Vor der letzten Bundestagswahl habt ihr einen Regierungsbeauftragten für Solos und Kleinstunternehmen zur wichtigsten Forderung erklärt. Warum gibt es noch immer keinen Beauftragten? Und was machen die 43 anderen Beauftragten der Bundesregierung eigentlich?
Im Herbst 2021, vor der letzten Bundestagswahl, dominierte noch immer das Thema Corona die politischen Diskussionen. Als ersten und wichtigsten VGSD-Wahlprüfstein, stellten wir die folgende Frage – nachdem ihr per Uservoice über die Auswahl und Priorität der Prüfsteine abgestimmt hattet:
"Die Corona-Krise hat beispielhaft gezeigt, dass die Lebenswirklichkeit von Solo-Selbstständigen und Unternehmen bis 10 Mitarbeitern in Ministerien nicht ausreichend verstanden wird. Wie stehen Sie zur Forderung nach einem Regierungsbeauftragten? Wie wollen Sie alternativ für ein besseres Verständnis sorgen?"
SPD und Union gegen Regierungsbeauftragten, Grüne und FDP dafür
Die damals in der großen Koalition regierende SPD antwortete uns, dass die Grundannahme ("Lebenswirklichkeit ... nicht ausreichend verstanden") zumindest für die SPD-geführten Ministerien nicht gelte, und berief sich auf die von ihr verantworteten Corona-Hilfen und die vereinfachte Grundsicherung für Selbstständige. Vielmehr werde man die Absicherung der Selbstständigen "in der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung verbessern". Gemeint war damit die Schaffung einer Versicherungspflicht. Die Union schrieb - ebenfalls mit Verweis auf die Corona-Hilfen, in dem von ihr damals noch geführten Wirtschaftsministerium (dem Peter Altmaier vorstand) sei das Thema Solo-Selbstständige gut aufgehoben, es brauche keine Änderung, man wolle sich aber künftig enger mit Selbstständigen austauschen.
Die Grünen dagegen antworteten uns, dass eine frühzeitigere Einbindung der betroffenen Verbände in der Krise notwendig gewesen wäre: "Und dies spricht auch für eine stärkere institutionelle Verankerung dieser Aufgabe." Ganz klar schließlich bekannte die FDP: "Wir Freie Demokraten wollen eine Beauftragte oder einen Beauftragten der Bundesregierung für Selbstständige. Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, dass ... eine zentrale Ansprechperson in der Bundesregierung notwendig ist."
Zu den vollständigen Antworten der genannten Parteien und auch von Linke, AfD, Freie Wähler, Volt und Piraten.
Fester Bestandteil unseres Forderungskatalogs
Seit der Bundestagswahl fordern wir in fast jedem Gespräch in Berlin die Schaffung einer Zuständigkeit speziell für (Solo-)Selbstständige (Beispiel). Der naheliegende Ort hierfür wäre das Bundeswirtschaftsministerium. Dort könnte man Know-how zum Thema aufbauen und sich mit den Selbstständigenverbänden austauschen.
Tatsächlich gibt es im BMWK einen Mittelstandsbeauftragten, der auch für Solo- und Kleinstunternehmen zuständig ist. Das ist aber ein riesiges Feld, das unseres Erachtens eine einzelne Person nicht abdecken kann. Unsere Erfahrung ist, dass wo sich Zuständigkeiten für Solos, Arbeitgeber und womöglich noch spezielle Branchen überschneiden, wir "Kleinen" regelmäßig den Kürzeren ziehen. Deshalb braucht es eine spezialisierte Zuständigkeit. Genau dies hatten wir im Rahmen unserer Wahlprüfsteine gefordert und daran erinnern wir die Verantwortlichen immer wieder von Neuem.
Wir haben recherchiert, wie viele Regierungsbeauftragte es gibt und für was sie zuständig sind, um in unseren Gesprächen damit argumentieren zu können:
Wofür sind die 43 vorhandenen Beauftragten der Bundesregierung eigentlich zuständig?
Das Bundesinnenministerium (BMI) pflegt eine Liste der Beauftragten, aus der neben den offiziellen Titeln hervorgeht, von welchem Ressort auf welcher Rechtsgrundlage die Ämter geschaffen wurden und wer sie zurzeit besetzt.
Wir geben im Folgenden einen Überblick in Form eines Ministerien-Rankings: Welche/r Minister/in hat die meisten Beauftragten ernannt? (Dabei verzichten wir auf die Wiedergabe der vollständigen Titel und die Unterscheidung der verschiedenen Arten von Beauftragten, auch auf Doktor- und Amtstitel verzichten wir zwecks besserer Lesbarkeit – bis auf die Angabe "MdB" für Bundestagsabgeordnete und "StS" für Staatssekretäre.
- Das Auswärtige Amt (AA, Grüne) hält mit acht Beauftragten regierungsintern den Rekord. Inhaltlich geht es um Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle (Günter Sautter), Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe (Luise Amtsberg, MdB), die deutsch-französische Zusammenarbeit (Staatsministerin Anna Lührmann, MdB), die deutsch-polnische Zusammenarbeit (Dietmar Nietan, MdB), die transatlantische kultur- und informationspolitische Zusammenarbeit (Michael Georg Link, MdB), die Zusammenarbeit mit dem Südlichen Kaukasus, der Republik Moldau und Zentralasien (Robin Wagener, MdB), für Afghanistan und Pakistan (Jasper Wieck) und für internationale Klimapolitik (Staatsministerin Jennifer Morgan).
- Das Wirtschaftsministerium (BMWK, Grüne) steht zusammen mit dem Innenministerium an zweiter Stelle des Beauftragten-Rankings mit einem Beauftragten für den Mittelstand (parlamentarischer StS Michael Kellner, MdB), für die Umsetzung der internationalen Initiative für mehr Transparenz im rohstoffgewinnenden Sektor (Franziska Brantner, MdB), für die Deutsche Luft- und Raumfahrt (Anna Christmann, MdB), für Maritime Wirtschaft und Tourismus (Dieter Janecek, MdB) und für strategische Auslandsprojekte im Interesse der Bundesrepublik Deutschland (StS Udo Philipp).
- Das Bundesinnenministerium (BMI, SPD) hat ebenfalls fünf Beauftragte, nämlich für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten (Natalie Pawlik, MdB), für Informationstechnik (StS Markus Richter), für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus (Felix Klein), für die Behandlung von Zahlungen an die Konversionskasse (Ellen Hirschinger) sowie für Migrationsabkommen (Joachim Stamp).
- Auf Platz vier folgt das Familienministerium (BMFSFJ, Grüne) mit vier Beauftragten: für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (Kerstin Claus), für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt (Queer-Beauftragter, Parlamentarischer StS Sven Lehmann), gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland (Mehmet Daimagüler) sowie für Antidiskriminierung (Ferda Ataman).
- Das Bundeskanzleramt (BKAmt, SPD) begnügt sich mit drei Beauftragten, und zwar für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie Antirassismus (Ämter in Personalunion, Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, MdB), für die Nachrichtendienste des Bundes (Bundesminister und Chef des Bundeskanzleramts Wolfgang Schmidt) und für Ostdeutschland (Staatsminister Carsten Schneider).
- Auch das Justizministerium (BMJ, FDP) hat drei Beauftragte, nämlich für bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau (parlamentarischer StS Benjamin Strasser), für Menschenrechtsfragen (zugleich Verfahrensbevollmächtigte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Sigrid Jacoby) sowie für die Anliegen von Betroffenen von terroristischen und extremistischen Anschlägen im Inland (Pascal Kober, MdB).
- Das Bundesgesundheitsministerium (BMG, SPD) hat drei Beauftragte, nämlich für die Belange der Patientinnen und Patienten (Stefan Schwartze, MdB), für Pflege (Claudia Moll, MdB) und für Sucht- und Drogenfragen (Burkhard Blienert).
- Das Bundesbauministerium (BMWSB, SPD) verfügt ebenfalls über drei Beauftragte, den Bundes-Energiebeauftragten (energetisches Bauen, Olaf Böttcher) sowie die Beauftragten für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich (in Personalunion: Bundesbauministerin Klara Geywitz) sowie für die Deutsch-Griechische Versammlung (parlamentarischer StS Sören Bartol, MdB, vergleiche Foto oben).
- Das Bundesarbeitsministerium (SPD) hat zwei Beauftragte, nämlich für die Belange von Menschen mit Behinderungen (Jürgen Dusel) und für die Sozialversicherungswahlen (Peter Weiß).
- Das Verkehrsministerium (BMDV, FDP) hat die Beauftragten für Güterverkehr und Logistik (Parlamentarischer StS Oliver Luksic) und für den Schienenverkehr (parlamentarischer StS Michael Theurer).
- Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hat zwei Beauftragte, zum einen für Religions- und Weltanschauungsfreiheit (Frank Schwabe) und für die Neustrukturierung der Verwaltung und Dezentralisierung in der Ukraine (Ministerpräsident a. D. Georg Milbradt).
- Das Bundesumweltministerium hat nur den Meeresbeauftragten (Sebastian Unger).
- Der Präsident des Bundesrechnungshofs (BRH, Kay Scheller) ist zugleich Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung.
- Einer der bekanntesten Bundesbeauftragten schließlich ist der für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (Professor Ulrich Kelber).
Es gibt auch eine ganze Reihe von Bundesministerien ohne Beauftragte. Das Finanzministerium (FDP) geht dabei mit gutem Beispiel voran, auch das Verteidigungsministerium (SPD) sowie die Ministerien für Ernährung und Landwirtschaft (Grüne) sowie Bildung und Forschung (FDP) verzichten auf Beauftragte.
SPD- und grün geführte Ministerien stehen gleichauf, was die Zahl der von ihnen bestellten Beauftragten betrifft, bei SPD und Grünen zählen wir jeweils 18 Beauftragte, bei der FDP fünf. (Dei beiden letztgenannten Beauftragten in der Liste oben sind keinem Ministerium zuzuordnen.)
Auch für 3,2 Millionen Solo- und Kleinstunternehmen Regierugsbeauftragte/r gerechtfertigt
Beim Lesen der Liste gewinnt man den Eindruck: Von manchen Beauftragten hat man schon gehört, von den meisten allerdings nicht, wahrscheinlich weil man selbst nicht zu ihrem Zuständigkeitsgebiet gehört. Von vielen Ämtern wusste man gar nicht, dass es sie gibt und wenn man sie kannte, dann oft nicht den Namen des oder Beauftragten.
Fraglos handelt es sich bei den meisten der abgedeckten Themen um wichtige Anliegen. Aber gemessen an der Zahl der jeweils Betroffenen und der Größe der Probleme, wäre für die gut 3,2 Millionen Solo- und Kleinstunternehmer/innen (Stand: Ende 2022) sicher ebenfalls ein/e Regierungsbeauftragte/r gerechtfertigt. Aber wer könnte das tun?
Wie wird die Position eines Regierungsbeauftragten geschaffen?
Zwei von drei aktuell Beauftragten sind durch einen Kabinettsbeschluss ernannt worden. Zu je einem Sechstel sind die Positionen durch einen (Organisations-)Erlass des jeweiligen Ministeriums geschaffen worden bzw. gibt es eine eigene gesetzliche oder vertragliche Rechtsgrundlage. Eine solche Position könnte also durch einen Beschluss des Kabinetts oder eines Ministers entstehen.
Jeder vierte Beauftragte ist einfache/r Bundestagsabgeordnete/r, ebenso viele sind keine Abgeordneten, waren das aber zuvor häufig. Etwa jede/r fünfte, ist zugleich (in der Regel parlamentarischer) Staatssekretär/in und zwei sind sogar Bundesminister/innen. Drei, vor allem solche im Bundeskanzleramt, haben den Titel des/der Staatminister/in. Jede/r neunte schließlich erledigt die Aufgabe im Rahmen seiner/ihrer Beamtentätigkeit.
Bundesbeauftragte (zum Beispiel für den Datenschutz und die Informationsfreiheit) müssen dabei auf gesetzlicher Grundlage eingerichtet werden. Für Beauftragte der Bundesregierung und sonstige Beauftragte genügt ein Kabinettsbeschluss bzw. ein Organisationserlass.
Was tun die Beauftragten konkret? Welche Mitspracherechte haben sie?
In der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) ist in § 21 festgelegt, dass die Beauftragten der Bundesregierung, die Bundesbeauftragten sowie Koordinator/innen der Bundesregierung bei allen Vorhaben, die ihre Aufgaben berühren, frühzeitig zu beteiligen sind und dass sie wiederum die Ministerien bei Angelegenheiten von grundsätzlicher politischer Bedeutung zu informieren haben. Konkret wird auf Gesetzesentwürfe Bezug genommen.
Diese und weitere Informationen hat die Bundesregierung in einer Antwort auf die Kleine Anfrage unter anderem des FDP-Abgeordneten Frank Sitta im Jahr 2018 gegeben. Insgesamt hatte die FDP 38 Fragen gestellt, auch zur Notwendigkeit einzelner Beauftragter bzw. nach Doppelzuständigkeiten. Die Antworten blieben damals recht oberflächlich. Aufschlussreich war die Tabelle der damals noch 39 Beauftragten. Sie enthielt nämlich zusätzlich detaillierte Angaben zu Kompetenzen, Amtsausstattung, Haushaltsmitteln und personellen Ressourcen der Beauftragten. Diese vielen ganz unterschiedlich aus: Mal gab es keine Sachmittel und keine personelle Verstärkung, mal gab es 35.000 oder auch 350.000 Euro, ein bis zwei Mitarbeiter oder auch mal ein Team von 15 Leuten. Schaut gerne selbst einmal nach.
Fazit
Gemessen an den Aufgaben der bisherigen Beauftragten und an der Größe der betroffenen Personengruppen ist die Einrichtung eines Beauftragten für Solo- und Kleinstunternehmer/innen gerechtfertigt. Im einfachsten Fall könnte ein solches Amt durch den Erlass einen Bundesminister geschaffen werden. Dadurch würden nicht zwangsläufig zusätzliche Kosten entstehen. Allerdings kommt es uns darauf an, dass in mindestens einem Ministerium eine (zwangsläufig koordinierende) Zuständigkeit sowie Know-how über Solo-Selbstständige, Kleinstunternehmen und ihre besonderen Lebensverhältnisse und Anliegen aufgebaut wird. Wichtig ist eine Spezialisierung auf diese Gruppe, so dass es nicht zu einer Vermischung mit Zuständigkeiten für (größere) Arbeitgeber oder bestimmte Branchen kommt. Wir werden weiterhin mit großem Engagement für dieses Ziel kämpfen und die Parteien der Ampelkoalition an ihre entsprechenden Zusagen erinnern bzw. sie gegenüber noch zögerlichen Koalitionspartnern unterstützen. Bei Bedarf werden wir euch dazu um eure Unterstützung bitten!
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