetzt, aber ausgerechnet in der Woche nach den Wahlen zum Europaparlament ist eine Diskussion um ihre Führungsfähigkeiten ausgebrochen. Gibt es doch noch eine Chance für ihren als wirtschaftsfreundlich geltenden Herausforderer Friedrich Merz?
Die SPD verschleißt ihre Parteivorsitzenden
Egal wie schlecht es der CDU geht, der SPD geht es noch schlechter. Beispiellos ist der Verschleiß ihrer Parteivorsitzenden (Vorsitzende seit 1945 in der Bundesrepublik):
- Kurt Schumacher (1945-52)
- Erich Ollenhauer (1952-63)
- Willy Brandt (1964-87)
- Hans-Jochen Vogel (1987-91)
- Björn Engholm (1991-93)
- Johannes Rau (1993, kommissarisch)
- Rudolf Scharping (1993-95)
- Oskar Lafontaine (1995-99)
- Gerhard Schröder (1999-2004)
- Franz Müntefering (2004-05)
- Matthias Platzeck (2005-06)
- Kurt Beck (2006-08)
- Frank-Walter Steinmeier (2008, kommissarisch)
- Franz Müntefering (2008-09)
- Sigmar Gabriel (2009-17)
- Martin Schulz (2017-18)
- Olaf Scholz (2018, kommissarisch)
- Andrea Nahles (2018-19)
Der SPD wünschen wir, dass sie sich auf ihre alten Stärken besinnt. Denn Deutschland braucht eine starke SPD. (Aber nicht die, die wir in den letzten Jahren erlebt haben.)
Was bedeutet das für uns Selbstständige?
Die Beantwortung dieser Frage ist, wie auch viele der obigen Überlegungen, natürlich recht spekulativ und hängt davon ab, ob die SPD mit der Wahl eines neuen Vorsitzenden weiter nach links rückt oder ob sich die etwas wirtschaftsfreundlicheren "Realos" in der SPD durchsetzen, von denen viele an dem Aufstand gegen Nahles in den letzten Tagen beteiligt waren. Wenn man die Wahlergebnisse der Linken anschaut, dann kann man links von der SPD ja niemals so viel Stimmen holen wie man an Grüne und andere Parteien (auch die AfD!) verloren hat. Das würde für einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs sprechen. Aber wer weiß! Klar ist, dass bei einem weiteren Linksruck die große Koalition nicht fortgesetzt würde. Bei einem wirtschaftsfreundlicheren neuen Vorsitzenden allerdings wahrscheinlich auch nicht.
Käme es also zu Neuwahlen und unterstellen wir, dass die Union wieder die Kanzlerin (oder den Kanzler) stellt, wäre momentan die Frage, ob es für eine schwarz-grüne Regierung reicht oder es zu Jamaika kommt. Wichtig für uns wäre auch, welche Partei nach einer Wahl den Arbeits- und Sozialminister stellt.
Altersvorsorgepflicht für Selbstständige weiterhin wahrscheinlich
Auch unter einer neuen Regierung würde es wahrscheinlich zu einer Altersvorsorgepflicht für Selbstständige kommen, nachdem sich eine solche schon bei den letzten, gescheiterten Jamaika-Verhandlungen 2017 im Koalitionsvertrag wiedergefunden hat. Es bleibt also wichtig, weiter an diesem Thema zu arbeiten und sich in den zurzeit stattfindenden Fachgesprächen zur Ausgestaltung der Altersvorsorgepflicht für eine sinnvolle Lösung einzusetzen, die die Selbstständigen nicht überfordert und ihnen ausreichend Flexibilität lässt.
Die Verhandlungen würden bei einer Beteiligung der FDP sicher deutlich einfacher für uns, da diese zwar für eine Altersvorsorgepflicht ist, diese aber liberaler ausgestalten würde. Käme es zu keiner FDP-Regierungsbeteiligung bzw. wäre der Arbeitsminister ein/e Grüne/r wäre die Situation vielleicht etwas, wenn auch nicht viel einfacher als jetzt. Die Grünen wollen ebenso wie die SPD eine Erwerbstätigenversicherung und als ersten Schritt dazu eine Einbeziehung der Selbstständigen in die Rentenversicherung, für die es übrigens auch im Arbeitnehmerflügel der Union viele Sympathien gibt. (Von daher ist natürlich auch sehr wichtig, wer sich bei der Union als Kanzlerkandidat/in durchsetzt.)
Chancen auf mehr Rechtssicherheit
In Hinblick auf das Thema Rechtssicherheit gilt Ähnliches. Hier hat sich die FDP in den letzten Monaten als einzige Partei deutlich für unsere Belange engagiert. Insofern würde eine Regierungsbeteiligung der FDP uns bei der Lösung dieser Frage sehr helfen.
Generell würde eine Lösungsfindung ohne SPD sicherlich deutlich einfacher. Andrea Nahles hat sich als Arbeitsministerin zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG, auch "Werkvertragsgesetz") eine heftige Auseinandersetzung mit der Union geliefert, das Gesetz also gegen viele Widerstände durchgesetzt. Das macht es für die SPD jetzt so schwer, das hart erkämpfte Gesetz wieder zu korrigieren, obwohl vielen in der SPD zunehmend klar ist, dass es das Gegenteil dessen bewirkt, was man eigentlich beabsichtigt hatte.
Auch für ein zentrales Vorhaben der Union könnte es unter einer neuen Regierung schwierig werden. Auf Druck der mächtigen Handwerkslobby (z.B. Zentralverband des Deutschen Handwerks) möchte sie die Uhr zurückdrehen und den Meisterzwang für Gewerke einführen, wo dieser unter Kanzler Schröder abgeschafft worden war. Mit FDP und Grünen an der Regierung könnte das deutlich schwieriger werden.
Hoffnung auf einen wirtschaftsfreundlicheren Neuanfang
Bei Gründung des VGSD im Sommer 2012 war noch die schwarz-gelbe Koalition aus CDU, CSU und FDP an der Macht (2009-13), der wir wegen der Einschränkungen beim Gründungszuschuss und anderen Förderungen sowie den Plänen für eine pauschale Altersvorsorgepflicht damals sehr kritisch gegenüberstanden.
Ende 2013 kam dann die Große Koalition an die Macht, die viele in sie gesetzte Hoffnungen enttäuschte und zum Beispiel die Regeln zum Thema Scheinselbstständigkeit stark verschärfte und damit für viel Unsicherheit sorgte.
Seit März 2018 regiert sie nach dem Scheitern der Jamaika-Koalition erneut und arbeitet seitdem auch an einer Altersvorsorgepflicht für Selbstständige. Positiv war, dass Gesundheitsminister Spahn zum 01.01.2019 die Mindestbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung für Selbstständige deutlich absenkte und ein Gesetzesentwurf gegen Abmahnmissbrauch in Arbeit ist.
Sollte es zu einer Neuwahl kommen, hoffen wir danach auf einen wirtschaftsfreundlicheren Neuanfang und weniger Denkverbote. Sicher ist diese Entwicklung aber keineswegs, sie hängt von den weiteren Ereignissen in den nächsten Wochen und natürlich vor allem vom Wahlergebnis ab.
Klar ist: Die neue Regierung würde – anders als bei der letzten Bundestagswahl – in einer Zeit ans Werk gehen, in denen sich die Konjunktur verdüstert hat. Das muss nicht schlecht sein, denn es schafft den offenbar nötigen Druck, keine Politik gegen die arbeitenden Menschen zu machen.
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