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Warum bist du selbstständig? - David Erler, freiberuflicher Konzertsänger, entscheidet selbst, für wen und für was er arbeitet

David Erler ist seit 2006 freiberuflicher Konzertsänger

Warum um alles in der Welt hast du dich selbstständig gemacht? Was beglückt dich in deinem Business, was treibt dich an? Warum bist du trotz aller Hindernisse Unternehmerin oder Unternehmer – und willst es auch bleiben?

Das wollten wir von dir wissen und haben auf unseren Aufruf hin mehr als 60 spannende Geschichten erhalten. Viele davon werden wir vorstellen. Heute erzählt David Erler seine Geschichte. Viele von euch kennen David wahrscheinlich bereits von seiner erfolgreichen Petition "Hilfen für Freiberufler und Künstler während des #Corona-Shutdowns", die über 290.000 Unterstützer und Unterstützerinnen fand.

Ich heiße David Erler, ich bin freiberuflicher Konzertsänger auf dem Gebiet der klassischen Musik, spezialisiert auf Barockmusik. Daneben arbeite ich ebenso freiberuflich als Herausgeber von Notenausgaben für einen renommierten Musikverlag. Meine jetzige Selbstständigkeit habe ich im Alter von 25 Jahren unmittelbar nach Beendigung meines Studiums im Jahr 2006 begonnen – wobei die Grundlagen mit ersten Kontakten und Engagements schon während des Studiums gelegt wurden.

Für meine Stimmlage gibt es keine festen Stellen

Die Selbstständigkeit kam fast zwangsläufig, denn für meine Stimmlage gibt es nicht wirklich Stellen und der Konzertbetrieb in dem Sektor, in dem ich meinen Lebensunterhalt verdiene, basiert fast ausschließlich auf Freiberuflichkeit: Für ein Projekt werden die jeweils passenden beziehungsweise gewünschten Musiker und Sänger zusammengestellt, man trifft sich zum Proben und gibt anschließend ein oder mehrere Konzerte und produziert vielleicht eine CD.

Mit dem Abschluss des Projekts endet auch die Zusammenarbeit, und jeder geht an sein nächstes Projekt. Die Engagements richten sich also vollständig am Bedarf aus: Welches Musikstück wird aufgeführt? Welche Besetzung wird gebraucht? Welche konkreten Ausführenden wünschen sich Organisator, künstlerischer Leiter, Festivaldramaturg oder Ähnliche? Danach wird die Besetzung zusammengestellt. Das A und O ist also die Qualität der eigenen Arbeit einerseits, die Vernetzung innerhalb der Szene und das „Kennen der richtigen Leute“ andererseits – Letzteres ist dabei fast wichtiger. Und jedes Projekt ist zugleich auch immer eine Bewährungsprobe, ein „Vorstellen“ für Zukünftiges.

Extreme Flauten und Stimmkrisen als Herausforderungen

Ich hatte in der Selbstständigkeit durchaus mit Herausforderungen zu kämpfen, zum Beispiel mit der Unvorhersehbarkeit der Auftragslage. Es hat mehrere Jahre gebraucht, bis ich auch für mich selbst realisiert hatte, dass das nötige Einkommen am Ende des Jahres stimmt und ausreicht, selbst wenn es zwischendurch extreme „Flauten“ gegeben hatte. Zu verstehen und vor allem zu glauben, dass die guten Monate am Ende die schlechten immer ausgeglichen hatten, das hat eine ganze Weile gedauert.

Außerdem bin auch ich nicht von Stimmkrisen verschont geblieben. Der Körper verändert sich, die Hormone ändern sich, und ebenso ändert sich auch die Stimme und die „Feinmotorik“ des Stimmapparats. Das ist im ersten Moment eigenartig, ungewohnt, ja mitunter erschreckend, weil das „körpereigene Instrument“ plötzlich nicht mehr so funktioniert, wie man das normalerweise kennt. Hierbei dann nicht den Mut zu verlieren, sondern trotzdem an sich zu glauben und die nötigen „Stellschrauben“ zu finden, daran zu drehen - mitunter auch mit Hilfe von außen und manchmal auch erst nach mehreren Monaten - auch das war und ist immer wieder eine Herausforderung. Gott sei Dank habe ich diese bisher aber immer recht gut meistern können.

Mein größter Erfolg: Ich kann von meiner Stimme leben

Der größte Erfolg meiner jetzigen Selbstständigkeit war das oben schon Geschilderte: zu bemerken, dass es funktioniert! Dass ich tatsächlich von meiner Hände beziehungsweise meiner Stimme Arbeit leben kann. Und dass das Feedback, das ich bekommen habe, in den allermeisten Fällen meine Berufswahl bestätigt – allein schon in Form von Applaus nach Konzerten, oder wenn Zuhörer sich nach einem Konzert bei mir bedanken und berichten, dass sie persönlich von meinem Gesang berührt worden sind.

Für diese Erfolge war entscheidend, dass ich mich von den erwähnten Herausforderungen nicht von meinem Beruf, den ich als Berufung empfinde, habe abbringen lassen.

Die Selbstständigkeit gibt mir vor allem Freiheit und Selbstbestimmung – über das, was ich tue, und auch über das, was ich nicht tue. Ich kann entscheiden, ob ich ein Projekt annehme oder nicht (selbstverständlich muss ich dabei trotzdem auch den wirtschaftlichen Aspekt im Blick behalten, gewisse Zwänge gibt es also auch hier). Ich kann selbst Projekte kreieren und organisieren. Ich kann das, was ich am besten kann, einsetzen, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ich kann aus beruflichen Gründen reisen, wunderbare Orte und immer neue Menschen und Mitmusiker kennenlernen. Und wenn ich zuhause bin, bin ich eben auch wirklich da – was meine Familie nach anfänglichen Adaptions-Turbulenzen sehr zu schätzen weiß.

Unwissenheit und mangelnde Wertschätzung für das Modell Selbstständigkeit

Die Selbstständigen werden aber leider nicht immer fair behandelt. Besonders ärgere ich mich über die mangelnde Wertschätzung gegenüber diesem Lebens- und Arbeitsentwurf. Kommentare wie „Hättest du halt was Richtiges gelernt!“, wenn es mal nicht so läuft, oder die fast schon klischeehafte Frage „Und was machen Sie beruflich?“ sind da noch fast harmlos. In den vergangenen Monaten habe ich noch wesentlich schärfere Kommentare lesen müssen...

Auch die Politik der derzeitigen Regierung versteht herzlich wenig vom Leben und Arbeiten eines Selbstständigen. „Normal“ ist ein Angestelltenverhältnis – das merkt man schon, wenn man irgendwann einmal ein Formular einer Behörde ausfüllen muss. Dabei gibt es so gut wie immer Probleme, weil ich mich darin als Freiberufler oftmals einfach nicht wiederfinde, meine Lebenswirklichkeit nicht abgebildet sehe.

Trotzdem war die Selbstständigkeit für mich die richtige Entscheidung, weil ich die Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung sehr zu schätzen weiß. Wenn ich mich nicht selbstständig gemacht hätte, wäre ich heute wohl in einem anderen Berufsfeld tätig – aber wer weiß, möglicherweise zwingt mich Corona am Ende und trotz allen Durchhaltewillens doch noch dazu?! Ich hoffe es nicht, aber ich kann es derzeit leider nicht mehr ausschließen. Corona ist tatsächlich die bislang größte Herausforderung an meine Selbstständigkeit.

Ich entscheide als Selbstständiger, wofür ich arbeite

Ich würde anderen trotz aller aktuellen Probleme empfehlen, sich selbstständig zu machen, wenn sie überzeugt sind von dem, was sie tun – und nur dann! Denn wer Sicherheit sucht, der sollte wohl eher nicht selbstständig arbeiten. Ein Angestellter kann selbstverständlich ebenso Erfüllung in seiner Arbeit finden, aber er arbeitet in letzter Konsequenz immer für einen Anderen: seine Firma, seinen Vorgesetzten, etc.

Als Selbstständiger arbeite ich letztlich dafür, wofür ich mich entscheide zu arbeiten: Für mich selbst, für meine Familie, dafür, meinen Lebensunterhalt zu verdienen, für die Gesellschaft, mal für diesen, mal für jenen Auftraggeber – ich bin zunächst nur mir selbst Rechenschaft schuldig, und ich kann das, was ich am besten kann und am liebsten tue, mit Leidenschaft und Herzblut in freier Eigenverantwortung umsetzen. Ich hoffe, dass ich das so weitermachen kann.

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