Gehörst du zu den 30 Prozent der Wähler, die noch unsicher sind, wen sie am Sonntag wählen sollen? Oder wartest du schon ungeduldig auf die nächste Wahlprognose? Wir stellen hilfreiche Apps und Webseiten vor, die bei der Meinungsbildung helfen können.
Vor zwei Wochen hat die Bundeszentrale für politische Bildung ihren Wahl-O-Mat online gestellt und er wurde millionenfach aufgerufen. Geht es dir genauso wie mir: Einige Fragen, die dort gestellt werden, sind hochrelevant, bei anderen runzelt man die Stirn. Das Ergebnis der Auswertung hat in meinem Fall – wahrscheinlich wegen der Auswahl der Fragen – wenig damit zu tun, welche Partei ich tatsächlich auf meinem Stimmzettel ankreuze.
Inhaltsübersicht
- Real-O-Mat: Orientiert am tatsächlichen Abstimmungsverhalten
- Wirtschaft-O-Mat: 25 Thesen zur Wirtschaftspolitik
- Steuer-O-Mat: Welche Steuern sollten bevorzugt gesenkt werden?
- Wahl-Kompass: der neugierigste Wahl-O-Mat
- WahlSwiper: Tinder für politisch Unentschlossene
- Wahlquiz.de/ches: Welche Partei passt längerfristig zu mir?
- Wahl.chat: Frag dein Wahlprogramm
- Wahlweise: Noch eine KI-Wahlhilfe
- Deinwal: zeigt Übereinstimmungen direkt
- Wahltraut hilft dir kreuzweise
- Agrar-O-Mat speziell für Landwirte
- PolitPro: Wahltrend für die Hosentasche
Ein Gegenmodell ist der Real-O-Mat, denn er schaut nicht auf die Wahlversprechen der Parteien, sondern gleicht das tatsächliche Abstimmungsverhalten der Parteien mit deinen persönlichen Positionen ab. Grundlage sind dabei Anträge und Gesetzentwürfe im Bundestag.
Hinter der Website steht "Frag den Staat", eine Plattform, auf der man öffentlich Fragen an Abgeordnete stellen kann. Sie hat das Abstimmungsverhalten der Parteien zu 20 Themen ausgewertet. Die Parteien haben für oder gegen Anträge und Gesetzesentwürfe gestimmt oder sich enthalten. Auch der Nutzer hat drei Antwortalternativen. Für jede Übereinstimmung gibt es fünf Prozentpunkte, bei 20 Übereinstimmungen also 100 Prozent. Wie beim Original-Wahl-O-Mat kann das Gewicht einzelner Fragen bzw. Thesen verdoppelt werden. Hilfreich: Die genaue Begründung des Abstimmungsverhaltens jeder Fraktion kann man in der Auswertung nachlesen.
Nachteil dieser Methodik: Die Auswertung ist naturgemäß beschränkt auf Parteien, die in der aktuellen Legislaturperiode im Bundestag sitzen. Frageschwerpunkte sind Arbeitsmarkt, Gesundheit, Verteidigung, Migration und Finanzen. Zum Thema Wirtschaft gibt es nur eine Frage, nämlich ob das Lieferkettengesetz ausgesetzt werden soll.
Ausschließlich aus Thesen zum Thema Wirtschaft besteht der Wirtschaft-O-mat, den die Initiative Neue soziale Marktwirtschaft (INSM) entwickelt hat. Er besteht aus jeweils fünf Thesen zu den fünf Themenfeldern Steuern, Arbeit, Soziales, Bürokratieabbau sowie Energie und Umwelt. Hier einige Beispiele für die Thesen, zu denen man drei Wahlmöglichkeiten (Zustimmung, Neutral, Ablehnung) hat: "Überstundenzuschläge ab der 40. Wochenarbeitsstunde sollen steuerfrei sein", "Die Schuldenbremse soll in ihrer jetzigen Form im Grundgesetz beibehalten werden", "Zur Finanzierung der Sozialversicherungen sollen auch Kapitalerträge herangezogen werden", "Beantwortet ein Amt einen Antrag nicht innerhalb einer festen Frist, soll dieser als genehmigt betrachtet werden können", "Der Handel mit CO2-Zertifikaten soll gestärkt werden und innerhalb der Klimapolitik die wichtigste Rolle übernehmen".
Für die eigene Wahl entscheidende Thesen können entsprechend gekennzeichnet werden. Zusätzlich zur Prozentzahl der Übereinstimmung für jede Partei wird bei der Auswertung dann angezeigt, zu welchen Parteien es bei ein oder mehreren wahlentscheidenden Thesen Widersprüche zur eigenen Haltung gibt.
Den Steuer-O-Mat stellt ein privates Unternehmen bereit, nämlich die zu Haufe-Lexware gehörende smartsteuer GmbH, die webbasierte Anwendungen für die Jahressteuererklärung anbietet. Hier kannst du zu 18 Statements mit Zustimmung, Ablehnung oder Neutral antworten. Beispiele: Der Grundfreibetrag soll erhöht werden, (auch hier:) Überstundenzuschläge sollen steuerfrei werden, der Solidaritätszuschlag soll abgeschafft werden, das Kindergeld soll erhöht werden, das Ehegattensplitting soll reformiert werden, der Spitzensteuersatz soll erst ab höheren Einkommen gelten.
Drei Aussagen darf man mit einem Stern versehen und auf diese Weise höher gewichten. Ergebnis ist dann ein Ranking nach prozentualer Übereinstimmung mit den jeweiligen Parteien.
Der Wahl-Kompass ist äußerst neugierig und möchte zunächst Geburtsjahr, Geschlecht, Schulabschluss, zuletzt gewählte Partei, Haushaltstyp, beruflichen Status, Bundesland und Postleitzahl wissen: "Wir würden uns freuen, wenn Sie unsere Forschung mit einer Datenspende unterstützen würden", heißt es auf der Website, anschließend wird dann "streng vertraulich" nach der E-Mail-Adresse gefragt, um den Nutzer zu wissenschaftlichen Politik-Umfragen einladen zu können. Die Auswertung wird aber auch dann angezeigt, wenn man eine Fantasie-Adresse eingibt. Hinter dem Ganzen steht ein Unternehmen aus Amsterdam.
Die 31 Thesen des Wahl-Kompass kann man auf einer Skala von "Stimme vollkommen zu" bis "Stimme überhaupt nicht zu" bewerten oder auch "Keine Meinung" wählen. Beispiele für Thesen: Es soll eine einheitliche Rentenversicherung geben, in die alle einzahlen, Das Rentenniveau soll langfristig mindestens auf dem momentanen Niveau stabilisiert werden, Wohlstand soll von den Reichen zu den Armen umverteilt werden usw.
Anschließend muss man auf einer Skala von 0 bis 10 die Wahrscheinlichkeit bewerten, mit der man elf vorgegebene Parteien wählen wird. Nach der Darstellung des Ergebnis folgen dann noch einmal zahlreiche Fragen: Welche Parteien man am Sonntag wählen wird, ob man in gesellschaftlichen oder beruflichen Vereinen und Organisationen Mitglied ist usw.
Interaktiv die eigene Position herausfinden
Der Clou beim Wahl-Kompass ist die differenzierte Darstellung der Ergebnisse: Das Ranking mit der prozentualen Übereinstimmung zu den Parteien lässt sich interaktiv beeinflussen, indem man die für einen relevanten Themen wie "Regulierung & Finanzen", "Sozialpolitik", "Steuern & Abgaben" usw. mit einem Schalter an- bzw. ausschaltet. Zu jeder These lässt sich visuell anzeigen, welche Parteien zu welchem Grad übereinstimmen.
Namensgebend für den Wahl-Kompass dürfte die Darstellung der eigenen politischen Position sowie der der Parteien in einem Koordinatensystem sein, das aus den beiden Achsen progressiv/konservativ und wirtschaftlich links/rechts gebildet wird. Daneben befinden sich auch hier die erwähnten sieben Schalter. Durch deren Betätigen ändert sich die Gewichtung einzelner Politikfelder und damit die eigene Position und die der Parteien im Koordinatensystem.
Der WahlSwiper wird für sechs Länder (darunter auch Ghana!) angeboten und steht in Deutschland für Landtags-, Bundestags und Europawahlen bereit. Für die Bundestagswahl 2025 haben 27 der antretenden 28 Parteien ihre Antworten an WahlSwiper übermittelt. Auf einer Art Spielkarte sind die Thesen mit einem Foto dargestellt. Man kann zustimmen, ablehnen, sie doppelt gewichten oder überspringen. Je nach Antwort bewegt sich die Karte nach rechts, links oder oben und bringt die nächste zum Vorschein. Das Ergebnis ist ein Ranking nach Prozentzahl der Übereinstimmung.
Auf der Website Wahlquiz.de/ches findest du die Positionen von sieben Parteien zu wichtigen politischen Themen. Deren Einschätzung beruht nicht auf Antworten oder Programmen der Parteien, sondern auf der Befragung von Politikexperten im Rahmen der Chapel Hill Expert Survey (CHES). Diese erfolgt alle paar Jahre, insofern bezieht sich das Tool nicht auf die Bundestagswahl, ist aber sehr hilfreich, um ein besseres Gefühl für den eigenen politischen Standort zu erhalten.
Es geht um grundsätzliche politische Einstellungen: Wie stehst du zur EU (von 0 = Abschaffen bis 10 = Geil), wie frei bzw. autoritär bis du in gesellschaftlichen Themen? Wie stehst du zu Immigration und Ausländer-Fragen? Und wie zur Umverteilung von Vermögen? Zum Umweltschutz? Lieber Verstaatlichung oder Regulation?
Über einen Schieberegler, den du von 0 bis 10 einstellen kannst, verschiebst du eine graue Normalverteilungskurve und gibst deine eigene Position an. Die Position der Parteien wird durch Kurven in unterschiedlichen Farben dargestellt und der Übereinstimmungsgrad rechts in einer Balkengrafi visualisiert. Mit einem weiteren Schieberegler kannst du einstellen, wie wichtig dir das jeweilige Thema ist. Unten auf derselben seite wird dann die Gesamt-Übereinstimmung der verschiedenen Parteien mit deiner Position angezeigt.
Wahl.chat wird von fünf aus München stammenden jungen Männern betrieben, die sich zwecks KI-Forschung in Cambridge (England) zusammengefunden haben: Sebastian, Anton, Michel, Robin und Roman. Auf ihrer Seite kann man eine Partei auswählen und der KI eine Frage zu deren Programm stellen, zum Beispiel: Wie wollen die Grünen die Bürokratie reduzieren? Wie steht das BSW zu Selbstständigen? Was ist die Position der SPD zur Schuldenbremse? Möglich sind aber auch vergleichende Fragen: Wie unterscheiden sich die CDU/CSU und FDP zum Thema Klimawandel?
Als "experimentelles Feature" gibt es auch eine Art Wahl-O-Mat nach Vorbild des oben schon beschriebenen WahlSwiper.
"Wähle weise – mit Wahlweise" ist eine weitere KI-Wahlhilfe, betrieben von der AI-UI GmbH aus Ilmenau (Thüringen). Links neben der KI-generierten Antwort zeigt Wahlweise nützliche Informationen und Links zu der in der Abfrage erstgenannten Partei an.
Deinwal – illustriert mit einem lächelnden Wal – spricht von einem Quiz, an dem man teilnimmt. Die Auswertung beruht wie beim Real-O-mat auf den Abstimmungsergebnissen der Legislaturperiode 2021 bis 25. Themengebiete sind Gesellschaft (6 Thesen), Verteidigung (3 Thesen), Bildung (3 Thesen), Steuern und Sozialabgaben (2 Thesen), Energie (4 Thesen) und Wirtschaft (3 Thesen). Der Clou: Bei jeder Antwort wird dir direkt angezeigt, mit welchen Parteien deine eigene Position übereinstimmt.
Das ist das Motto der von Cordelia und Sally aufgesetzten Website Wahltraut, die im Frühjahr 2020 die Initiative #stattblumen gründete, die auf die strukturelle Benachteiligung von Frauen aufmerksam machte. Bei den von ihnen zusammengestellten 32 Thesen geht es um die Position der Parteien zu den Themen Gleichberechtigung, queere Rechte, Anti-Rassismus und Inklusion. Während Wahltraut 2021 auf den Antworten auf Wahlprüfsteine beruhte, liegt ihr dieses Jahr eine Auswertung der Wahlprogramme zugrunde. Wo sich die Partei zu der These darin nicht geäußert hat, wird sie als "neutral" gewertet.
Der Agrar-O-Mat ist "Der Wahl-O-Mat" für Landwirte, aufgesetzt vom Deutschen Landwirtschaftsverlag. Er besteht aus 24 Thesen wie "Agrardiesel muss in Deutschland wieder steuerlich begünstigt werden", "Der Zubau von Freiflächen-Photovoltaik auf Agrarflächen muss gestoppt werden" oder "Kleinbetriebe sollten mehr EU-Beihilfen pro Hektar erhalten als Großbetriebe".
Wir hoffen, die beschriebenen Tools helfen dir, die Partei zu finden, die am besten deine Interessen vertritt – und haben dir die eine oder andere neue Erkenntnis beschert. Wenn du deine Wahlentscheidung getroffen, vielleicht sogar schon per Briefwahl gewählt hast und nun dem Wahlergebnis entgegenfieberst – noch ein letzter Tipp: Manuel Gutsche aus Wendelstein (Mittelfranken) hat als Einzelkämpfer die Website und zugehörige App "Politpro" (Google Play Store, Apple Store) aufgebaut.
Sein "Wahltrend" berücksichtigt das jeweils letzte Umfrageergebnis jedes Instituts in den letzten 3 Monaten wobei er die neuesten Umfragen stärker gewichtet als ältere. Das Ergebnis ist robuster gegen Ausreißer einzelner Institute. Da man daraus kurzfristige Veränderungen nicht ganz so gut ablesen kann, zeigt PolitPro die zugrundeliegenden Prognosen auch einzeln und visualisiert grafisch den Wahltrend über die letzten vier Jahre.
Hilfreich auch für die nächste Wahl
Die App ist auch über den Tag der Bundestagswahl hinaus hilfreich: In einer Landkarte zeigt sie die europäischen Staaten und Wahltrends in Farbe: In welchem Staat wurden bei den letzten Befragungen eher Links- oder Mitte-links bzw. Rechts- oder Mitte-rechts-Parteien angegeben? Mit Klick auf die Landes-Flagge bzw. Auswahl eines Bundeslandes bekommt man den aktuellen Wahltrend für den jeweiligen Staat angezeigt. Sie zeigt auch, welche Parteien gerade im Aufwind sind bzw. gerade eher verlieren. Und natürlich auch, wann die nächste Wahl ist und ob die jetzige Regierung nach aktuellen Umfragen dann noch eine Mehrheit hätte? Ob es eine 5-Prozent- oder andere Hürde gibt und welche Parteien es wahrscheinlich darüber schaffen? Welche Koalitionen aktuell eine Mehrheit hätten? Wie groß die Koalition wäre und welche politische Richtung sie jeweils repräsentieren würden? Und wie frühere Wahlen ausgegangen sind...
Zurzeit erscheinen die Prognosen vieler Parteien wie festzementiert. Wir sind gespannt, ob der hohe Anteil noch unentschlossener Wähler am Sonntagabend noch zu Überraschungen führen wird.
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