Das Arbeitsministerium ist mit dem Anspruch angetreten, durch neue Kriterien mehr Rechtssicherheit herzustellen, indem von Gerichten entwickelte Kriterien vorgeblich gesetzlich festgeschrieben würden.
Alle Arbeitsrechtler, die sich bisher zum Gesetzesentwurf geäußert haben, stellten ihm allerdings ein vernichtendes Zeugnis aus: Sie sind sich einig darin, dass der Entwurf eben gerade nicht für mehr Klarheit sorgt und von den Kriterien und Gewichtungen, die vom Bundesarbeitsgericht entwickelt wurden, willkürlich abweicht und damit letztlich die die Rechtsunsicherheit weiter erhöht.
Das wird schon darin deutlich, dass der Gesetzesentwurf keine Aussage zur Gewichtung oder zur Zahl der Kriterien macht, die gegeben sein müssen, damit eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Viele Selbstständige würden sich das wünschen.
Für eine solche schematische Regelung sind die Kriterien des BMAS allerdings auch viel zu wenig trennscharf. Das Problem wird anhand der folgenden Beispiele deutlich:
- 96% der „echten“ Selbstständigen verletzen mindestens eines der zehn von uns abgefragten Kriterien
- Im Schnitt verletzen echte Selbstständige 3,7 und Scheiselbstständige 6,2 Kriterien
- 9% der Scheinselbstständigen, aber immerhin noch 1% der echten Selbstständigen verletzen 9 oder 10 Kriterien
Je nach Anzahl der Kriterien, die für eine "Scheinselbstständigkeit" mindestens zu erfüllen sind, sind 40% bis 85% der als scheinselbstständig Klassifizierten in Wahrheit "echt" selbstständig
Rechenbeispiel hierzu: Wenn mindestens 9 der 10 Kriterien verletzt sein müssten, würden 9% der Scheinselbstständigen als solche erkannt, aber zugleich fälschlicherweise 1% der echten Selbstständigen von der DRV zu Scheinselbstständigen erklärt. Aufgrund des viel größeren Anteils dieser echten Selbstständigen (80,8% gegenüber 13,5%, vgl. oben) würde das dazu führen, dass 40% der von der DRV als scheinselbstständig Klassifizierten in Wahrheit echt selbstständig ist, also quasi zu Unrecht „verurteilt“ werden.
- Falls bereits ab sieben verletzten Kriterien eine Einordnung als scheinselbstständig erfolgen würde, wären unter den als scheinselbstständig Klassifizierten nur 40% tatsächlich scheinselbstständig und 60% „unschuldige“ echte Selbstständige.
- Bei fünf und mehr Kriterien steigt der Anteil der „unschuldigen“ echten Selbstständigen an allen als scheinselbstständig Klassifizierten auf 72%.
- Bei drei und mehr Kriterien liegt der Anteil der „Justizopfer“ bei 80% und
- sollte ein Kriterium für eine "Aburteilung" ausreichen, so wären 85% zu Unrecht als scheinselbstständig klassifiziert.
Es wird mehr Kollateralschaden verursacht als Missbrauch erkannt
Auch unter Verwendung der neuen Kriterien wird also fast ebenso viel oder mehr Unrecht neu geschaffen wie Missbrauch erkannt. Und je mehr Scheinselbstständige man als solche „enttarnen“ möchte, um so höher der Anteil des Kollateralschadens.
Aus diesem Grund fordert der VGSD ein Umdenken in Hinblick auf die Kriterien: Statt vager Negativkriterien sollten möglichst konkrete Positivkriterien eingeführt werden, bei deren Vorliegen sicher und ohne langatmiges Statusfesstellungsverfahren von einer Selbstständigkeit ausgegangen werden kann.
Die Positivkritierien sollten sich an den politischen Zielen der Regierung in Hinblick auf die Selbstständigen orientieren (z.B. Nachweis einer hinreichenden Altersvorsorge, ausreichende Honorarhöhe zur Abdeckung sozialer Absicherung, ggf. branchenspezifische Regelungen, sicher stellen, dass Vereinbarungen nicht unfreiwillig oder aufgrund von Informationsmangel zustande kommen etc.). Auf diese Weise würden positive Regelungsziele erreicht.
Hilfreich könnte auch ein Blick über die Grenzen unseres Landes hinaus sein: Auch in anderen Ländern wird viel über Scheinselbstständigkeit diskutiert, aber es gelingt dort den Politikern im Dialog mit den Selbständigen pragmatische Lösungen zu finden.
Zur Petition für mehr Rechtssicherheit
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