Jana Riediger und Oliver Golumbiewski von der Initiative Kulturschaffender in Deutschland (IKiD) haben für ihre ebenso lesenswerte und sorgfältig recherchierte "Betrachtung der Grundsicherung als Soforthilfemaßnahme – Freier Bericht von freien Künstler*innen und Solo-Selbstständigen" (PDF) u.a. untersucht, mit welchen Hilfen andere europäische Länder Soloselbstständige und Kulturschaffende für ihre Ausfälle entschädigen.
Demnach entschädigen fast alle betrachteten europäischen Länder Solo-Selbstständige, die aufgrund der staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen unter hohen Umsatzeinbußen leiden, deutlich großzügiger als Deutschland. Die Zahlungen erfolgen dabei entweder pauschal oder bemessen sich nach dem früheren Einkommen. Auf eine Bedürftigkeitsprüfung wird andernorts verzichtet, oft auch auf eine Vermögens- und Einkommensprüfung.
Die Tatsache, dass Deutschland gegenüber Soloselbstständigen und kleinen Unternehmen eine ganz andere Politik verfolgt, sie auf die Grundsicherung verweist bei zugleich sehr engen Vermögensobergrenzen, birgt einigen sozialen und politischen Sprengstoff in sich; dies auch vor dem Hintergrund, dass die EU-Staaten im Rahmen des gerade beschlossenen "Wiederaufbaufonds" 750 Milliarden, davon 500 Milliarden als Zuschuss, erhalten. Die Hilfen werden durch Anleihen finanziert. Der deutsche Steuerzahler muss für das Gros der Tilgung geradestehen (Wirtschaftswoche).
Niederlande: 1.050 bzw. 1.500 Euro ohne Vermögens- und Einkommensprüfung
In den Niederlanden erhalten alle registrierten Solo-Selbstständigen für die Dauer von sechs Monaten (sogar rückwirkend zum 01.03.2020) ohne Vermögens- und Einkommensprüfung eine pauschale Summe von 1.050 Euro monatlich von der Handelskammer.
Diese Summe erhöht sich bei einem Zweipersonenhaushalt auf 1.500 Euro. Hier führt der Weg also nicht über eine Arbeitsagentur. (Redactie KVK. (2020, Mai 18). Tozo: inkomensondersteuning en leningen. Abgerufen 19.05.20)
Frankreich: Äquivalent zum deutschen Arbeitslosengeld I zuzüglich Solidaritätshilfefonds
In Frankreich gibt es ein anderes Lösungskonzept für Kulturschaffende: wer hier als Künstler in den letzten 10 Monaten auf mehr als 507 Arbeitsstunden kommt, erhält das dortige Äquivalent zum deutschen ALG I. Hier gibt es jedoch eine baldige Anpassung, da die bisherige Ausfälle durch Absagen im Rahmen der Krise vorerst noch nicht zu diesem Minimum hinzugerechnet werden können und daher eine gewisse Anzahl von Kreativen vorerst nicht auf die Mindeststunden zum Erhalt dieser Hilfe kommen. (Laspière, V. T. (2020, April 24). Coronavirus : les intermittents dans la tourmente. Abgerufen 19.05.20)
Für Kleinstunternehmen, Selbständige und freie Berufen stellt die französische Regierung zusätzlich den Solidaritätsfonds als Soforthilfeprogramm zur Verfügung. Beihilfen aus dem Solidaritätsfonds werden förderfähigen Unternehmen gewährt, die im April 2020 aufgrund der Covid-19 Krise einen Umsatzverlust von mindestens 50 Prozennt gegenüber April 2019 oder gegenüber dem durchschnittlichen Monatsumsatz im Jahr 2019 verzeichnen. Diese Hilfe kann mit einer zusätzlichen Unterstützung in Höhe von 2.000 bis 5.000 Euro einhergehen, die an Bedingungen geknüpft ist.
Auch Landwirte, Künstler, Autoren und Unternehmen, können vom Solidaritätsfonds profitieren. Die genauen Kriterien sind auf den Seiten der deutsch-französischen Industrie und Handelskammer nachzulesen. (Coronavirus - Informationen für Unternehmen - Welche Unternehmen können von dem Solidaritätsfonds profitieren? Abgerufen 20.05.20)
Norwegen - 80 Prozent des Durchschnittsgehalts der letzten drei Jahre
Norwegen bedient sich eines Konzeptes für Freischaffende, das in etwa unseren Kurzarbeitergeldkriterien entspricht. Selbstständige Unternehmer*innen und Freiberufler, die die vollständige Grundlage ihres Einkommens oder Teile dessen durch die Corona-Pandemie verlieren, bekommen 80 Prozent ihres Durchschnittsgehalt der letzten drei Jahre von öffentlichen Behörden bezahlt.
Die Summe ist allerdings begrenzt (bis Gehaltsgruppe 6G). Die Kompensationen werden ab dem 17. Tag nach Ausfall des Einkommens gezahlt. (Hinweise für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Norwegen - Selbstständige Unternehmer und Freiberufler: AHK Norwegen. (o. J.). Aktuelle Informationen zu Covid-19 in Norwegen. Abgerufen 19.05.20)
Großbritannien: Ohne Antrag 80 Prozent des Vorjahresverdienstes, bis zu 2.500 Pfund monatlich
Über das Finanzamt wird in Großbritannien eine monatliche Finanzhilfe für Selbstständige abgewickelt. Wer bereits 2019 selbstständig war, mehr als die Hälfte seines Verdienstes durch diese selbstständige Arbeit erworben und hierbei unter 50.000 Pfund verdient und versteuert hat, erhält einen monatlichen Zuschuss von 80 Prozent des Vorjahresverdienstes, max. jedoch 2.500 Pfund.
Nur wer sich gerade erst selbstständig gemacht hat oder über dem Einkommensmaximum liegt erhält über dieses System keine Hilfe. Mieteinnahmen, Pensionen und Dividenden zählen ebenfalls nicht.
Erwähnenswert ist, dass die Betroffenen ohne einen Antrag gestellt zu haben, eine Zahlungszusage per Post erhielten. Dies ist ein prägnanter Vorteil, die Bearbeitung über das Finanzamt laufen zu lassen, welches bereits im Besitz sämtlicher relevanter personenbezogener Daten ist. (Tenhagen, H. D. S. (2020, Mai 16). Coronakrise: Diese Hilfen gibt es noch für Solo-Selbstständige - DER SPIEGEL - Wirtschaft. Abgerufen 19.05.20)
Spanien: 462 bis 1.015 Euro
In Spanien wird akut an der Einführung einer Art Existenzmindestsicherung (Ingreso Minimo Vital) gearbeitet. Dieses soll über die Krise hinaus als eine äquivalente Variante zur deutschen Grundsicherung Bestand behalten.
Die Regierung ist dabei, die Details für die Umsetzung des Mindestvitaleinkommens (IMV) fertigzustellen. Es richtet sich in erster Linie jedoch an Haushalte in schwerster Armut, was ungefähr 20% der Gesamthaushalte entspricht und eröffnet die Möglichkeit, eine finanzielle Sicherung von 462,00 bis 1015,00 Euro (je nach Familienstand) zu erlangen.
Die Fertigstellung der Maßnahme, die dem Ministerrat in der zweiten Maihälfte vorgelegt werden soll, wird in der Umsetzung im Juni dieses Jahres erwartet. (C.L. (2020, Mai 19). Ingreso Mínimo Vital Renta mínima vital: requisitos para solicitarla, cuantía de la ayuda y todas las claves. Abgerufen 19.05.20)
Belgien: 1.292 bis 1.614 Euro
Doch auch in Belgien wurde eine einheitliche Lösung gefunden. Selbstständige können hier für die Monate März, April und Mai Anspruch auf Überbrückungsrecht anmelden. (Landesinstitut der Sozialversicherungen für Selbständige. (o. J.). Auskunftsformular Anspruch auf Überbrückungsmaßnahmen - Zwangsunterbrechung aufgrund des Coronavirus | LISVS. Abgerufen 19.05.20)
Bei vollem Leistungsanspruch bekommen Selbstständige 1.291,69 EUR pro Monat, bzw. 1.614,10 EUR pro Monat mit Familienlast. Für Selbstständige, die Anspruch auf die Teilleistung haben, beläuft sich die Leistung 645,85 EUR pro Monat, bzw. 807,05 EUR pro Monat, mit Familienlast.
Unter bestimmten Bedingungen kann die Leistung mit einem anderen Ersatzeinkommen (Rente, (zeitweilige) Arbeitslosigkeit) kumuliert werden. Die genauen Kriterien zur Einstufung sind auf der Seite des Landesinstituts der Sozialversicherungen für Selbstständige aufgelistet. (Landesinstitut der Sozialversicherungen für Selbständige. (2020, April 29). Schwierigkeiten infolge des Coronavirus | LISVS. Abgerufen 19.05.20)
Schweiz: Bis zu 5.880 Franken pro Monat
Selbstständig Erwerbende, die wegen behördlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus in der Schweiz Erwerbsausfälle erleiden, werden entschädigt, sofern nicht bereits eine Entschädigung oder Versicherungsleistung besteht.
Als Betroffen gilt, wer durch Schulschließungen, ärztlich verordnete Quarantäne, Schließung eines selbstständig geführten öffentlich zugänglichen Betriebes keine Einnahmen mehr erwirtschaften kann. Ebenso gilt dies für freischaffende Künstlerinnen und Künstler, die einen Erwerbseinbruch erleiden, weil ihre Engagements wegen der Maßnahmen gegen das Coronavirus annulliert werden oder weil sie eigene Veranstaltungen absagen müssen.
Um Härtefälle zu vermeiden, weitet der Bundesrat den Corona-Erwerbsersatz sogar noch auf Selbständigerwerbende aus, die nicht direkt von Betriebsschliessungen oder vom Veranstaltungsverbot betroffen sind. Voraussetzung ist, dass ihr AHV-Ausgleichskassen pflichtiges Erwerbseinkommen höher ist als 10.000 Franken, aber 90.000 Franken nicht übersteigt.
Trifft dies zu, sieht die Hilfe höchstens 196 Franken pro Tag, maximal 5.880 Franken pro Monat, vor. Der Anspruch entsteht rückwirkend ab dem 1. Tag des Erwerbseinbruchs und endet nach zwei Monaten, spätestens aber mit der Aufhebung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona Pandemie. (Seco, S. F. W. (o. J.). Entschädigung bei Erwerbsausfällen für Selbständige. Abgerufen 19.05.20)
Als Grundlage müssen die Ausgleichskassen laut Verordnung immer das aktuellste Einkommen nehmen. (jaw. (2020, Mai 20). Selbständige erhalten lächerlich kleine Corona-Beträge – nun gibt es aber ein Happy End. Abgerufen 25.05.20)
Fazit: Deutschland schneidet alles andere als gut ab
Das Fazit der Autoren Jana Riediger und Oliver Golumbiewski: "Damit schneidet Deutschland, immerhin das wirtschaftsstärkste Mitgliedsland der EU , auch im gesamteuropäischen Vergleich alles andere als gut ab. Als stärkste Volkswirtschaft Europas darauf zu verweisen, dass andere Länder nicht annähernd so gute Lösungsszenarien vorweisen können, ist einerseits nicht korrekt."
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