Seit Jahren ist die Fleischindustrie das Paradebeispiel für den Missbrauch von Werkverträgen. Von Politikern und Medien wurde und wird sie immer wieder als warnendes Beispiel herangezogen, um damit auch die strenge Verfolgung von Scheinselbstständigkeit zu rechtfertigen.
Die Konsequenz: Gut bezahlte Freelancer, denen ihre Selbstständigkeit Berufung ist, sowie ihre Auftraggeber werden mit dem Vorwurf der Scheinselbstständigkeit verfolgt und dadurch in Leiharbeit gedrängt. Die ausgelöste Zunahme der Zeitarbeit stellt für die verantwortlichen Politiker offenbar kein Problem dar, obwohl sie sie öffentlich immer wieder kritisieren.
Erstaunlicherweise haben die verantwortlichen Minister die Fleischindustrie selbst viele Jahre agieren lassen, was uns beim VGSD immer wieder vor Rätsel stellte. Während in anderen Branchen (ohne vergleichbare Probleme) Auftraggeber keine Bedingungen aushandeln konnten, unter denen für sie Rechtssicherheit besteht, durfte die Fleischindustrie unbehelligt weiterarbeiten: Mit Werkvertragsarbeitern aus Osteuropa, die weiterhin in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht wurden.
Mit Gabriel ausgehandelte Selbstverpflichtung schützte Fleischindustrie
Zu dem ungestörten Agieren der Fleischindustrie trug entscheidend eine Selbstverpflichtung der Schlacht- und Zerlegeindustrie bei, über die sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und BMAS-Staatssekretärin Yasmin Fahimi in einer Pressemitteilung des BMWi lobend äußerten, als die Fleischereien-Allianz im September 2016 einen ersten Umsetzungsbericht vorlegte. (Wir berichteten damals erstaunt – in der Annahme, dass vielleicht auch andere Branchen durch Selbstverpflichtungen Rechtssicherheit für sich und ihre Auftragnehmer schaffen könnten, was sich aber als aussichtslos herausstellte.)
Die Fleischindustrie-Allianz sei von sechs auf 18 Unternehmen gewachsen, berichtete Gabriel 2016. Man habe erreicht, dass sämtliche Werkvertragsunternehmen ihre Mitarbeiter in Deutschland angestellt hätten, so dass sie kranken-, arbeitslosen- und rentenversichert seien. Auch der Einfluss der Gewerkschaften sei gestärkt worden und es bestehe bereits seit 2013 ein allgemein verbindlicher Tarifvertrag. Also alles in bester Ordnung?
ARD: "Engagement mit Geschmäckle"
Heute morgen meldete die Tagesschau mit Verweis auf einen ausführlicheren Bericht heute Abend um 21:45 Uhr im Magazin "Panorama", dass Gabriel von März bis Ende Mai 2020 für den Fleischkonzern Tönnies als Berater tätig war – mit 10.000 Euro monatlichem Pauschalhonorar und vierstelligem Zusatzentgelt für jeden Reisetag. Es handle sich um ein "Engagement mit Geschmäckle", so die ARD.
Gabriel räumte das Engagement auf Anfrage von Panorama ein und begründete das abrupte Ende seiner eigentlich auf einen längeren Zeitraum angelegten Tätigkeit mit einer schweren Erkrankung. Eine Anzeigepflicht für seine Tätigkeit habe nicht vorgelegen, weil er sein Ministeramt zwei Jahre zuvor aufgegeben hatte. Die Karenzzeit beträgt 18 Monate.
Die Tagesschau berichtet, dass Gabriel die deutsche Fleischindustrie Anfang 2015 noch als "Schande für Deutschland" bezeichnet hatte. In der Folge hätten "sich die sechs größten deutschen Fleischkonzerne unter Federführung von Gabriel und Tönnies auf eine freiwillige Selbstverpflichtung" geeinigt. Die Initiative sei weitgehend wirkungslos geblieben, so die ARD.
Wir sind gespannt, was Panorama darüber hinaus zu diesem Thema herausgefunden hat.
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