Im „Bürgerdialog“ spricht die Bundeskanzlerin in loser Reihe mit Vertretern verschiedener Bereiche über ihre Sorgen und Nöte. In der vergangenen Woche verabredete sie sich mit insgesamt 14 Kunst- und Kulturschaffenden aus den Bereichen wie Schauspiel, Buchhandel, Kino, Klassik und Booking zum digitalen Gespräch. Mit dabei war VGSD-Mitglied und Musikerin Christina Lux. Ab Minute 44:29 konnte sie der Kanzlerin ihre Forderungen und ihre Sicht der Dinge darlegen.
Wir haben Christina interviewt, um zu erfahren, wie es für sie war, mit Angela Merkel ins Gespräch zu kommen.
VGSD: Liebe Christina, herzlichen Glückwunsch, dass du ausgewählt wurdest, um mit der Kanzlerin zu sprechen. Wie kam es dazu?
Christina: Ich bin Mitinitiatorin der Kulturinitiative 21. Wir sind Kulturschaffende aus verschiedenen Bereichen und bündeln unsere Anliegen, verfassen offene Briefe an die Regierung und sammeln das, was vor sich geht. Letzte Woche kam die Anfrage über den Landesmusikrat NRW und den deutschen Musikrat, ob ich beim Bürgerdialog mit der Kanzlerin dabei sein will. Diese Chance, für uns alle Gehör zu bekommen, wollte ich nutzen.
5 Minuten Redezeit mit der Kanzlerin
VGSD: Was konntest du konkret fordern?
Christina: Ich habe mich in meiner etwa 5-minütigen Redezeit auf die Kompensation der Ausfälle und auf das auch für Kultur schaffende Soloselbstständige völlig ungeeignete ALG 2 konzentriert. Die Kanzlerin sprach von der tollen Möglichkeit der Grundsicherung mit vereinfachtem Zugang (der oft nicht gewährt wird), die für mich keine ist. Existenzminimum zu erhalten ist nicht das, was wir brauchen. Wir brauchen Möglichkeiten, um unsere Unternehmen zu erhalten.
Außer der November- und Dezemberhilfe hat keine Hilfe mit der Kompensation von Umsatzeinbrüchen oder nur annähernd dem Erhalt des früheren Einkommens zu tun, geschweige denn mit einem Unternehmerlohn. Viele Musikerinnen und Musiker fallen aus den Hilfsprogrammen heraus, weil sie z.B. sowohl unterrichten als auch auf der Bühne tätig sind und damit die geforderten 51 Prozent künstlerische Tätigkeit nicht erreichen. Ihre Einbrüche sind aber dennoch massiv. Betriebskostenersatz hilft uns wenig, denn unsere Betriebsstätte ist meist daheim. Die Überbrückungshilfen haben nur Betriebskosten abgefedert. NRW hat dort immerhin 1.000 Euro Unternehmerlohn eingebaut.
"Der Verweis auf die Grundsicherung ist eine Zumutung"
Die Neustarthilfe greift erst mit der Maximalsumme von 1.250 Euro ab einem Netto-Einkommen des Referenzwertes des Vergleichsjahres 2019 von etwa 35.000 Euro. Ein großer Teil der Künstlerinnen und Künstler erreicht das nicht und bekommt nur eine Teilsumme oder fällt ganz raus. (Der Referenzwert entspricht dem sechsmonatigen Netto-Umsatz des Jahresumsatzes 2019). Der andere Teil, der mehr verdient hat, bleibt dennoch immer nur bei 1.250 Euro pro Monat. Damit wird nur ein Bruchteil dessen ersetzt, was vorher verdient wurde. So ist diese Hilfe sowohl für Geringverdiener als auch für die „größeren“ Künstlerinnen und Künstler echt schwierig.
VGSD: Was dachtest du, als die Kanzlerin Künstler auf die Grundsicherung verwiesen hat?
Christina: Die Bundeskanzlerin sprach kurz von der Hürde in Grundsicherung zu gehen. Es ist für mich keine Hürde, es ist eine Zumutung, mir nach 37 Jahren Berufsleben als Musikerin, in denen ich mir ein stabiles Einkommen aufgebaut habe und auch nicht zu knapp Steuern bezahlt habe, zu sagen: Du bekommst jetzt die absolute Notversorgung. Ich bin Teil des Systems, wie jeder Angestellte auch. Grundsicherung ist toll für Leute, die Nothilfe brauchen, aber nicht für Menschen, die eben nicht arbeitslos, sondern von Corona bedingten Schließungen betroffen sind. Man opfert Soloselbstständige und legt zugleich der Industrie kaum Regeln auf. Man geht inzwischen von etwa 150.000 Soloselbstständigen weniger aus in 2021.
"Kanzlerin kennt sich aus"
VGSD: Hattest du den Eindruck, dass die Kanzlerin die Not der Branche nachfühlen kann?
Christina: Ich halte die Kanzlerin durchaus für empathisch. Sie kennt sich in vielen Bereichen erstaunlich gut aus und wusste fast immer, von was die Rede war, wenn die Wortmeldungen kamen. Allerdings wissen sie und das Wirtschaftsministerium über viele Feinheiten nicht Bescheid, die das Leben eines Freiberuflers und die Auswirkungen der Schließungen angeht. Deshalb ist ja die Kommunikation mit dem Wirtschaftsministerium so enorm wichtig. Einige Dinge konnten durch die Arbeit von Verbänden und Kulturräten ja auch bereits bewegt werden, etwa die Erhöhung der Neustarthilfe.
VGSD: Gab es seitens der Kanzlerin Lösungsmöglichkeiten?
Christina: Nichts Konkretes. Sie wolle Dinge weiterleiten. Ich habe das allerdings auch nicht erwartet. Es ging darum, Aufmerksamkeit zu schaffen. Jetzt müssen wir konkret Forderungen formuliere in direkten Gesprächen oder in Briefen, damit es nicht verpufft.
VGSD: Bist du zufrieden mit dem Verlauf des Bürgerdialogs?
Christina: Dass sie sich die Zeit nimmt für diese Gespräche, dafür habe ich Respekt. Denn ich denke, auch wenn so mancher böswillig ein Alibigespräch unterstellt, es geht nur über direkte Begegnung. Man muss etwas daraus machen. Am Ende sind es die Menschen, die vielleicht einen Eindruck hinterlassen haben, der zum Nachdenken bewegt. Mit Gesichtern und Namen, und nicht nur durch Worte auf Papier.
Der Schmerz, nicht spielen zu können, sitzt tief
VGSD: Wie geht es dir persönlich?
Christina: Abgesehen von den finanziellen Dingen sitzt der Schmerz, nicht spielen zu können, tief. Egal welche Anstrengungen mit optimaler Lüftung, Abstand und Tests Veranstalter unternehmen, es gibt keine Bewegung, während die Menschen in überfüllten Bahnen in ihr Großraumbüro fahren und aufeinander hocken. Man weiß inzwischen, dass die Ansteckungsgefahr dort 8-fach erhöht ist im Vergleich zu einer vernünftigen Kulturveranstaltung. Die Kulturbranche wird Jahre brauchen, um sich vollständig zu erholen. Sehr dankbar bin ich für die beiden Stipendien, die das Land NRW auf die Füße gestellt hat und für die unfassbar tolle Hilfe meiner Lauscher, ohne die das alles echt bitter wäre. Wichtig wäre auch, dass solche Hilfen wie Stipendien auch bundesweit gleichermaßen für alle zur Verfügung stünden, was leider nicht der Fall ist.
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