Arbeitnehmervertreter und Sozialdemokraten sind sich eigentlich ganz sicher: Eine Festanstellung ist die beste und sicherste Form der Erwerbstätigkeit, Selbstständigkeit die unsicherste und damit schlechteste. Die Leiharbeit sehen sie irgendwo in der Mitte. Weniger sicher und schlechter bezahlt als die Festanstellung, dafür aber sozialversicherungspflichtig und mit Betriebsrat - und somit der Selbstständigkeit überlegen.
Selbstständige wollen selbstständig bleiben
Die Wirklichkeit stellt diese Überzeugung auf eine harte Probe: Nachdem im April letzten Jahres das "Werkvertragsgesetz" – korrekter Titel: "Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze" – in Kraft getreten war, versuchten verunsicherte Auftraggeber Selbstständige in der IT und anderen Branchen eine Arbeitnehmerüberlassung oder Anstellung schmackhaft zu machen – nur um festzustellen, dass diese viel lieber selbstständig bleiben wollen und eher andere Aufträge – notfalls im Ausland annehmen – als sich auf die vermeintlich sicherere Form der Erwerbstätigkeit einzulassen.
Leiharbeit beliebter als Festanstellung
Nun zeigt sich, dass sogar die Leiharbeit beliebter ist als die Festanstellung – und zwar weil sie bessere Arbeitsbedingungen, weniger Überstunden und höhere Bezahlung bietet. Der Beweis dafür wird zurzeit ausgerechnet im vieldiskutierten Pflegebereich erbracht.
Nach Recherchen des NDR wechseln immer mehr Krankenpflegekräfte von ihrer Festanstellung in die Leiharbeit. Eine auf Pflegekräfte spezialisierte Leiharbeitsfirma berichtet von 15 Prozent Wachstum pro Jahr. 80 Prozent der Bewerber habe vorher fest angestellt in einem Krankenhaus gearbeitet.
Verbände bestätigen Zunahme der Leiharbeit – aufgrund besserer Arbeitsbedingungen
Der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) bestätigt den Anstieg von Pflegekräften in Leiharbeit. Der Grund seien bessere Arbeitsbedingungen und mehr Einfluss auf die Dienstpläne. Auch eine Sprecherin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) spricht von geregelteren Arbeitszeiten und davon, dass es sich nicht unbedingt um eine Verschlechterung handle.
Ohne die Flexibilität der Leiharbeiter sei in vielen Kliniken der Pflegebetrieb nicht mehr aufrechtzuerhalten. Das lassen sich die Arbeitgeber etwas kosten. Der SWR berichtet über eine 24-jährige Krankenschwester, die mit Zulagen als Leiharbeiterin etwa doppelt so viel verdient wie zuvor als Angestellte.
Arbeit- bzw. Auftragnehmer in der stärkeren Verhandlungsposition
In Branchen, in denen die Arbeitskräfte knapp sind, wie in der IT und in der Pflege, können sich flexiblere Formen der Arbeit offenbar zugunsten von Arbeit- bzw. Auftragnehmern auswirken.
Hinzu kommt, dass das Gesundheitswesen stark reguliert ist. Die Arbeitgeber haben hier nur sehr begrenzte Handlungsmöglichkeiten, was z.B. die Bezahlung von Pflegekräften betrifft. Der Markt bahnt sich seinen Weg – in diesem Fall über den Umweg der Leiharbeit – und signalisiert das Versagen des Gesetzgebers im Pflegebereich. Eine ver.di-Gewerkschaftssekretärin spricht laut SWR von einem "lauten Hilfeschrei". Via Leiharbeit entsteht Druck auf die staatlich vorgegebenen Löhne – nach oben.
Gesundheitsminister Spahn will die Bezahlung der Festangestellten verbessern
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sich heute im Morgenmagazin von ARD und ZDF für eine bessere Bezahlung von Pflegekräften ausgesprochen: "2.500, 3.000 Euro sollten möglich sein". Pflegekräfte sollten auch wieder vermehrt Tarifverträgen unterliegen – damit versucht er den schwarzen Peter in Richtung Arbeitgeber zu schieben.
Zur Zunahme der Leiharbeit äußerte er sich kritisch. "Ich hätte lieber weniger Leiharbeit in der Pflege und mehr Festangestellte", zitiert in die Tagesschau. Kein Wunder: Je mehr Leiharbeiter es gibt, um so teurer wird es für den Staat und damit mittelbar für uns Versicherten. Dann doch lieber faire Arbeitsbedingungen schaffen.
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