Andreas Lutz über die Wahl, vor der wir am Sonntag stehen und was er sich von der neuen Regierung wünscht.
In den gut 75 Jahren seit der ersten Bundestagswahl haben die Farben schwarz, rot, gelb und später auch grün die deutsche Politik geprägt. Die Bundesregierungen bestanden fast ausschließlich aus Union, SPD, FDP und Grünen. Wenn die aktuellen Wahlprognosen recht behalten, werden diese Parteien bei der Wahl am Sonntag gerade noch 63,0 Prozent der Stimmen erhalten. Sollte die FDP an der 5-Prozent-Hürde scheitern, bleiben schwarz-rot-grün übrig, die zusammen nur noch 58,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und sich je nach Wahlausgang in einer Dreierkoalition zusammenschließen müssen, um überhaupt eine Mehrheit bilden zu können.
Die nächste Regierung muss sich zusammenraufen und liefern
Bei einem Bündnis aus drei so unterschiedlichen Parteien wären Konflikte programmiert, ähnlich wie schon bei der Ampel. Der hohe Anteil der Stimmen, die populistische Parteien auf sich vereinen, zwingt zu schwierigen "lagerübergreifenden" Koalitionen aus Parteien, die sich gegenseitig blockieren und denen es schwerfällt, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Wer populistische Parteien wählt, sollte sich klar darüber sein, dass man damit zu dieser Art von Handlungsunfähigkeit beiträgt, obwohl man sich ja vielleicht gerade als Wähler solcher Parteien einen Politikwechsel wünscht.
Das Aufzeigen von Handlungsfähigkeit ist aber das, was nötig ist, um die Bürger zurückzugewinnen. Wenn wir allein schon die Wirtschaftspolitik betrachten oder die Herausforderungen, die sich durch die Trump-Administration ergeben: Egal, wer die nächste Regierung bildet, muss sich unbedingt zusammenraufen, ebenso wie die Staatenlenker auf europäischer Ebene.
Gelingt das nicht, besteht die Gefahr, die in den letzten Wochen von vielen beschworen wurde: Dass in den nächsten vier Jahren die Unzufriedenheit noch größer wird, die politischen Ränder noch stärker werden und bei der übernächsten Bundestagswahl die Parteien der Mitte vielleicht keine Mehrheit mehr zustande bekommen.
Argumente und Lösungsvorschläge statt Zweifel am Charakter anderer, bitte!
Deshalb besorgt es mich, dass es auch bei den etablierten Parteien prominente Vertreter gibt, deren Wahlkampfstrategie vor allem darin besteht, die charakterliche Eignung ihrer Kollegen in Zweifel zu ziehen. Von solcher Art Streit profitieren vor allem die Ränder. Die Bürger haben genug davon!
Ich wünsche mir – zumal angesichts der großen Herausforderungen vor denen wir stehen – eine stärker inhaltliche Auseinandersetzung, ein Ringen um die besten Lösungen, mithilfe überprüfbarer Argumente. Vielleicht ist der Wahlkampf nicht die beste Zeit dafür. Aber wer die politischen Mitbewerber schlecht macht, statt mit Argumenten zu überzeugen, hat bei mir verloren.
Wer hat uns am meisten, wer am wenigsten unterstützt?
Für die Sache der Selbstständigen wäre es ein großer Verlust, wenn die FDP im neuen Bundestag nicht mehr vertreten wäre. Die FDP haben wir in Hinblick auf unsere Anliegen als die offenste und aktivste Partei erlebt. Leider ist auch richtig, dass sie in den letzten drei Jahren von den vielen – an sich für Selbstständige – guten Ansätzen im Ampel-Koalitionsvertrag keine wichtigen durchsetzen konnte. Das dürfte auch einer der Gründe für sie gewesen sein, die Ampel-Koalition vorzeitig zu verlassen. Über die Umstände des Verlassens kann man sich streiten. Die Entscheidung für den Ausstieg halte ich aber für richtig angesichts der Zerstrittenheit der Koalition. Sicher hat sich die FDP vorgestellt, dass es im Wahlkampf und bei der Entscheidung der Wähler stärker um die wirtschaftliche Zukunft des Landes gehen würde und die Wähler hierfür bei ihr eine hohe Kompetenz sehen. Tatsächlich hat die Wirtschaftskrise im Wahlkampf leider nur eine Nebenrolle gespielt.
Die SPD dagegen ist von schwarz-rot-grün-gelb ohne Frage die Partei, von der sich die meisten Selbstständigen in den letzten Jahren am wenigsten unterstützt fühlten. Ihre Arbeitsminister/innen Andrea Nahles und Hubertus Heil haben in den letzten zwölf Jahren durchgängig ein negatives Bild prekärer Selbstständigkeit gezeichnet, um eine Altersvorsorgepflicht zu begründen, die sie immer wieder angekündigt, aber nie umgesetzt haben. Statt dessen hat sich unter ihrer Ägide die Rechtsunsicherheit durch das dysfunktionale Statusfeststellungsverfahren der DRV immer weiter verschlimmert. Auch der Blick ins Wahlprogramm der SPD macht wenig Hoffnung.
Das Wichtigste, wenn die SPD in die Regierung kommt
Zugleich ist die SPD aber auch die Partei, die mit größter Wahrscheinlichkeit zusammen mit der CDU/CSU Teil der nächsten Bundesregierung sein wird. Unser dringendster Wunsch deshalb: Befördert Hubertus Heil - und zwar in ein anderes Amt. Wir brauchen eine/n andere/n Bundesarbeitsminister/in, der/die Selbstständigen offener gegenübersteht. Liebe Union: Wenn das Bundeskanzleramt und das Außenministerium vergeben sind, bitte laut "Arbeitsministerium" rufen!
Ich hatte viele Gespräche im BMAS und habe es bei nicht wenigen Gelegenheiten als "Außenstelle des DGB" erlebt, wenn etwa der anwesende DGB-Bereichsleiter einen BMAS-Mitarbeiter fragte: "Du, Dieter, wir haben doch den Workshop über Selbstständige organisiert, hast du den Dr. Lutz da noch nicht eingeladen?" Oder wenn ein ehemaliger hoher Gewerkschaftsfunktionär mit der Moderation eines Workshops beauftragt wurde und er immer wieder das von den eingeladenen Experten Gesagte auf eine Art und Weise zusammenfasste, dass sich die anderen Anwesenden stirnrunzelnd anschauten, weil die Zusammenfassung mit dem zuvor Gesagten doch sehr wenig zu tun hatte.
Der offensichtlichste Beleg für die Einseitigkeit des BMAS sind die vielen Millionen Euro, die es in das von ver.di betriebene "Haus der Selbstständigen" investiert hat, um eine Konkurrenz zur beitragsfinanzierten BAGSV und ihren Mitgliedsverbänden aufzubauen. Nichts gegen Gewerkschaften, aber leider haben sie einen sehr speziellen Blick auf Selbstständige, der wenig Verständnis für solche lässt, die es gerne und freiwillig geworden sind und es auch gerne bleiben wollen.
Kompetente Beamte und politische Champions für die Selbstständigkeit
Wir wünschen uns nach der Wahl mehr Engagement von Seiten des Wirtschaftsministeriums und des Bundeskanzleramts für unsere 90 Prozent der Unternehmen. Wir brauchen im Kanzleramt und den relevanten Ministerien deshalb Beamte, die sich in der Tiefe mit unseren Anliegen beschäftigen können. Ohne Vermischung der Zuständigkeiten mit dem "Mittelstand" und Start-ups oder auch mit speziellen Wirtschaftsbereichen, denn bei einer solchen Verquickung ziehen wir immer den Kürzeren.
Wir wünschen uns in der Regierung und auch den relevanten Parteien "Champions" für die Selbstständigen, Politiker/innen, die mit Herzblut und Überzeugung für unsere Anliegen und deren Umsetzung wirbt.
Wir hoffen, dass die Union im Fall ihres wahrscheinlichen Wahlsiegs ihre Ankündigung einer Wirtschaftswende wahr macht (und mit ihrem bzw. ihren Koalitionspartner/n wahr machen kann). Vor allem aber wünschen wir uns, dass die nächste Regierung dabei auch die Selbstständigen im Blick hat. Mit den beiden großen Koalitionen unter Merkel nach 2013 haben wir leider keine guten Erfahrungen gemacht. Das muss sich dieses Mal ändern.
Was das für unsere politische Arbeit bedeutet
Egal wie die nächste Regierung zusammengesetzt ist, wir werden nicht weniger, sondern noch mehr Druck machen müssen, um eine selbstständigenfreundlichere Politik durchzusetzen. Den VGSD und die BAGSV so stark wie möglich aufzustellen, breite Bündnisse zu schließen und auf diese Weise eine starke Lobby für Solo- und Kleinstunternehmen zu schaffen, ist deshalb die zentrale Priorität unserer Arbeit.
Was ist eure Meinung? Was sollten die Wähler bei ihrer Entscheidung unbedingt in Hinblick auf die Zukunft der Selbstständigen mitbedenken?
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