VGSD-Mitglied Joachim Wenzel hat sich intensiv mit der Verfassungsmäßigkeit des Statusfeststellungsverfahrens beschäftigt. Er hat Zweifel daran – sieht den Weg zu einer Verbesserung aber eher in der politischen Arbeit als vor Gericht.
Den VGSD machen seine lebendige Community und seine engagierten Mitglieder aus. Wir unterstützen Vereinsmitglieder, die sich in die politische Arbeit einbringen, vernetzen sie, tauschen uns eng mit ihnen aus und setzen unsere Möglichkeiten ein, um den gemeinsamen Anliegen mehr Gehör zu verschaffen. Dieses Engagement bereichert unsere Arbeit. Denn mit vereinten Kräften können wir am meisten erreichen. So werden wir ein immer stärkeres und professionelleres Netzwerk.
So geschah dies beispielsweise beim erfolgreichen Kampf für Umsatzsteuerfreiheit im Bildungswesen. Im Rahmen einer gelungenen Kooperation durfte der VGSD im Herbst die Petition der Sängerin Saskia Saegeler in Berlin übergeben, wofür wir mehrere Bundestagsabgeordnete als Partner gewannen. Zuvor hatten VGSD-Mitglied Joachim Wenzel und BAGSV-Mitglied Hans-Jürgen Werner in enger Abstimmung mit uns ein Positionspapier erarbeitet, das die Problematik der ursprünglich geplanten Regelung und Lösungsansätze ausführlich darlegte.
Plädoyer für ein modernes Selbstständigenrecht
Diese fruchtbare Zusammenarbeit setzt sich nun fort. Gemeinsam mit anderen engagierten Mitgliedern und in enger Abstimmung mit uns bringt sich Joachim Wenzel zu den Themen Statusfeststellungsverfahren und Selbstständigkeit im Bildungswesen ein. Joachim ist auch Beauftragter für bildungspolitische Fragen der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). In dieser Funktion hat er gerade ein Positionspapier verfasst, das er auch bei uns zur Diskussion stellt.
In dem Papier hat sich Joachim intensiv aus juristischer Perspektive mit dem Statusfeststellungsverfahren auseinandergesetzt. Er ist studierter und promovierter Pädagoge, hat aber in seinem Berufsleben auch viele juristischen Fragestellungen bearbeitet. Für das Papier hat er sich mit verschiedenen Juristen beraten und deren Einschätzungen einfließen lassen.
Wir haben uns mit ihm über das Papier und sein Plädoyer für ein "modernes Selbstständigenrecht" unterhalten.
Joachim, du bist selbst kein Jurist, hast dich aber für dein Positionspapier tief in die juristische Materie eingearbeitet, hast Fragen wie Grundrechtseingriff, Schranken und "Schranken-Schranken" erörtert. Wieso hast du dir all diese Arbeit gemacht, noch dazu auf einem so kniffligen Gebiet?
Es ist in der Juristerei so wie leider in vielen Bereichen in Politik und Gesellschaft: Selbstständige spielen kaum eine Rolle. Es gibt fast keine Literatur zu Selbstständigen. Ihre Grundrechte werden zwar tangiert, aber es gibt wenig Erfahrung mit verfassungsrechtlichen Fragen zur Selbstständigkeit. Ich war eigentlich auf der Suche nach einem universitären Gutachter oder einer Gutachterin, die oder der die Frage, ob das Statusfeststellungsverfahren verfassungsmäßige Bedenken aufwirft, erörtert. Ich habe aber niemanden für das Thema gefunden. Da ich eine gewisse Erfahrung mit juristischen Themen habe, habe ich mich parallel selbst an die Arbeit gemacht. Bei der Arbeit an dem Papier habe ich mit Professoren aus dem Arbeitsrecht, Verfassungsrecht und Sozialversicherungsrecht diskutiert. Ich würde mich immer noch freuen, wenn wir einen verfassungsrechtlichen Gutachter finden. Aber immerhin haben wir jetzt schon mal dieses Papier als Arbeitsgrundlage.
Was waren deine persönlichen Ergebnisse der Recherche? Ist das Statusfeststellungsverfahren verfassungswidrig?
Das ist natürlich eine komplizierte juristische Frage. Aber ja, ich würde sagen, ich halte das Statusfeststellungsverfahren, in der Weise wie es die Deutsche Rentenversicherung (DRV) derzeit umsetzt, für verfassungswidrig, weil die Grundrechte der einzelnen in dem Verfahren nicht hinreichend geschützt werden.
Kannst du das genauer erklären?
Beim Statusfeststellungsverfahren sind die Privatautonomie (Artikel 2 Grundgesetz) und das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) betroffen. Im sogenannten Apotheken-Urteil von 1958 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass die Freiheit der Berufswahl auch die Frage betrifft, ob eine Tätigkeit in selbstständiger oder in unselbstständiger Form ausgeübt wird. Eine Einschränkung dieser Freiheit darf nur das letzte Mittel sein. Eine Statusfeststellung gegen den Willen der Betroffenen ist ein solcher Eingriff, da für die Beteiligten die Selbstständigkeit davon abhängt. Dabei gäbe es mildere Mittel: Mit einer maßvollen Versicherungspflicht für Selbstständige wären sowohl die Berufsfreiheit als auch die Gemeinschaftsgüter Krankheitsversorgung und Altersvorsorge geschützt. Auch ohne eine solche allgemeine Pflicht gilt aber: Es müsste zunächst geprüft werden, ob der Auftragnehmer überhaupt schutzbedürftig ist. Wenn am Ende dann doch die Selbstständigkeit geprüft werden muss, hat dies auf Basis von nachvollziehbaren Kriterien zu geschehen. Das gebietet der rechtliche Grundsatz der Normenklarheit, der derzeit nicht mehr gewährleistet ist. Die Grenzziehung zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung wird derzeit weder eindeutig noch transparent dargelegt. Das zeigt schon die Rechtsprechung, die die Einstufung immer wieder verändert hat, zuletzt mit dem sogenannten Herrenberg-Urteil 2022.
Du beschäftigst dich auch näher mit dem Vorgang der Gesamtwürdigung …
Genau, hier habe ich besonders große Zweifel, was die Verfassungsmäßigkeit angeht. Gesamtwürdigung bedeutet, dass der Einzelfall in seiner Gesamtheit betrachtet werden und eine Entscheidung alle den Fall betreffenden Aspekte berücksichtigen muss. Das wäre die Anforderung an die Status-Entscheidungen der DRV. Doch diese laufen nach einem intransparenten standardisierten Verfahren ab. So wird die Prüfung den Anforderungen nicht gerecht. Außerdem versteckt sich die DRV hinter dem Begriff und spricht von einer erfolgten "Gesamtschau", wenn sie bei ihren eigenen Projekten die Kriterien und deren Gewichtung nicht im Einzelnen offenlegen möchte. Die Gesamtwürdigung sollte nur als letztes Mittel in einem transparenten Verfahren zum Einsatz kommen und muss dann mit der gebotenen Gründlichkeit durchgeführt werden ohne ein ständiges Neugewichten der Kriterien. Aber genau das ist der Fall, wenn die DRV selbst von "unbeständiger und nicht vorhersehbarer Entwicklung der Rechtsvorschriften" spricht. Manche Juristen sagen, dass das Herrenberg-Urteil eine neue Rechtsprechungslinie darstellt, während andere meinen, die Unwägbarkeiten lägen an den daraus abgeleiteten Verwaltungsvorschriften. Für uns Selbstständige ist es aber im Ergebnis gleich: Wir erleben das Statusfeststellungsverfahren oft als Willkür und es greift in seiner aktuellen Gestalt unverhältnismäßig in unsere Grundrechte ein.
Also ab vors Bundesverfassungsgericht?
Darin sehe ich nicht den erfolgversprechendsten Weg. Denn man zieht ja nicht eben mal vor das Bundesverfassungsgericht. Vorher sollte ein verfassungsrechtliches Gutachten vorliegen. Für eine Verfassungsbeschwerde gibt es schließlich hohe Hürden. Der Rechtsweg muss erschöpft sein. Wir müssten also den konkreten Fall eines Statusfeststellungsverfahrens haben, der schon durch die Instanzen gegangen ist. Dann bedarf eine Verfassungsbeschwerde immer noch einer akribischen Ausarbeitung, und selbst wenn sie zugelassen wird, dauert es in der Regel ein Jahr bis zur Entscheidung. Da sind auch Fragen bedeutsam, die für die Praxis nicht hilfreich sind, etwa ob der Rechtsweg durch die Gerichte nicht prinzipiell Abhilfe verschaffen kann. Dabei ist diese rechtliche Komplexität mit dem Divergieren von Arbeits-, Straf-, Steuer- und Sozialrecht gerade ein zentrales Problem im Alltag. Und die Entscheidung selbst wäre, auch im Erfolgsfall, noch keine Verbesserung des Zustands, sondern nur ein Auftrag an den Gesetzgeber. Sollte die neue Bundesregierung allerdings keine die Grundrechte schützenden Lösungen auf den Weg bringen, bleibt uns der Gang nach Karlsruhe offen.
Wovon versprichst du dir mehr?
Ich bin überzeugt davon, dass auf politischem Weg schneller mehr zu erreichen ist. Durch Herrenberg und die Folgen gibt es jetzt die zweijährige Übergangsregelung für Lehrtätige. In dieser Zeit muss eine Lösung gefunden werden – und zwar nicht nur für den Bildungsbereich. Von den Verfassungsrechtlern habe ich gelernt, dass der Gesetzgeber eine so genannte Einschätzungsprärogative hat. Das heißt: Im konkreten Umgang mit Grundrechten hat das Parlament einen großen Ermessensspielraum in der Gesetzgebung, den auch die Verfassungsrichter sehr weitgehend respektieren müssen. Jetzt nach der Bundestagswahl werden wir also an die Regierungsparteien herantreten und Gespräche führen. Die Frage ist mittlerweile nicht mehr, ob das Statusfeststellungsverfahren reformiert wird, sondern wie.
Was stimmt dich so zuversichtlich? Schließlich dringen Selbstständige schon seit Jahren vergeblich auf eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens.
Unsere Erfolge im vergangenen Jahr für eine umfassende und unbürokratische Umsatzsteuerbefreiung bei Bildungsleistungen lässt hoffen. Wir konnten mit den Bundestagsabgeordneten einen gemeinsamen Kern herausarbeiten, der fraktionsübergreifend tragfähig war. So haben wir trotz größter Probleme in der Ampel alle Regierungsfraktionen sogar mit der Union zusammen zu einem gemeinsamen Weg einladen können. Heute gibt es wieder Signale aus den für die Regierung in Frage kommenden Parteien, dass sie tragfähige Lösungen entwickeln wollen. Da wir als Selbstständige auch hier nicht nur die konkreten Probleme aufzeigen, sondern praxistaugliche und grundrechtsfreundliche Lösungen aufzeigen, besteht die Hoffnung in diesem Jahr weiterzukommen. Außerdem macht mir der im vergangenen Oktober von der BAGSV gegründete politische Freundeskreis der Selbstständigen Hoffnung. Immer mehr Abgeordnete befassen sich mit den speziellen Problemen von Solo- und Kleinstunternehmer/innen und gehen mit bei der Entwicklung von tragfähigen Lösungen.
Wie sieht ein verfassungskonform reformiertes Statusfeststellungsverfahren deiner Meinung nach aus?
Es entspricht grundsätzlich dem Vorschlag, den wir mit dem BAGSV-Positionspapier unterbreitet haben. Wir haben darin eine vorgeschaltete Schnellprüfung vorgeschlagen, die klärt, ob ein Statusfeststellungsverfahren überhaupt notwendig ist. Das wäre der erste Schritt, um sicherzustellen, dass dieser Grundrechtseingriff nicht ohne Notwendigkeit erfolgt. Hier wird etwa geklärt, dass es sich nicht um prekäre Vertragsverhältnisse handelt. Was und wie nun genau auf dieser ersten Stufe geprüft wird, ist im Detail zu klären. Die letzte Stufe wäre erst die Prüfung des Status, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu erfolgen hat. Hierbei ist die Normenklarheit zu berücksichtigen – sie würde zum Beispiel durch klar formulierte Positivkriterien, wie wir sie in dem Papier fordern, erreicht.
Du gehst noch über das Statusfeststellungsverfahren hinaus und forderst ein "modernes Selbstständigenrecht". Was meinst du damit?
Ich habe eine Vision. Flexible Selbstständige, die sich beständig weiterqualifizieren und spezialisieren, werden dringend benötigt. Wenn Menschen möglichst selbstständig ihre kreativen Potenziale zum Wohle der Gemeinschaft einbringen können, treibt das eine humane Entwicklung der Gesellschaft voran. Mit einem modernen Selbstständigenrecht würde Deutschland wieder attraktiver werden für hochqualifizierte Fachkräfte, die selbstständig arbeiten, aber keiner unberechenbaren Bürokratie ausgeliefert sein wollen. So würde selbstständige Tätigkeit, als die menschheitsgeschichtliche Urform des Berufs, wieder ihr ursprüngliches Potential entfalten. Das Parlament könnte die Vereinfachung des Selbstständigenrechts mutig vorantreiben und damit ein Beispiel setzen für wirksamen Bürokratieabbau. Dann erfahren die Menschen in unserem Land, dass die Politik nicht die Vergangenheit verwaltet, sondern Zukunft gestaltet.
Du möchtest Kommentare bearbeiten, voten und über Antworten benachrichtigt werden?
Jetzt kostenlos Community-Mitglied werden