Ein "Pool-Arzt" im Notdienst ist nicht automatisch selbstständig – so hat das Bundessozialgericht vor Kurzem geurteilt. Die Begründung ist auch für andere selbstständige Tätigkeiten bedenklich.
Wer außerhalb der üblichen Geschäfts-, sprich Praxisöffnungszeiten ärztliche Hilfe braucht, ohne gleich ins Krankenhaus zu müssen, kann den ärztlichen Notdienst rufen. Damit unter der Rufnummer 116 117 rund um die Uhr Hilfe zu finden ist, müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen einen Notdienst organisieren. Vertragsärztinnen und -ärzte – also diejenigen, die eine Zulassung der Gesetzlichen Krankenkassen haben – sind verpflichtet, sich für die Notdienste zur Verfügung zu stellen.
Trotz dieser Verpflichtung gibt es oft nicht genug Personal für die Notdienste. Andere übernehmen diese Dienste aus unterschiedlichen Gründen gerne: als Zuverdienst, zur Abwechslung, als Überbrückung nach dem Studium oder auch als flexibel gestaltbaren Haupterwerb. Auf diesen "Pool" derer, die freiwillig die Dienste übernehmen können, greifen die Kassenärztlichen Vereinigungen dann für die Besetzung der Notdienste zu, wenn die Verpflichteten nicht ausreichen.
Der Arzt selbst wollte angestellt werden
Die Pool-Ärzt/innen übernahmen die Dienste bislang als Selbstständige. Daran nahm nicht einmal die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Anstoß. Ein Urteil des 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Oktober wirft dies nun über den Haufen (Aktenzeichen B 12 R 9/21 R). "Pool-Arzt im vertragszahnärztlichen Notdienst nicht automatisch selbstständig", lautet das Urteil.
In diesem Fall war es der Arzt selbst, der nicht als selbstständig angesehen werden wollte: Die DRV hatte ihn als selbstständig eingestuft. Er selbst sah das anders, legte Widerspruch ein und klagte schließlich darauf, als Angestellter behandelt zu werden. Doch auch das Sozialgericht Stuttgart und das Landessozialgericht Baden-Württemberg wiesen ihn zurück. Erst in Kassel vor dem BSG bekam der Arzt schließlich Recht.
"Es geht gar nicht um die einzelnen Kriterien"
Das BSG urteilte, der Arzt sei in die von Kassenzahnärztlichen Vereinigung organisierten Abläufe eingegliedert gewesen. Abgesehen von der medizinischen Behandlung sei er fremdbestimmt gewesen. Er habe einen Stundenlohn erhalten, keinen Verdienstausfall zu befürchten gehabt und sei keinem unternehmerischen Risiko ausgesetzt gewesen. Der Arzt sei in den von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung angemieteten Räumen tätig und auf die dortige materielle Ausstattung angewiesen gewesen. Das Gericht stellte deshalb Versicherungspflicht in der Rentenversicherung fest.
Das Urteil steht in einer Reihe mit früheren "Ärzte-Urteilen", bei denen schon Notärzte (2021) und Honorarärzte (2019) für scheinselbstständig erklärt wurden. Doch die Scheinselbstständigkeits-Problematik betrifft alle Selbstständigen, nicht nur Ärzte. "Es geht gar nicht um die einzelnen Kriterien", sagt Nicolai Schäfer, Vorsitzender des Bundesverbands der Honorarärzte. "Eigentlich geht es um eine politische Debatte, die auf der Ebene der Sozialgerichte geführt wird. Es fehlt an einer eindeutigen gesetzlichen Definition, was Selbstständigkeit ist."
BSG höhlt schwache Definition weiter aus
Schließlich ist Selbstständigkeit dadurch definiert, was jemand nicht ist: Nicht weisungsgebunden und nicht in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers eingebunden. Und selbst diese schwache "Definition" wird nun vom BSG weiter ausgehöhlt, wie Kathi-Gesa Klafke, Rechtsanwältin und Scheinselbstständigkeits-Expertin bei der Kanzlei Jura Ratio in Berlin, erklärt. "Der 12. Senat des BSG hat sich vom Gesetzeswortlaut inzwischen deutlich entfernt und die freie Mitarbeit praktisch abgeschafft, jedenfalls sozialrechtlich", sagt Klafke.
In § 7 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs heißt es: "Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers." Nun scheint das "Und" in dem aktuellen Urteil keine Rolle mehr zu spielen, sondern das Gericht urteilt, als ob im Gesetz ein "Oder" stände, meint Klafke. Das Gericht hätte der Frage der Weisungsgebundenheit nach Klafkes Meinung mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. "Dem BSG genügt allein die Tätigkeit in fremden Räumlichkeiten und die Zusammenarbeit mit fremdem Personal. Das lässt sich auf jegliche Solo-Selbständigen übertragen, die in fremden Räumlichkeiten tätig werden oder mit Dritten zusammenarbeiten, um ihren Auftrag zu erfüllen", sagt Klafke.
Solo-Selbstständige brauchen Rechtssicherheit
Ein weiteres Urteil also, das Rechtsunsicherheit für Selbstständige bringt. Das Thema ist aus gutem Grund an oberer Stelle in unserer politischen Agenda. Wir wollen den Druck auf die Regierung weiter erhöhen, damit der Lebensentwurf von Solo-Selbstständigen nicht weiterhin ständig in Frage gestellt wird. Es ist wichtig, dass Solo-Selbstständige rechtssicher beauftragt werden können und der Arbeit, die sie mit Überzeugung und Herzblut machen, nachgehen können.
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