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Lesetipp BAGSV-Positionspapier zu Scheinselbstständigkeit Unsere Vorschläge für eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens

Für Selbstständige ist schon lange klar: Das Statusfeststellungsverfahren muss reformiert werden. In einem Positionspapier haben wir konkrete Vorschläge ausgearbeitet. Das zentrale Element: Positivkriterien und eine Schnellprüfung.

Die Rädchen greifen nicht sauber ineinander: Das Statusfeststellungsverfahren ist ein komplexes Instrument, an dem es viel zu verbessern gibt

Undurchschaubar, unberechenbar, existenzgefährdend: So stellt sich für Selbstständige das Statusfeststellungsverfahren (SFV) dar. Schon bevor es überhaupt durchgeführt wird, hat es verheerende Wirkung: Auftraggeber vergeben Aufträge nur noch in Arbeitnehmerüberlassung, Selbstständige haben zusätzlichen Aufwand bei der Akquise.

In unserer großen Online-Konferenz im Juni haben wir auf Basis einer Expertenbefragung eine zielgerichtete Diskussion über die Verbesserung des SFV geführt. Nun haben wir in der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände ein Positionspapier für eine wirksame Reform des SFV erarbeitet. Die zentralen Punkte sind dabei:

  • Positivkriterien: Im deutschen Recht gibt es keine Definition von Selbstständigkeit. Selbstständigkeit ergibt sich aus dem Nicht-angestellt-Sein. Es braucht aber eindeutige Merkmale für die Selbstständigkeit statt einer Überzahl von Argumenten, die gegen eine Selbstständigkeit sprechen. Wir haben deshalb einen Katalog von Positivkriterien aufgestellt.
  • Schnellprüfungen: Die zeitaufwändigen Statusfeststellungsverfahren bringen für Selbstständige und ihre Auftraggeber eine lang andauernde, unzumutbare Rechtsunsicherheit. Um dies zu beenden, soll es in Zukunft Schnellprüfungen geben, mit denen die Deutsche Rentenversicherung (DRV) in kurzer Zeit feststellen kann, ob eine Detailprüfung überhaupt durchgeführt werden muss.
  • Keine Beitragsnachforderungen unter bestimmten Voraussetzungen – Wiedereinführung des § 7b SGB IV: Die Vorschrift im Vierten Buch des Sozialgesetzbuchs bestimmte, dass (auch) bei durch Betriebsprüfungen eingeleiteten SFV keine Beiträge nachgefordert werden können, wenn der Auftragnehmer dies wünscht und selbst vorgesorgt hat. Diese Regelung muss wieder eingeführt werden.

Katalog von Positivkriterien

Folgende Liste von Positivkriterien, die branchenübergreifend gelten sollten, haben wir aufgestellt:

  1. Deutlich höheres Stundenhonorar im Vergleich zum Mindestlohn und vor allem auch dem Bruttolohn vergleichbar qualifizierter und erfahrener Arbeitnehmer (Vorsorgefähigkeit)
  2. Bestehen einer ausreichenden Altersvorsorge, in jedem Fall erfüllt bei (Schnellprüfung):
    a. Freiwilliger einkommensabhängiger Einzahlung in die DRV oder
    b. aufgrund einer rentenversicherungspflichtigen selbstständigen oder arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit oder als Pflichtmitglied der Künstlersozialversicherung oder
    c. im Fall nebenberuflicher Selbstständigkeit (kann von GKV bescheinigt werden) oder
    d. Erfüllung der Bedingungen der geplanten Altersvorsorgepflicht
  3. Bestehen einer Kapitalgesellschaft
  4. Beschäftigung sozialversicherungspflichtiger Mitarbeiter
  5. Mehrere Auftraggeber bzw. keine Abhängigkeit von einem einzelnen Auftraggeber
  6. Nachweis über Spezialwissen
  7. Nachweis der Absicherung gegen branchen- oder berufstypische Risiken (zum Beispiel Berufshaftpflicht)
  8. Werkvertrag bzw. überwiegend erfolgsabhängige Bezahlung (Bezahlung nach Zeit aber kein Negativkriterium!)
  9. Nachweis über die Mitgliedschaft in einem (oder mehreren) Branchen-/Berufsverbänden
  10. Eidesstattliche Versicherung über die freiwillige Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit
  11. Meldung der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit beim Finanzamt
  12. Nachweis einer Krankenversicherung

Alle Kriterien außer dem ersten – angemessene Bezahlung – und den letzten drei müssen als reine Positivkriterien behandelt werden. Dies bedeutet: Sind sie erfüllt, spricht dies für Selbstständigkeit. Sind sie nicht erfüllt, spricht dies nicht gegen die Selbstständigkeit.

Entscheidend: Vorsorgefähigkeit und Vorsorge

Die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung, obwohl zwischen den Vertragsparteien Selbstständigkeit vereinbart ist, hat dort einen Sinn, wo sozial Schutzbedürftige von einem Auftraggeber in einer Machtposition ausgebeutet werden. Deshalb sind die beiden Aspekte, auf die sich das SFV fokussieren muss, Vorsorgefähigkeit und tatsächliche Vorsorge. Die ersten beiden Positivkriterien mit ihren Unterpunkten müssen unseres Erachtens daher die gewichtigsten für die Prüfung der DRV sein.

Vorsorgefähigkeit entsteht durch eine der Selbstständigkeit angemessene Bezahlung. Vorsorge nehmen Selbstständige entweder eigenverantwortlich in die Hand oder sind in speziellen Konstellationen ohnehin dazu verpflichtet. Wir haben zum Gesichtspunkt der Vorsorge ein Schnellprüfungs-Konzept entwickelt, das die DRV dem SFV vorschalten kann, um festzustellen, ob sich das aufwändige Verfahren erübrigt:

Schnellprüfung 1: Ein Selbstständiger zahlt freiwillig einkommensabhängig in die DRV ein (Arbeitgeber- und -nehmerbeitrag). Durch Feststellung einer abhängigen Beschäftigung würde sich keine höhere Einzahlung ergeben. Um eine finanzielle Überforderung zu verhindern, sollten die Sozialversicherungsbeiträge in Summe nicht höher sein als die von vergleichbaren Arbeitnehmern und deren Arbeitgebern. Analog zu den Regelungen beim Gründungszuschuss und den geplanten AVP-Regelungen sollte eine dreijährige Karenzzeit bestehen, um Gründer nicht zu überfordern.

Schnellprüfung 2: Ein Selbstständiger ist rentenversicherungspflichtig aufgrund seiner Tätigkeit (selbstständiger Handwerker, Lehrer, Kindertagespflegeperson, Hebamme) bzw. weil er arbeitnehmerähnlich selbstständig oder Pflichtmitglied der Künstlersozialversicherung ist und kommt dieser Pflicht nach. Durch Feststellung einer abhängigen Beschäftigung würde sich keine höhere Einzahlung ergeben.

Schnellprüfung 3: Es handelt sich um eine nebenberufliche Selbstständigkeit (Feststellung durch zuständige gesetzliche Krankenkasse). In diesem Fall ist die soziale Absicherung definitionsgemäß durch die zeitlich und einkommensmäßig überwiegenden Anstellung gegeben und die selbstständige Nebentätigkeit nicht versicherungspflichtig.

Schnellprüfung 4: Falls die geplante Altersvorsorgepflicht (AVP) in Kraft tritt und ein Selbstständiger ihr entsprechend vorsorgt, muss von einem SFV abgesehen werden.

Die geplante AVP soll nur für Gründerinnen und Gründer gelten. Bestandsselbstständige sollen ausgenommen bleiben. Auch deren oft langfristige Altersvorsorge-Dispositionen müssen geschützt und bei Nicht-Bedürftigkeit einer Erfüllung der AVP gleichgesetzt werden.

Für die Zukunft prüfen, nicht die Vergangenheit

Bei nicht durch die Beteiligten selbst eingeleiteten SFV – also in der Regel solchen, die durch eine Betriebsprüfung ausgelöst werden – drohen den Auftraggebern hohe Nachzahlungen, wenn die DRV eine abhängige Beschäftigung feststellt. Dies war bis 2007 anders. Damals gab es den § 7b SGB IV, der analog zum § 7a bestimmte, dass keine Beitragsrückstände zu zahlen sind, wenn der Beauftragte dem zustimmt und angemessen vorgesorgt hat. Wir fordern deshalb, den § 7b SGB IV wieder einzuführen. Die Prüfung des Status muss in die Zukunft gerichtet sein, nicht in die Vergangenheit. Nur damit wird Rechts- und Planungssicherheit für Selbstständige und ihre Auftraggeber geschaffen. Zudem würde dies die Anreizsituation der Prüfenden verändern und unverhältnismäßige Sanktionen verhindern.

Für die praktische Umsetzung eines verbesserten, an die Lebensrealität angepassten SFV sollen bestimmte Grundsätze gelten:

  • Die Beachtung rechtlicher Vorschriften sowie berufs- und branchenüblicher Methoden darf nicht gegen eine Selbstständigkeit gewertet werden.
  • Die Definition des unternehmerischen Risikos müssen den Entwicklungen der digitalisierten Wissensgesellschaft angepasst werden. Wertschöpfung gelingt nicht mehr allein durch Kapitaleinsatz und Beschäftigung von Mitarbeitenden, sondern auch mit Laptop und Spezialwissen.
  • Unternehmerische Chancen und Risiken bilden sich oft nicht alleine in einem einzelnen Auftrag ab, sondern im Gesamtgefüge der Tätigkeiten eines Selbstständigen. Das SFV muss deshalb über den einzelnen Auftrag hinausblicken und berücksichtigen, dass Selbstständige mehrere Auftraggeber haben.
  • Bei den Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger soll ein Beratungsgremium aus Arbeitgebern und Selbstständigen eingerichtet werden.
  • Die Fragebögen der DRV müssen weniger missverständlich formuliert und online ausfüllbar gemacht werden. Die Durchführungsanweisungen müssen veröffentlicht werden.
  • Anträge mit dem gleichlautendem Ziel "Selbstständigkeit" von Auftraggeber und -nehmer müssen als genehmigt gelten, wenn nicht innerhalb von zwei Monaten ein entgegengesetzter Bescheid ergangen ist.

Auch Juristentag fordert Verbesserung des SFV

Wir haben erfreut zur Kenntnis genommen, dass sich unsere Forderungen weitgehend mit denen des Deutschen Juristentages decken. Dieser beschloss auf seiner Tagung im September 2024 folgenden Antrag: "Das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV sollte folgendermaßen fortentwickelt werden: Eine selbstständige Tätigkeit wird widerlegbar vermutet, wenn die Vertragsparteien übereinstimmend von Selbstständigkeit ausgehen, weitere für Selbstständigkeit sprechende tatsächliche und/oder rechtliche Kriterien vorliegen und der Auftragnehmer eine ausreichende, Bedürftigkeit vermeidende Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge nachweist."

Schreib uns deine Meinung in den Kommentaren!

Wir haben unsere Forderungen als BAGSV beim Parlamentarischen Frühstück am 8. Oktober in Berlin einem Kreis von Politiker/innen vorgestellt. Das war der Auftakt für unsere intensive politische Arbeit mit dem Positionspapier.

Wir sind gespannt auf deine Meinung zum Positionspapier. Wir haben unseren Text intensiv unter den Verbänden diskutiert und versucht, möglichst viele der Fragen, die sich stellen, in den Hintergrundteil des Positionspapiers (Seite 2 ff) zu beantworten. Gerne beantworten wir in den Kommentaren deine darüber hinausgehenden Fragen und nehmen die Feedbacks in unsere Gespräche mit Beamten und Politiker/innen mit.

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