Kehrtwende im Bayerischen Wirtschaftsministerium: Entgegen einer früheren Ankündigung werden die Corona-Soforthilfen doch einer genaueren Prüfung unterzogen. Die Briefe und E-Mails, die die fast 300.000 Empfänger der Hilfen in diesen Tagen erhalten, sind für viele ein Schock.
"Einfach einreichen und abhaken" – mit diesem Slogan verzieren bayerische Behörden derzeit E-Mails, Webseiten und Erklärvideos. Für viele Selbstständige wirkt dieser Spruch wie blanker Hohn. In Zeiten von Inflation und Energiekrise fürchten sie nun, vierstellige Beträge aus der Anfangszeit der Corona-Krise zurückzahlen zu müssen – oft zusätzlich zu Rückforderungen der Neustart- und anderer Hilfen, die jetzt fällig werden.
Seit Ende November gehen Briefe und E-Mails an alle Selbstständigen in Bayern, die im Rahmen des Corona-Soforthilfe-Programms von Bund und Ländern Geld erhalten haben. Die Anträge für die Hilfen konnten von März bis Mai 2020 gestellt werden. "Erinnerungsschreiben" steht auf den Briefen, als ob es dazu schon einen vorangegangenen Brief gegeben habe. Erinnert werden soll dem Ministerium zufolge an die Pflicht der Selbstständigen, ihre Prognose vom Zeitpunkt der Antragstellung zu überprüfen und eventuell zu viel erhaltenes Geld zurückzuzahlen, der sie im Rahmen der Antragstellung zugestimmt haben.
Rückmeldeverfahren wurde früher ausdrücklich ausgeschlossen
Dabei wirkte es lange Zeit so, als ob Bayern eher großzügig mit der Frage umgehen würde, ob die beantragten und erhaltenen Soforthilfen exakt so benötigt und verwendet wurden, wie es die Vorgaben vorsahen. Ein allgemeines Rückmeldeverfahren wurde ausdrücklich ausgeschlossen. Der VGSD berichtete damals und sicherte die betreffende Seite des Wirtschaftsministeriums als PDF. "In Bayern wird auch kein allgemeines Rückmeldeverfahren durchgeführt, da die Bewilligungsstellen bereits im Rahmen der Gewährung der Soforthilfen den Liquiditätsengpass zum Teil umfassend geprüft haben", heißt es dort. Den Selbstständigen wurde indirekt Vertrauen ausgesprochen, indem darauf verwiesen wurde, dass die Soforthilfen "beruhend auf seriösen Prognosen der Antragsteller" gewährt worden seien. Hingewiesen wurde auf die Pflicht, wesentliche Abweichungen zu melden und gegebenenfalls Geld zurückzuzahlen. Die Einschätzung sei eigenverantwortlich vorzunehmen.
Bekam Bayern Druck vom Bund?
Von Eigenverantwortung ist nun keine Rede mehr. Warum der Sinneswandel? Begründet wird das Rückmeldeverfahren vom Ministerium mit den Ergebnissen von Stichproben. Die hatte Bayern im Frühjahr 2022 durchgeführt und dabei festgestellt, dass vielen Empfängern die "Verpflichtung zur Überprüfung und gegebenenfalls Rückzahlung zu viel erhaltener Hilfen offenbar nicht bewusst" sei. Gut möglich auch, dass der Freistaat Druck vom Bundeswirtschaftsministerium bekommen hat. Schließlich hat dieser den Großteil der ausgezahlten Gelder bereitgestellt. Dass die Maßnahme unumgänglich sei, habe "die Bundesregierung ausdrücklich klargestellt", heißt es in einer E-Mail aus dem Bayerischen Wirtschaftsministerium, die dem VGSD vorliegt.
Die verschickten Briefe und E-Mails enthalten einen QR-Code, mit dem die Angeschriebenen auf eine Webseite des Bayerischen Wirtschaftsministeriums kommen. Dort findet sich neben Erläuterungen und FAQs eine "Online-Berechnungshilfe", in die die Betroffenen drei Zahlen eintragen sollen: Ihren "erwerbsmäßigen Sach- und Finanzaufwand" im fraglichen Zeitraum und ihre in dieser Zeit "erzielten Einnahmen" – die Differenz ergibt den "Liquiditätsengpass". Im Fenster darunter ist die "erhaltene Soforthilfe" einzusetzen – ist deren Betrag höher als der Liquiditätsengpass, ergibt sich eine "Überkompensation", die zurückzuzahlen ist. Dafür haben die Betroffenen bis zum 30. Juni 2023 Zeit.
Hilfe nur für gewerbliche Ausgaben
Für das zweite Halbjahr 2023 hat das Wirtschaftsministerium dann ein zweites Rückmeldeverfahren geplant, in dem diejenigen angeschrieben werden, die auf das aktuelle Schreiben nicht reagieren. Wer dann mit einer "Überkompensation" erwischt wird, hat ein Strafverfahren zu befürchten.
Die auf der Seite des Bayerischen Wirtschaftsministeriums angegebene Hotline ist zurzeit überlastet. Denn mit "Einfach einreichen und abhaken" dürfte es in der Regel nicht getan sein. Was in die schlicht benannten Felder "erwerbsmäßiger Sach- und Finanzaufwand" und "erzielte Einnahmen" einzutragen ist, muss gründlich berechnet und dokumentiert werden. Belege sind nicht einzureichen, müssen aber für eine eventuelle Nachprüfung aufbewahrt werden. Beim Berechnungszeitraum sind unterschiedliche Betrachtungen möglich: Wer seinen Antrag beispielsweise am 21. März gestellt hat, kann entweder den Zeitraum den Zeitraum 21. März bis 21. Juni oder die Kalendermonate März, April, Mai zugrunde legen. Unter bestimmten Umständen können oder müssen auch davon abweichende Zeiträume herangezogen werden. Offen blieb zunächst auch die Frage, ob für die Abgrenzung von Zahlungen das Datum des Zahlung oder der Rechnungsstellung entscheidend ist.
Und es bleibt das Problem, dass die Hilfen nur für gewerbliche Ausgaben gewährt wurden, nicht für private Lebenshaltungskosten – für diese wurden die Selbstständigen an Hartz IV verwiesen, was wir als VGSD immer wieder angeprangert haben.
Der Screenshot zeigt, wie die Berechnungshilfe funktioniert: In unserem Beispiel hat die selbstständig tätige Person einen "erwerbsmäßigen Sach- und Finanzaufwand" von 3.500 Euro. Das können unter anderem sein: Miete für gewerblich genutzte Räume (nicht für die Privatwohnung, abgesehen vom steuerlich absetzbaren Arbeitszimmer), Leasingraten, Ausgaben für Versicherungen, Wareneinkauf, Elektrizität, Instandhaltung, Steuerberater. Nicht dazu gehören Ausgaben für Personal, und ausdrücklich nicht solche für die private Miete und eigene Lebenshaltung. (Weitere Details hierzu im FAQ des bayerischen Wirtschaftsministeriums unter Punkt 3.4.)
In unserem Beispiel stehen den Ausgaben von 3.500 Euro Einnahmen in Höhe von 1.250 Euro gegenüber. Damit beläuft sich der Liquiditätsengpass auf 2.250 Euro. Nur in dieser Höhe durfte Soforthilfe bezogen werden. Wenn, wie im Beispiel, Soforthilfe in Höhe von 4.000 Euro gewährt wurde, besteht eine Überkompensation von 1.750 Euro, die zurückgezahlt werden muss. Die Einnahmen von 1.250 Euro müssen vollständig für die Kosten eingesetzt werden, auch wenn die selbstständig tätige Person davon noch keine private Miete und kein Essen bezahlen konnte.
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