Dieser Frage ging ein Fachgespräch der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin nach mit dem Titel: "Faire Bedingungen für KMU in der Plattformökonomie – rechtliche Handlungsoptionen". Die inhaltsreiche und straff organisierte zweistündige Veranstaltung bot Einblicke in die typischen Probleme von Selbstständigen auf Plattformen wie Amazon Marketplace, eBay, Google, aber auch z.B. HRS und Booking.
Impulsvortrag zur geplanten EU-Verordnung und Stellungnahmen von Experten
Im Mittelpunkt stand ein 30-minütiger Impulsvortrag von Prof. Christoph Busch (European Legal Studies Institute, Universität Osnabrück) gefolgt von jeweils vier fünfminütigen Stellungnahmen des Betriebswirts und SPD-Abgeordneten Falko Mohrs (Mitglied der AG Wirtschaft der SPD-Bundestagsfraktion), von Dr. Nikolaus Lindner, Director Government Relations Ebay GmbH), von Oliver Prothmann (Präsident des Bundesverbandes Online-Handel e.V.) und Dirk Goldenstein (Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen – AGS in der Bayern SPD) und einer anschließenden Diskussion mit den ca. 20 anwesenden Experten von Verbänden, Hochschulen und Ministerien.
Es ist erfreulich, dass sich die SPD hier nicht zum wiederholten Mal mit dem u.E. stark übertriebenen Thema "Crowdworking" beschäftigt hat, sondern mit dem tatsächlich viele Selbstständige umtreibenden Problem, dass Plattformen einerseits immer mächtiger werden (z.B. als Vertriebsplattform), ihre Macht aber oft nicht auf faire und berechenbare Weise einsetzen.
Plattformen nutzen ihre Macht nicht gerade zimperlich
Die Macht der Plattformen wird schon aus wenigen Zahlen deutlich: 25% der Hotelübernachtungen wurden 2017 über Online-Buchungsportale reserviert. 25% des Onlinehandels über Amazon Marketplace abgewickelt. App Stores kontrollieren den Markt für mobile Apps. Plattformen schieben sich allerorten als Gatekeeper zwischen kleine und mittlere Unternehmen und ihre Kunden. Der Zugang zum Kunden und damit die Kundendaten gehen verloren.
Die Plattformen gehen dabei mit ihren gewerblichen Partnern nicht gerade zimperlich um:
- Sie verändern ihre AGB teils ohne vorherige Ankündigung nach dem Prinzip "Friss oder stirb".
- Sie nehmen Produkte aus dem Vertrieb oder sperren Anbieter, ohne nachvollziehbare Begründung und ohne die Möglichkeit, zeitnah zu reagieren.
- Wo Suchergebnisse oder Produkte gerankt werden, geschieht dies in häufig nicht nachvollziehbarer Form.
- Die Bedingungen für den Zugang zu Kundendaten sind oft unklar, die Übertragbarkeit von Kundendaten und -bewertungen beschränkt.
- Manche bieten den Anbietern nicht nur eine Plattform, sondern machen ihnen zugleich selbst Konkurrenz.
- Andere setzen "Bestprice-Klauseln" durch, so dass man den Preis auf der Plattform bei Direktbuchung trotz geringerer Vertriebskosten nicht unterbieten darf.
Missbrauchskontrolle des Kartellamts auf digitale Kundenbeziehungen ausweiten
Unter Juristen wird schon länger diskutiert, wie man die Macht der Plattformen einhegen könnte. Die Monopolkommission hat dazu bereits 2015 das Sondergutachten 68 ("Herausforderung Digitale Märkte") veröffentlicht, das Bundeswirtschaftsministerium ein "Weißbuch digitale Plattformen" (vgl. Kommentar der FAZ) mit vielen Ideen, von denen aber bisher keine umgesetzt wurde. Ähnlich wie die EU-Kommission ist man zurückhaltend bei der Gesetzgebung, weil man Innovationen und insbesondere die heimischen Unternehmen nicht zu sehr behindern möchte.
In Deutschland hat man 2017 das Wettbewerbsrecht an die neuen Rahmenbedingungen der digitalisierten Wirtschaft angepasst: Schon der Austausch von Daten reicht jetzt aus, um von Kundenbeziehungen zu sprechen, Geldflüsse mit dem Endkunden sind nicht mehr nötig, Ein Ansatzpunkt ist also, eventuellen Missbrauch durch die strengere Kontrolle des Kartellamts in den Griff zu bekommen.
EU hat Verordnungs-Entwurf veröffentlicht
Im April 2018 hat die EU den Entwurf einer Verordnung "zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten" veröffentlicht ("EU-Plattform-Verordnung"), auf die Prof. Busch im Folgenden näher einging.
Der Anwendungsbereich ist relativ weit. Er schließt nicht nur Vermittler von Waren und Dienstleistungen (wie Amazon Marketplace, HRS, booking.com) ein, sondern auch Social-Media-Plattformen (z.B. Instagram) und Suchmaschinen (z.B. Google), sofern Käufer oder Verkäufer beteiligt sind, die in der EU zuhause sind.
Kernregelungen der geplanten EU-Plattform-Verordnung
- Die Verordnung fordert von Plattformen Transparenz, klare und eindeutige Formulierung sowie einfache Verfügbarkeit der AGB. Änderungen sollen nur noch nach 15-tägiger Vorabinformation der Nutzer zulässig sein, bei wichtigen Änderungen gelten längere Fristen.
- Die Suspendierung oder Löschung von Accounts muss anhand konkreter Vorfälle begründet werden, die in Frage kommenden Gründe müssen in den AGB benannt sein.
- In Hinblick auf Rankings jeder Art müssen die wichtigsten sie bestimmenden Einflussfaktoren benannt werden. Es muss offen gelegt werden, wenn für ein besseres Ranking Geld bezahlt wurde. Dabei soll jedoch der Schutz von Geschäftsgeheimnissen gewahrt bleiben, so dass keine vollständige Offenlegung des Algorithmus nötig ist. Erläutert werden muss auch, falls eigene Waren und Dienstleistungen des Plattformbetreibers bevorzugt werden.
- Von Prof. Busch bemängelt wurde das Fehlen von Regelungen zur Portabilität von Kundendaten und -bewertungen, weil diese in der Praxis eine große Rolle spielt.
- Paritätsklauseln (Best-Preis-Klauseln) müssen laut Verordnung begründet werden. Bereits bestehende Verbote bzw. Beschränkungen durch Urteile (wie in Deutschland) bleiben unberührt.
- Die Verordnung verpflichtet Anbieter ab 50 Mitarbeiter bzw. ab 10 Millionen Euro Umsatz zur Einrichtung eines internen Beschwerdemanagements sowie zur Benennung eines Mediators zur Schlichtung von Streitigkeiten mit der Plattform.
- Gegen Verletzungen können die Betroffenen aber nicht individuell klagen, dies ist Verbänden und öffentlichen Stellen vorbehalten. Auch Bußgelder sind keine vorgesehen. Aus Sicht von Prof. Busch handelt es sich um eine relativ sanfte Regulierung.
Stellungnahme von eBay: One size doesn't fit all
Dr. Nikolaus Lindner von eBay lobte die Regulierung durch das Kartellamt, diese sei flexbiler und zielgerichteter, wie z.B. dessen Entscheidungen bezüglich Paritätsklauseln zeige. Eigentlich gehe es der EU ähnlich wie bei der DSGVO darum, einen bestimmte Player zu zügeln, dafür schaffe man ein Gesetz, das alle trifft und für viele Rechtsunsicherheit schaffe.
Das Problem, das die meisten Händler beschäftige, seien die Interessenkonflikte, die entstehen, wenn eine Plattform zugleich Plattform und Anbieter sei. Er forderte eine stärker sektorenspezifische Regulierung. Problematisch sieht er die Neigung des Gesetzgebers, Plattformen in die Rolle eines Zensors oder Richters zu drängen und damit auch in eine problematische Situation gegenüber den eigenen Kunden. Die Regulierung sei sehr von Einzelfällen getrieben und nicht aus einem Guß. Die Bedeutung der Plattformen werde mal hoch-, mal runtergespielt, je nachdem was für ein Vorhaben man gerade begründen wolle.
Positiv sieht er, dass die Verordnung erst mal mehr Transparenz schaffe ohne gleich zu sanktionieren.
MdB Falko Mohrs: Liberaler Sozialdemokrat
Der SPD-Abgeordnete Falko Mohrs äußerte sich relativ liberal. Er habe als Betriebswirt großes Verständnis dafür, dass Menschen Geschäfte machen wollten. Er sehe keinen unmittelbaren Bedarf an neuen Gesetzen. Durch die Novellierung des Kartellrechts sei man gut aufgestellt. Eine schlagkräftige Missbrauchskontrolle sei wichtig und erfordere zusätzliche fachliche Kompetenz und auch personelle Verstärkung.
Wichtig sei ihm auch die Diskriminierungsfreiheit für Käufer und Verkäufer auf der Plattform.
Die Einführung eines Algorithmen-TÜVs sieht er kritisch: "Wir fahren gut damit, dass man sich Geschäftsmodelle nicht vorher genehmigen lassen muss." Ein solcher TÜV würde neue Entwicklungen behindern. Eine Offenlegung von Algorithmen sieht er auch vor dem Hintergrund der Entwicklung künstlicher Intelligenz kritisch, da die von ihr verwendeten Kriterien ja gerade intransparent seien und sich häufiger änderten. Zu diesem Thema soll auch eine Enquete-Kommission eingesetzt werden.
Er verteidigte die DSGVO und den Versuch der EU durch neue Verordnungen Wettbewerbsvorteile für europäische Unternehmen zu schaffen.
BVOH: Wünsche der Betroffenen an die Poltik
Oliver Prothmann (Präsident des Bundesverbandes Online-Handel, BVOH) sagte, dass die Verordnung aus seiner Sicht die wichtigsten Problembereiche abdecke, manches wünsche man sich aber "klarer". Viele Regelungen seien von Einzelfällen getrieben (z.B. von eigenen Erlebnissen der Politiker bei Hotelsuchmaschinen) und dann unzulässig verallgemeinert worden. Für die Praxis brauche es differenziertere Regeln, die auch Rücksicht auf die Entwicklungsstufe des Marktes bzw. der Plattformen nähmen.
Die KMU seien in Bezug auf die Plattformen in einer Abhängigkeitsbeziehung. Im schlimmsten Fall würde ein Konto geschlossen (ähnlich: ein Suchergebnis entfernt) und dann falle u.U. ein großer Teil des Unternehmensumsatzes von einem Tag auf den anderen weg. Die Plattformen würden das teils aus nichtigen Gründen nach Gutsherrenart verfügen und es gebe manchmal gar keine Möglichkeiten, ihren Support zeitnah zu erreichen, um z.B. Missverständnisse auszuräumen. Einem gut erreichbaren Beschwerdemanagement mit schnellen Reaktionszeiten komme eine große Bedeutung zu.
Warum Händler einen längeren Vorlauf benötigen
Auch die kurzfristige Änderung von Bedingungen ("ab sofort dürft ihr folgende Marken nicht mehr verkaufen") führe zu großem Schaden, wenn man sich gerade mehrere Monatsvorräte genau dieser Marken auf Lager gelegt hätte. Hier brauche man eher 6-12 Monate Vorlauf als die in der Verordnung vorgesehenen 15 Tage.
Neben größerer Berechenbarkeit forderte er von den Marktplätzen, dass sie konsequenter durchgreifen sollten, wenn ihnen Fehlverhalten genannt wird, z.B. wenn Fälschungen oder Produkte mit Sicherheitsmängeln verkauft werden. Im Bereich des Markenrechts gebe es dafür bereits effektive Mechanismen die auch auf andere Sachverhalte ausgeweitet werden sollten.
Bitte keine Unterschiede zwischen EU-Ländern sowie zwischen online und offline
Eindringlich forderte er, KEINE Unterschiede zu machen zwischen Online- und Offlinehandel sowie zwischen verschiedenen EU-Ländern. Alle Regeln, Fristen usw. sollten exakt gleich sein, denn viele Händler agierten in mehreren EU-Ländern und sowohl on- als auch offline.
Wichtig sei des Weiteren, dass die Plattformen es den Händlern erlaubten, rechtskonform zu handeln, da sie sonst Abmahnungen für Sachverhalte erhalten, auf die sie gar keinen Einfluss haben.
Dirk Goldenstein (AGS Bayern, zudem Rechtsanwalt aus Erlangen) schlug die Einrichtung einer Art Gewerbeaufsicht für Plattformen vor, die Einrichtung von Plattformen in öffentlicher Trägerschaft und das Verbot Dienstleistungen zu vermitteln, wenn die Arbeitsleistung nicht mindestens mit Mindestlohn honoriert wird.
Ich empfand die Veranstaltung als sehr informativ und würde mich freuen, wenn mein Bericht einen schnellen Einstieg ins Thema sowie die geplante Regulierung ermöglicht.
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