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Lesetipp Unter der Lupe Was steht im Koalitionsvertrag … über das Statusfeststellungsverfahren?

Gleich an zwei Stellen im schwarz-roten Koalitionsvertrag nimmt sich die neue Regierung eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens (SFV) vor. Wir haben die Formulierungen für euch unter die Lupe genommen.

Wir haben die geplante Reform des Statusfeststellungsverfahrens für euch unter die Lupe genommen

"Wir werden durch eine wirksame Reform des Statusfeststellungsverfahrens die Rechtssicherheit für Selbstständige und ihre Auftraggeber schaffen" (Zeile 355 f.) heißt es gleich im ersten, der Wirtschaftspolitik gewidmeten Kapitel 1.1. des Koalitionsvertrags unter der Zwischenüberschrift "Mittelstand, Handwerk und Selbstständige". Die Formulierung stand wortgleich bereits im geleakten Papier der AG 2 (Wirtschaft), deren Teilnehmer von beiden Seiten waren sich darüber also einig.

Doppelt genäht hält besser

Es ist gut, dass die an den Verhandlungen in dieser AG beteiligten Wirtschaftspolitiker, von denen sicher einige im künftigen Wirtschaftsausschuss des Bundestags sitzen werden, sich für eine SFV-Reform verantwortlich fühlen. Wichtig ist auch, dass im Text "werden" steht und nicht "wollen". Auch über das Wort "wirksam" freuen wir uns, denn es gab bereits im April 2022 eine SFV-Reform, die jedoch nach einhelliger Experten-Meinung nicht wirksam war. Im Gegensatz dazu soll die nächste Reform also tatsächlich zu mehr Rechtssicherheit führen.

Die Federführung hat bei einer SFV-Reform allerdings nicht das Wirtschafts-, sondern das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Im Koalitionsvertrag steht in Kapitel 1.2. ("Arbeit und Soziales") folgendes über die geplante Reform:

"Wir werden das Statusfeststellungsverfahren zügig im Interesse von Selbstständigen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Unternehmen schneller, rechtssicherer und transparenter machen, zum Beispiel auch mit Blick auf die Auswirkungen des Herrenberg-Urteils. Scheinselbstständigkeit wollen wir verhindern. Zur Beschleunigung führen wir eine Genehmigungsfiktion ein, die im Zuge der Reform der Alterssicherung für Selbstständige umgesetzt wird." (467 ff.)

Was die Sozialpolitiker in den Vertrag geschrieben haben

Auch hier ist erfreulicherweise von "werden" und nicht von "wollen" die Rede. Wir freuen uns auch über das Wort "zügig", die Reform hat also eine gewisse Dringlichkeit. Dass die Veränderung nicht nur im Interesse von Selbstständigen und Unternehmen, sondern auch von Arbeitnehmer/innen stattfindet, dürfte die Handschrift der SPD sein: Eine Reform darf nicht zulasten tatsächlich abhängig Beschäftigter stattfinden. Ähnlich verhält es sich mit dem Satz "Scheinselbstständigkeit wollen wir verhindern".

Das Verfahren soll nicht nur rechtssicherer werden, sondern auch schneller und transparenter. In dem geleakten Papier der AG 5 (Arbeit und Soziales, Teilnehmer/innen) endete der entsprechende Satz noch mit  "transparenter machen (Herrenberg-Urteil)." Die final gewählte Formulierung macht deutlich, dass es bei der Reform darum geht, konkret auch die negativen Folgen des Herrenberg-Urteils zu überwinden, aber dass dies nur ein Beispiel ist, es also nicht nur um den Bildungsbereich geht.

Genehmigungsfiktion soll wichtige Rolle spielen – hier und insgesamt

Im Vertrag steht auch, wie der Geschwindigkeitsgewinn erreicht bzw. erzwungen werden soll: "Zur Beschleunigung führen wir eine Genehmigungsfiktion ein, die im Zuge der Reform der Alterssicherung für Selbstständige umgesetzt wird."

Im AG-Papier hieß es noch "prüfen wir die Einführung einer Genehmigungsfiktion", hier ist man bei der Überarbeitung im Rahmen der anschließenden Verhandlungen in der "19er-Runde" also verbindlicher geworden. Eine Genehmigungsfiktion bedeutet: Entscheidet eine zuständige Behörde nicht innerhalb einer bestimmten Frist über eine beantragte Genehmigung, so gilt diese als erteilt. Man spricht auch von einem fiktiven Verwaltungsakt (vgl. § 42a Verwaltungsverfahrensgesetz).

Die Koalition spricht an mehreren Stellen ihres Vertrags davon, Genehmigungsfiktionen häufiger einsetzen zu wollen, zum Beispiel bei Zeile 342 ff.: "Seit vielen Jahren führt die Regelung über die Genehmigungsfiktion ein Schattendasein in den Verwaltungsverfahrensgesetzen von Bund und Ländern, weil diese Fiktion jeweils spezialgesetzlich angeordnet werden muss. Daher soll diese Fiktion in Zukunft gelten, sofern sie nicht spezialgesetzlich ausgeschlossen wird." Sie soll eines der Mittel sein, um das 25-Prozent-Bürokratie-Abbauziel der Koalition zu erreichen (vgl. Zeile 1.950). So konkret wie beim SFV wird der Koalitionsvertrag bezüglich der Genehmigungsfiktion aber an keiner anderen Stelle.

Die Kröte: Verknüpfung mit Einführung einer Altersvorsorgepflicht

Als Kröte für die verbindliche Einführung einer Genehmigungsfiktion mussten die Unionsverhandler vermutlich den zweiten Satzteil akzeptieren: "die im Zuge der Reform der Alterssicherung für Selbstständige umgesetzt wird". Mit ihm wird die Einführung der Verwaltungsbeschleunigung und damit wahrscheinlich der SFV-Reform insgesamt mit der Einführung einer Altersvorsorgepflicht für Selbstständige verknüpft.

Im AG-Papier hatte in roter Farbe die folgende "ungeeinte" SPD-Forderung gestanden: "Wir wollen im Zusammenhang mit der Einführung einer Altersvorsorge für Selbständige die Handhabung der allgemeinen Regelung über den sozialversicherungsrechtlichen Status von Erwerbstätigen mit einer vereinfachten Abgrenzung für alle Branchen erleichtern." 

Ärgerlich finden wir übrigens die Formulierung "Einführung einer Altersvorsorge für Selbstständige", die unterstellt, dass Selbstständige generell keine Altersvorsorge hätten. Und das von Politikern, die an anderer Stelle viel Gewicht auf nicht-diskriminierende Formulierungen legen.

Was die Union nicht durchsetzen konnte

Nicht durchsetzen konnte sich die Union mit ihrer im AG-Papier blauen, also ungeeinten Forderung: "Wir wollen, dass künftig eine neutrale Stelle entlang klarer und transparenter Kriterien prüft, ob eine Selbstständigkeit vorliegt oder nicht." Dahinter steht der Verdacht, dass die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung ein erhebliches Eigeninteresse an einer Statusfeststellung im Sinne abhängiger Beschäftigung hat, weil sie dann hohe Beitragsnachforderungen an Auftraggeber stellen kann, ein Milliardengeschäft.

Seit langem fordern wir, dass dieser Interessenkonflikt beseitigt wird. Es freut uns, dass die Union diese Forderung aufgenommen hat, auch wenn sie sich damit leider nicht durchsetzen konnte. Schade finden wir auch, dass die Formulierung "entlang klarer und transparenter Kriterien" es nicht in den finalen Vertrag geschafft hat. Was kann man eigentlich gegen "klare und transparente Kriterien" haben?

Zum Vergleich: Das stand im Ergebnispapier der AG 5 ("Arbeit und Soziales")

Aus dem geleakten Papier der AG 5. Anstelle roter und blauer Schriftfarbe haben wir "SPD" bzw. "Union" vorangestellt:

"Wir werden das Statusfeststellungsverfahren zügig im Interesse von Selbständigen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Unternehmen schneller, rechtssicherer und transparenter machen (Herrenberg-Urteil). Scheinselbstständigkeit wollen wir verhindern. Zur Beschleunigung prüfen wir die Einführung einer Genehmigungsfiktion. 

[Union: Wir wollen, dass künftig eine neutrale Stelle entlang klarer und transparenter Kriterien prüft, ob eine Selbstständigkeit vorliegt oder nicht.] 

[SPD: Wir wollen im Zusammenhang mit der Einführung einer Altersvorsorge für Selbständige die Handhabung der allgemeinen Regelung über den sozialversicherungsrechtlichen Status von Erwerbstätigen mit einer vereinfachten Abgrenzung für alle Branchen erleichtern.]"

Vor vier Jahren wurde wenig versprochen und noch weniger gehalten

2021 hatte die Ampel Folgendes zum SFV in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: "Nach der aktuellen Reform des Statusfeststellungsverfahrens führen wir im Lichte der Erfahrungen einen Dialog mit Selbständigen und ihren Verbänden, um dieses zu beschleunigen und zu verbessern. Ziel ist, in der digitalen und agilen Arbeitswelt unbürokratisch Rechtssicherheit zu schaffen."

Das BMAS hatte unter Hubertus Heil den versprochenen Dialog mit uns Selbstständigen jedoch verweigert bzw. immer weiter verzögert, um in der letzten Legislaturperiode keine Reform angehen zu müssen. Erst nach den verheerenden Auswirkungen des Herrenberg-Urteils und seiner einseitigen Interpretation durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) auf den Bildungsbereich organisierte das BMAS einen Dialogprozess, der sich aber auf Auftraggeberverbände und Gewerkschaften beschränkte, was wir gegenüber dem BMAS heftig kritisierten. Zudem führte dieser Prozess nicht zu einer Reform des SFV sondern zu einer Insellösung, die zudem zeitlich befristet ist.

Fazit: Deutlich konkreter als der letzte Koalitionsvertrag

Im Vergleich zum letzten Koalitionsvertrag ist die doppelte Nennung der Reform im Bereich Wirtschafts- und im Bereich Sozialpolitik ein Fortschritt, auch die Verwendung der Worte "wirksam" und "zügig", die klar zum Ausdruck bringen, dass die Reform vom April 2022 nicht wirksam war und es nun zeitnah eine wirksame Reform braucht.

Wann genau die SFV-Reform in Angriff genommen wird und wie entschlossen sie umgesetzt wird, hängt stark davon ab, wer das Ministerium für Arbeit und Soziales führend wird. Und dies wird sicherlich ein/e SPD-Politiker/in sein (vgl. Zeile 4.568). Auch wenn hier noch offen ist, ob Hubertus Heil es behält oder die frühere Gesundheitspolitikerin und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas das Ministerium von ihm übernimmt.

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