Nein, diesen Artikel haben wir nicht selbst geschrieben – aber wir können jedes Wort unterschreiben. "Der Spiegel" hat in seinem Extra "Work" darüber berichtet, wie Selbstständigen das Leben schwergemacht wird. Ein Überblick.
So ein Artikel begegnet uns in den "General Interest"-Medien selten: Eine realistische und fundierte Darstellung der Situation von Selbstständigen, die das fatale Vorgehen der Sozialgerichte exakt beschreibt und mit eindrücklichen Beispielen belegt. Hatten wir bei dem Artikel "Kampf gegen die Selbstständigen" in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" im Dezember noch mit der Vermittlung einer Gesprächspartnerin unterstützen können, so kam dieser Artikel ohne unsere Mitwirkung zustande.
Allen, die ein "Spiegel Plus"-Abo haben, sei der Blick hinter die Paywall empfohlen. Für alle anderen hier ein kleiner Überblick.
"Hoffnung, in Rente zu gehen, dahin"
"Ich musste 130.000 Euro an Nachzahlung leisten – innerhalb von vier Wochen", lautet die Überschrift des Artikels. Die Aussage stammt von einem 61 Jahre alten Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen, der auf technische Isolierung spezialisiert ist. Er arbeitete mit Subunternehmern, die als Ein-Mann-Betriebe mit eigenen Autos und eigenem Werkzeug tätig waren – jahrelang ohne Probleme bei der Betriebsprüfung. 2020 wurden zwei seiner Subunternehmer auf einmal als scheinselbstständig eingestuft. Seine Berufung gegen die Deutsche Rentenversicherung (DRV) hatte keinen Erfolg. So musste er innerhalb kurzer Zeit die hohe Nachzahlung leisten. "Meine Hoffnung, langsam in Rente gehen zu können, ist erst mal dahin", zitiert ihn "Spiegel"-Redakteur Florian Gontek.
Unkalkulierbares Risiko
Gontek sprach für seinen Artikel mit dem Fachanwalt Ralf Leiner, der von seinen Erfahrungen berichtet. Beispielsweise mit einer Unternehmerin, die ein Yogastudio eröffnen wollte, in dem Honorarkräfte arbeiten. Der Jurist sah für die Unternehmerin wenig Chancen: "Für Unternehmen ist es mittlerweile ein unkalkulierbares Risiko, Freiberufler zu engagieren – es ist in diesem Land nahezu unmöglich, rechtssicher auf Honorarbasis zu arbeiten", wird Leiner in dem Artikel zitiert. Er hatte offenbar viele Klient/innen aus den verschiedensten Bereichen. "Sie alle dachten, sie seien selbstständig, wurden aber nach einer Betriebsprüfung der deutschen Rentenversicherung als abhängig beschäftigt eingestuft", schreibt Gontek.
Der Artikel erwähnt auch die von uns ebenfalls unterstützte Yoga-Petition, die mehr als 50.000 Unterschriften gesammelt hat. Die Yoga-Lehrerin Veronika Hindera hatte uns darüber berichtet, wie sie plötzlich ihre Honorarkräfte nicht mehr so beauftragen konnte, wie es zuvor jahrelang unproblematisch gewesen war. "Das, was die Sozialgerichte gerade durchsetzen, führt zu einer Vernichtung unzähliger Existenzen", zitiert der "Spiegel" Fachanwalt Leiner und erwähnt vergebliche Anfragen der Redaktion bei Sozialgerichten.
Unvorhersehbarkeit der Bewertung durch die DRV
Seit Jahren kritisieren wir die Rechtsunsicherheit, die das Statusfeststellungsverfahren für Selbstständige mit sich bringt. Seit dem Herrenberg-Urteil von 2022 und der darauf folgenden Anti-Selbstständigen-Offensive der DRV, über die wir ausführlich berichtet haben, hat sich die Entwicklung verstärkt. Es tut gut, diese Einschätzung auch einmal völlig unabhängig von uns in einem renommierten Medium zu lesen:
"Die Krux liegt in der Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit der Bewertung des Sozialversicherungsstatus durch die Rentenversicherung. Was bei einer Prüfung der Deutschen Rentenversicherung früher als korrekt galt, kann Jahre später als Verstoß eingestuft werden. Die finanziellen Folgen sind für die betroffenen Auftraggeberunternehmen verheerend." Wobei wir ergänzen: Nicht nur für die Auftraggeberunternehmen, sondern auch für die Solo-Selbstständigen als Auftragnehmende, die eben nicht mehr beauftragt, in die Arbeitnehmerüberlassung oder in die Festanstellung gedrängt werden. An anderer Stelle heißt es im Artikel: "Sicher können Unternehmen nur sein, wenn sie die Freelancer fest anstellen."
Zitate, denen wir uns anschließen können
Der "Spiegel" hat mit mehreren Betroffenen aus den unterschiedlichsten Bereichen gesprochen, die ihre Fälle schildern. Außer dem oben schon erwähnten Unternehmer erzählen die Geschäftsführerin eines Anbieters von Stadtrundfahrten, eine ehemalige Steuerfachangestellte mit einem Buchführungsbüro und ein pensionierter Ingenieur. Sie berichten von horrenden Nachforderungen, plötzlich geänderter Einstufung von jahrelang unbeanstandeter Praxis, des Endes der Beauftragung von Selbstständigen, der Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit.
Und alle Fallbeispiel strotzen vor Zitaten, denen wir uns vollumfänglich anschließen können:
"Wir benötigen ein Umdenken. Denn letztlich sind die Selbstständigen die Verlierer."
"Die Entwicklung ist katastrophal. Denn Fakt ist: Jeder Soloselbstständige in diesem Land hat ein Problem. Die Problematik ist der Bundesregierung bekannt, aber es fehlt an Lösungen."
"Was das Bundessozialgericht in vergangenen Jahren zu freien Berufen entschieden hat, kommt einem Flächenbrand gleich."
Erzähl dem "Spiegel" deine Geschichte
Hast du Ähnliches erlebt? In seinem Artikel ruft Florian Gontek dazu auf, ihm zu schreiben. Dazu ist seine E-Mail-Adresse angegeben: florian.gontek@spiegel.de Wir freuen uns, wenn du Florian Gontek schreibst – nimm uns dabei gerne auf "Cc".
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